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werden, haben zum Ausgangspunkt jeweils zwei Fragmente für jeden der vier Geschehensorte: Bukarest, Iasi, Czernowitz/Cernauti und Transnistrien, und gehören unterschiedlichen Textsorten an: Reportage, Memorialistik, Tagebuch, Roman oder Lyrik. Zunächst schildern eine Reportage des damals bekannten Journalisten Filip BruneaFox und ein Fragment aus den (im Übrigen auch in deutscher Übersetzung verfügbaren) Tagebüchern des Journalisten und Schriftstellers Mihail Sebastian den bewaffneten Aufstand der Fisernen Garde in Bukarest im Januar 1941. Die Atmosphäre rund um das Pogrom in Iasi im Juni 1941 wird wiedergegeben durch eine Szene aus Curzio Malapartes Roman Kaputt, — der schillernde italienische Schriftsteller befand sich damals als Kriegskorrespondent in Rumänien —, sowie auch durch eine Reportage Aurel Barangas, der nach dem Krieg in Rumänien Erfolge als Theaterautor feierte. Die Deportationswellen der Czernowitzer Juden im Herbst 1941 und im darauffolgenden Jahr werden vom Juristen Isak Weißglas und vom Arzt Robert Flinker vor Augen geführt. Schließlich liefern erschütternde Zeugnisse von der tragischen Lage in den transnistrischen Arbeitslagern unter rumänischer Verwaltung der Dichter Immanuel Weißglas, ein ehemaliger Schulkollege Paul Celans und Isak Weißglas' Sohn, und Edgar Hilsenrath, ein deutscher Jude, der als Kind bei seinen Großeltern in der Bukowina Zuflucht vor dem Nationalsozialismus gesucht hatte. Detaillierte Biographien der genannten Autoren finden sich gesondert am Ende des Bandes. Die vier Kapitel, die das eigentliche Korpus des Bandes bilden, sind analog strukturiert: Zunächst werden die literarischen Zeugnisse wiedergegeben, manche in der Übersetzung Stiehlers, gefolgt von einer kompakten Kontextualisierung der Ereignisse mit Bezug auf historische Dokumente und Studien. Auch die Biographien der Zeugen Brief aus Berlin Lieber Konstantin, die Nachricht, daß Du Dich nach einem Insult in einer REHA befindest, hat mich sehr betroffen gestimmt. Eigentlich wollte ich Dir bald schreiben, aber dann ging bei mir vor der Abreise nach Italien alles drüber und drunter, so daß ich erst jetzt, nach meiner Rückkehr, dazu komme. Ich wünsche Dir zuallererst, bevor ich von mir selbst berichte, daß Du Dich auf dem Weg der Genesung befindest und wieder bei der gewohnten Arbeit bist, ohne dabei zu vergessen, daß es in Zukunft gemächlicher zugehen muß. Das erwarten alle Freunde und auch ich von Dir, und Du mußt es ihnen versprechen. In Florenz hat sich etwas abgespielt, woran ich kaum zu glauben gewagt hätte: Die Uffizien werden eine Rudolf Levy-Ausstellung veranstalten. In einer Besprechung mit dem neuen Direktor, Eike Schmidt, der in Wien durch seine Absage für Ärger gesorgt hat, wurde beschlossen, daß die Ausstellung eine Art Retrospektive mit dem Schwerpunkt auf Florenz und Italien sein soll, werden sorgfältig rekonstruiert auf der Grundlage der bestehenden Forschungen und persönlicher Mitteilungen an den Verfasser. Diese akribische Arbeit des Literaturwissenschaftlers dient auch dazu, um zwischen den primären und den sekundären Augenzeugen zu unterscheiden (in die zweite Kategorie fallen Malaparte und Baranga trotz der vorgeblichen Agenzeugenschaft ihrer Berichte) und um damit das Verhältnis zwischen literarischer Plausibilität und historischer Wahrheit ins rechte Licht zu rücken. Darüber hinaus legen stilistische Textanalysen die rhetorischen Strategien der kommentierten Autoren frei und ermöglichen eine Evaluierung der literarischen Qualität ihrer Zeugnisse. Auf allen diesen Ebenen zeigt sich die souveräne Beherrschung des "Themas durch den Autor. Zudem passt Stiehler den eigenen Stil dem Kontext an und bewegt sich behände zwischen knappen und präzisen Tatsachenfeststellungen und literaturkritischen Bewertungen. Die unumstrittene Notwendigkeit einer Erinnerungskultur, zu der solche Zeugnisse beitragen, verleitet den Autor jedoch nicht dazu, ihnen unüberlegt auch einen ästhetischen Wert zuzuschreiben oder aus Prinzip von der Aufrichtigkeit der Autoren überzeugt zu sein und somit so manchen politischen Opportunismus zu kaschieren. Einer der hier untersuchten Fälle war bereits Gegenstand einer Kontroverse: Edgar Hilsenraths Roman Nacht über das von den Rumänen kontrollierte Arbeitslager von Moghilev Podolski, nach dem Stiehler seinen Band benannt hat, löste bei seiner Veröffentlichung 1964 in München einen Skandal aus, weil sein Antiheld und die rohe Beschreibung der Überlebensstrategien in Extremsituationen von den medial verbreiteten Opfer-Stereotypen des Holocausts abwichen. Stiehler ist sich freilich bewusst, dass die von ihm ausgewählten Beispiele dem Umfang des Phänomens nicht gerecht werden können. Im Sinne bei der etwa 50 Ölgemälde im Palazzo Pitti gezeigt werden sollen. Als Eröffnungstermin ist der Gedenktag 27. Januar 2022 angesetzt. Es hat sich also als richtig erwiesen, was italienische Freunde vermutet haben, daß Schmidt für eine solche Gedenkausstellung empfänglich ist, auch um neue Akzente zu setzen. Wie ich gehört habe, war er lange Zeit am Deutschen Kunsthistorischen Institut in Florenz tätig, das sich seinerzeit im Palazzo Guadagni an der Piazza Santo Spirito im Stockwerk unterhalb der Pensione Bandini befand, wo Levy seine drei letzten Lebensjahre vor der Deportation verbrachte. Schmidt ist von einer beneidenswerten Selbstsicherheit. Nichts scheint ihm mißlingen zu können. Um so besser! Mir wird im wesentlichen nur die Aufgabe zukommen, eine biographische Dokumentation zu erstellen und einen Beitrag dazu für den Katalog zu verfassen. Die Bildauswahl, Acquisition etc. wird in den Händen der Kuratorin, der der historischen Gerechtigkeit fügt er "statt eines Nachwortes" ein paar "Notizen zu den Roma in Transnistrien" hinzu. Im Unterschied zu den literarischen Quellen zur Judenvernichtung stehen allerdings den Historikerinnen und Geschichtswissenschaftlern zu den Roma-Deportationen allein primäre, jedoch keine literarisch verarbeiteten Zeugnisse zur Verfügung. Dementsprechend ist Stiehlers kurzes Nachwort aufeine historische Rekonstruktion der Roma-Verfolgung während des Antonescu-Regimes beschränkt. Heinrich Stiehlers mutige (literatur-)geschichtswissenschaftliche Untersuchung zeichnet sich auch durch eine vermutlich bewusst gewählte Nüchternheit der eigenen Kommentare aus. Um den Gräuel der Fakten — die Verfolgungen, den Sadismus der Peiniger, das unvorstellbare Leiden der Opfer - und das Ausmaß des Massenmordes wiederzugeben, enthält sich der Autor eines jeden Pathos und setzt auf Dokumente und Daten. Durch die raffinierte Komposition der vier Hauptkapitel, mit ihrem Wechsel zwischen literarischen Deskriptionen und historischen Kommentaren, zwischen persönlichen Lebensgeschichten und der Kollektivgeschichte, bildet Heinrich Stiehlers Buch auch in methodischer Hinsicht einen Meilenstein in der Exegese der Schoah-Literatur. Darüber hinaus trägt Stiehlers "Nacht" durch die genaue Recherchearbeit, das Referieren rumänischsprachiger Quellen und die Mischung eines schonungslosen Urteils über die Täter und einer nuancierten Textanalyse maßgeblich zur Beleuchtung eines dunklen Kapitels in der rumänischen Geschichte bei. Maädälina Diaconu Mädaälina Diaconu ist Dozentin für Philosophie und Lektorin für Rumänisch an der Universität Wien. Heinrich Stiehler: "Nacht". Die rumänische Schoah in Geschichte und Literatur. Wien: Theodor Kramer Gesellschaft 2019. 132 5. € 15,Leiterin des Museo di Arte moderna im Palazzo Pitti, liegen. Die Ausstellung ist sicher auch ein Glücksfall. Mir kommt das altgriechische Wort kairos in den Sinn. Da fällt das Geschenk nicht allein als Göttergabe vom Himmel, sondern man muß die Gelegenheit erspüren und ergreifen. Die Abfassung meiner Exilbiographie geht unabhängig davon weiter. Sechs von neun Kapiteln sind inzwischen geschafft. Es soll mich nicht kümmern, ob sie bis zur Eröffnung der Ausstellung schon erschienen ist. Für eine italienische Ausgabe wäre es ohnehin zu spät. Ich bleibe dem Brief als Grundlage des Gedankenaustausches treu, aber manches läßt sich auch am Telephon sagen! Klaus Voigt, Berlin-Charlottenburg, 6. Oktober 2020 Dezember 2020 65