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Kontinuität des 1. Weltkrieges und der Zerstörung Europas,
die damit einhergegangen ist. Gerade der Vergleich mit dem
Holocaust ist aber dann der, der am allerwenigsten passt. Die
Shoah ist genuin, reicht aus dieser Historie heraus und sollte als
solche auch immer nur so betrachtet werden. Interessanterweise
stürzen sich alle immer genau auf dieses eine Element, um damit
den Rest zu erklären, was bestenfalls eine vollkommen miss¬
glückte Vergangenheitsbewältigung ist, der afghanischen Frau
auf Samos oder Lesbos jedoch in keiner Weise etwas Gutes tut,
auch weil sie darüber erst recht wieder instrumentalisiert wird.
Jeder instrumentalisiert Flüchtlinge für seine eigenen jeweiligen
Zwecke, niemand behandelt sie als die Menschen, die sie vor der
Flucht waren oder gar als zukünftige Mitbürger. Nochmal, wenn
ich nach Europa komme und einen Asylantrag stelle, dann sage
ich: Ich wurde verfolgt und ich möchte ein vollwertiger Bürger
eines europäischen Staates werden, nur als das behandelt diese
Menschen leider niemand.

„Stand by Me Lesvos“ zitiert auf ihrer Homepage den „Ochi-Tag“
(der an die Zurückweisung des am 28. Oktober 1940 von Mussolini
gestellten Ultimatums an Griechenland erinnern soll). Was hat es mit
dieser Mobilisierung eines historischen Narratives auf sich?

Die Ochi-Idee war eine andere. Hier ging es darum zusammen
gegen Corona zu kämpfen so wie die Griechen - das ist die Ana¬
logie — früher gegen den Faschismus standen. Man darf nicht
vergessen, in welchen kolonialen Attitüden andere Europäer in
Griechenland auftreten. Griechenland ist europäische Peripherie,
es war über einen langen Zeitraum ein sehr, schr armes Land.
Es hat im 20. Jahrhundert viel durchgemacht und die Haltung
Resteuropas ihm gegenüber ist: Ihr sitzt ja nur in Tavernen, ihr
vergeudet unsere Euros, und eigentlich seid ihr „denen“ doch
näher als uns. Wenn sich hier, in diesem vergessenen Winkel
der EU, in den diese ihre Probleme abschiebt, ein 23-jähriger
Holländer darüber auftegt, dass griechische Hoteliers ungern ihre
Hotels an Flüchtlinge vermieten und erwartet wird, dass sich die
griechische Großmutter mit einem „Refugees Welcome“-Schild
hinstellt, nachdem schon 800.000 Leute durch das Nadelöhr
Lesbos geschleust wurden, ist das natürlich eine andere Geschich¬
te. Mytilini hat 27.000 Einwohner. Zeitweilig haben 21.000
Flüchtlinge am Ortsausgang der Stadt gewohnt. Es hat dabei so
gut wie keinen einzigen Übergriff in der Stadt selbst gegeben.
Dazu muss man natürlich schon sagen, dass viele Menschen aus
Syrien, Afghanistan oder dem Kongo, selbst keine Schweizer
Nonnenschüler sind. Hier gibt es mieseste Camp Mafıa, es gibt
Al-Kaida Kämpfer, die hier alle frei durch die Hauptstraße der
Stadt laufen, zum Teil gibt es Messerstechereien aufdem Haupt¬
platz, die Touristen bleiben weg usw. So geschen ist die Toleranz,
die hier immer noch herrscht, eigentlich unglaublich.

Was sagst du zu Initiativen, die fordern, unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge (UME), Frauen und Kinder direkt aus diesen Hotspots
zu holen und auf EU-Staaten zu verteilen? Ist das dem Inhalt nach
nicht eine Regression nach dem Motto „Asylrecht als bürgerliches
Zugeständnis an die ,Armsten der Armen“?

Ja, erstens das. Der Armen-Diskurs beraubt Menschen ihres

Rechtsstatus und ersetzt letztlich Politik durch Caritas. Außer¬
dem muss ich dazu sagen: Wenn die Österreicher wüssten, welche

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Resilienz so eine afghanische Frau an den Tag legt, brauchen sie
sie gar nicht erst zu bemitleiden. Was sich niemand vorstellen
kann und will ist, dass Menschen, die aus Afghanistan oder
Syrien kommen und 8 Jahre Kriegserfahrung hinter sich haben,
eine durch die Umstände auferzwungene extrem stark ausgepräg¬
te Fähigkeit haben, mit grauenvollen Situationen umzugehen.
Wenn dann beispielsweise Journalisten angesichts auf der Straße
campierender Flüchtlinge weinen, war das für die meisten der
Betroffenen einfach nur eine Verlängerung des Lebens, das sie
auch vorher geführt haben: Sie haben im Zelt gelebt, ihren Alltag
organisiert und das oft mit einer unfassbaren Seelenruhe. Hier
ist es so, dass man mittlerweile dafür zahlt, um diese Bilder des
Elends noch zu bekommen. Man möchte ja nicht die afghanische
Frau, die diese ganzen tausenden Kilometer geflohen ist, unter
Umständen in der Türkei mehrmals vergewaltigt wurde und es
trotzdem hergeschafft hat, hier nun versucht ein bisschen Eng¬
lisch zu lernen und die ihren Alltag managt, als gleichwertige
wahrnehmen. Man möchte sie als Opfer behandeln, unbesehen
der Tatsache, dass die wenigsten Menschen die geringste Lust
haben auf dieses andauernde Opfer-sein. Wir haben es hier mit
einer perfiden Logik der humanitären Hilfe zu tun: „Wenn es dir
nicht ganz schlecht geht, bekommst du nichts mehr von mir, weil
du ja nicht mehr der Armste der Armen bist.“ Wenn irgendetwas
im Kern rassistisch und widerlich ist, dann ist es dieser Diskurs
über die Armen. Das wichtigste ist, dass wir einen kategorischen
Unterschied zwischen karitativen Blick und Solidarität machen.
Solidarität nimmt das Gegenüber als einen Gleichwertigen und
sagt: Deine Verhältnisse sind beschissen, versuchen wir sie zu
ändern, aber immer auf gleicher Augenhöhe. Man sieht die¬
sen Unterschied schon bei den Pressefotos und in der Frage, ob
Journalisten Kinder von erhöhter Position aus fotografieren oder
zumindest die Kamera runterhalten. Es ist fasziniert, wie viele
Bilder von Frauen und Kinder aus der Position dieses autoritären
Blicks geschossen werden.

Diese unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nun, von denen
momentan gesprochen wird, sind ein ganz schwieriges Problem:
Erstens gibt es hier die Dauersiebzehnjährigen. Moria beispiels¬
weise war ein hochkorrupter Ort, in dem jede Art von Krimina¬
lität existierte, dazu gehörte auch Dokumentenfälschung. In den
Camps nutzen dies viele und besorgen sich die entsprechenden
Identitätsdokumente, die ihnen Minderjährigkeit attestieren. Das
ist zum Teil auch fiir die Mafiagruppen im Camp relevant. Diese
„Minderjährigen“ werden oft als Kindersoldaten rekrutiert, die
dann für diese die Drecksarbeit erledigen sollen. Auch hier gibt es
ein irres und verzerrtes Bild. Es werden Kampagnen gestartet und
argumentiert, man müsse unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
holen, nur: welcher 6-jährige flieht denn alleine aus Afghanistan?
Wir sprechen aber meist von keinen Kindern mehr, sondern von
kaputt gemachten, unter Drogen gesetzten, traumatisierten jun¬
ge Männer, die ganz dringend Hilfe brauchen und der Skandal
ist, dass sie zudem was sie sind, in der EU wurden, nämlich in
diesen ekeligen Camps. Alle auf Lesbos sind Asylbewerber und
sollten auch als solche behandelt werden. Dann wäre schon viel
gewonnen. Die Frage, ob es generell sinnvoll ist, Menschen, die
in Griechenland ein laufendes Asylverfahren haben, mit ihren
Verfahren nach Österreich und Deutschland zu holen, wo doch
ihr Verfahren weiterläuft und dann alles übersetzt werden muss
— da bin ich mir einer Antwort auch nicht ganz sicher. Besser
wäre es vielleicht die Verfahren zu beschleunigen, möglichst viele