stärken, um den vielfältigen, eine Assimi¬
lation begünstigenden strukturellen Fak¬
toren ein Gegengewicht bieten zu können?
Nichts davon war in Kärnten der Fall, wo
sich in völliger Umkehrung realer Macht¬
und Mehrheitsverhaltnisse eine aggressive
Atmosphäre des “Abwehrkampfes” gegen
alles Slowenische ungehindert ausbreiten
konnte. Eine sich als überlegen wähnende
Kultur zementierte hier zugleich politische
und wirtschaftliche Macht.
Robert Knight hat nicht nur die bisher vor¬
liegende Literatur zu seinem Forschungs¬
gegenstand gründlich rezipiert, sondern
auch umfangreiche Archivrecherchen in
den britischen National Archives, im Ös¬
terreichischen Staatsarchiv, im Kärntner
Landesarchiv, im Archiv der Diözese Gurk,
im Archiv der Republik Slowenien und an¬
deren Einrichtungen betrieben, womit der
Arbeit aufgrund ihres Quellenreichtums
in etlichen Aspekten Pioniercharakter zu¬
kommt. In einem Anhang wird eine detail¬
lierte Übersicht über alle zweisprachigen
Schulsprengel und die Volkszählungsergeb¬
nisse im Untersuchungszeitraum gegeben.
Anhand dieser Daten kann die Zurück¬
drängung slowenischer Sprache und Kultur
in nüchternen Zahlen abgelesen werden.
Knights Geschichte endet im Jahr 1960.
Das Wissen um später Geschehenes macht
seinen Befund noch beklemmender — im
Ortstafelsturm 1972 fand dieses Muster sei¬
ne Wiederholung und Steigerung.
Franz Cohn wurde 1927 in Chemnitz ge¬
boren. Sein Vater Fritz Cohn war Rechts¬
anwalt in Chemnitz, seine Mutter Margot
wuchs als Tochter des Arztes Salomon
(Salo) Bermann und seiner Frau Elise in
Gleiwitz auf. Margots Bruder war der Arzt
Gottfried Bermann-Fischer. Kurz vor
der Heirat mit Brigitte (Tutti) Fischer, der
Tochter des Verlegers Samuel Fischer, 1926
trat Bermann-Fischer in den Verlag ein,
den er ab 1928 leitete. Fritz Cohn diente als
Leutnant im Ersten Weltkrieg. Er war Gei¬
ger und liebte die Gartenarbeit. Sein Sohn
beschreibt ihn als einen liebevollen Vater,
der “sich selbst mehr als ein Deutscher als
ein Jude” betrachtete. 1938 wurde er nach
zwei Monaten im Konzentrationslager Bu¬
chenwald als gebrochener Mann freigelas¬
sen. Sein Kanzleipartner Helmut Klempe¬
rer emigrierte nach Ecuador, kehrte 1953
nach Deutschland zurück und arbeitete als
Anwalt in Wiesbaden. Franz Cohn trat in
einen jüdischen Sportverein ein und kam
im Herbst 1938 in die Dr. Leonore Gold¬
schmidt-Schule in Berlin. Seinen älteren
Schwestern Hanna und Hildegard gelang
die Flucht nach Argentinien beziehungs¬
weise London. Im Jänner 1939 kam Franz
Cohn in einem Kindertransport als eines
von 500 Kindern aus Deutschland und
Österreich nach Stockholm. Die schwedi¬
sche Regierung hatte ihrer Einreise zuge¬
stimmt, ihren Eltern wurden jedoch nicht
in das Land aufgenommen. Franz Cohn
wurde von seinem Onkel Gottfried Ber¬
mann-Fischer, der 1938 mithilfe der Ver¬
legerfamilie Bonnier seinen Verlag nach
Stockholm transferiert hatte, als Pflegekind
aufgenommen. In seinem Buch beschreibt
er auch kurz die Arbeit des Verlages in
Stockholm. Fritz und Margot Cohn konn¬
ten mithilfe von Fritz’ Bruder Martin, der
bereits seit 1936 in Norwegen lebte, im
Frühjahr 1939 nach Norwegen flüchten.
Nach der Besetzung Norwegens durch die
deutsche Wehrmacht 1940 wurden sie von
Fritz Kalmar, Theodor Kramer-Preisträger
2002 (und mein Onkel), hat mich immer
beeindruckt — und zu Widerspruch ange¬
regt — wegen seiner bedingungslosen Liebe
zu Österreich. Seine Heimat hatte ihn zu
Beginn des Jahres 1939 zur Flucht (damals
und auch später von ihm euphemistisch
Emigration genannt) gezwungen. Er lande¬
te in La Paz, Bolivien, nicht aus Überzeu¬
gung, sondern, weil ihn kein anderes Land
aufgenommen hat.
“Extra Austriam non est vita” hatte er einer
Studienkollegin geantwortet, die von ihren
Auswanderungsplänen erzählt hatte. Dani¬
el Kehlmann schreibt in seinem Nachwort
von einem ähnlichen Gedanken bei Ernst
Lothar, der nach 1935 Theaterdirektor in
der Josefstadt war und den Max Reinhardt
gerne als Vertretung nach Berlin geholt hat¬
te, wahrend der erfolgreiche Regisseur Pro¬
jekte in den USA verfolgte. Lothar wollte
aber nicht weg aus Wien, er stellte Bedin¬
gungen, die unannehmbar schienen.
Etwas später halfen alle diese Uberlegun¬
gen nicht mehr und Lothar war zur Flucht
gezwungen. Es ist sehr zu begrüßen, dass
der Zsolnay Verlag sich entschieden hat,
“Das Wunder des Überlebens” noch ein¬
mal (nach 1960) herauszubringen. Schon
zwei Jahre zuvor wurde “Die Rückkehr”
publiziert und beiden Werken ist es zu wün¬
schen, viele Leser zu finden. “Die Rück¬
kehr” gibt vor, ein fiktives Werk zu sein,
Details daraus kommen aber auch in dem
autobiographischen Werk vor.
Ernst Lothar Müller wurde 1890 in Brünn
in eine gut situierte jüdische Familie gebo¬
ren. Zehn Jahre vor dem Weltkrieg übersie¬
delte die Familie nach Wien. Lothar leistete
von 1914 bis 1917 Kriegsdienst und war ver¬
zweifelt nach dem Zerfall der Monarchie:
“Unersetzliches war gestorben” (S. 29). Sei¬
Rund um den 100. Jahrestag der Kärntner
Volksabstimmung 1920 gewinnt Robert
Knights Arbeit zusätzlich an Aktualität.
Wer die Hoffnung nicht aufgibt, dass aus
Fehlern der Vergangenheit gelernt werden
kann, wird diesem Buch große Verbreitung
wünschen.
Heimo Gruber
Robert Knight: Politik der Assimilation. Os¬
terreich und die Kärntner Slowenen nach der
NS-Herrschaft. Aus dem Englischen von Peter
Pirker. Wien, Hamburg: new academic press
2020. 396 S. € 29,90
der norwegischen Staatspolizei, die von ei¬
nem Nationalsozialisten geleitet wurde, im
November 1942 in Asker in der Nähe von
Oslo verhaftet. Sie wurden nach Stettin ver¬
schifft, von dort nach Auschwitz deportiert
und ermordet.
Cohn wurde in Schweden Elektroinge¬
nieur und selbständiger Unternehmer in
Hochtechnologie. Er war Vorsitzender des
Keren Hajessod und engagierte sich auch
publizistisch für Israel. Seine Frau Eva, die
er 1948 heirate, stammte aus Ungarn. Sie
überlebte Auschwitz und die Zwangsarbeit
in Norddeutschland. Er schreibt: “Wenn
ich mir unsere drei Kinder und sieben En¬
kelkinder anschaue, alle jetzt Erwachsene,
so fühle ich ein großes Glück. So haben wir
Hitler besiegt.”
E.A.
Franz T. Cohn: Wir leben weiter. Die Geschich¬
te einer Familie. Niederfrohna: Mironde Verlag
2018. 119 S. € 12,60
ne Karriere als Jurist fand ein jahes Ende,
nachdem er einer Hinrichtung beiwohnen
musste. Er begegnete aber immer wieder
berühmten Menschen. Freud erklärte ihm
in einem Gespräch, wie er sich mit dem
geschrumpften Österreich arrangiert habe.
Lothar war nicht ohne Einfluss: Er berichtet
von der geringen Bildung manches Minis¬
ters, mit dem er zu tun hatte, was ihm aber
auch die Möglichkeit verschaffte, Ideen um¬
zusetzen. Aus der Exportakademie wurde
durch ihn die “Hochschule für Welthandel”,
und die Gründung der Salzburger Festspiele
wurde durch Lothar ebenso in die Wege ge¬
leitet wie die Wiener Messe und die österrei¬
chische Fremdneverkehrswerbung.
Bei der “Neuen Freien Presse” wurde er
Theaterkritiker, als solcher erarbeitete er
sich einen Ruf, der dazu führte, dass ihm
die Direktion der Josefstadt angeboten
wurde. Bis 1938 konnte er dort seine Vor¬