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Orion oder jenen Amors konnte und wollte sich auch Char nicht entziehen. Freundschaften und leidenschaftliche Liebesbeziehungen haben Char stark angetrieben, zahlreiche Gedichte zeugen davon. Auch im Roman entstehen mit und zwischen den Personen, die das Paar kennenlernt, immer wieder Konstellationen, die auf eine andre Weise die Geschlechterspannung zwischen Mann und Frau zur Sprache bringen. Um Gewalt und Terror zu überwinden, oder zumindest zu trelativieren, werden Liebe und Sexualität als positive Kräfte erkannt und gelebt. Sowohl das Poetische als auch unsere Existenz ist permanent Gefahren ausgesetzt, das Aufblitzen eines Mündungsfeuers - ich nehme das Bild als Synonym für Krieg und Gewalt - ist eine ständige Bedrohung. Rene Char nahm als Partisan den Widerstand auf. Am Ufer der Sorgue geboren, die im Elisabeth Malleier Karst der Vaucluse entspringt, hatte er seit seiner Kindheit ein Fließen vor Augen, das mit Dauer in Verbindung gebracht werden kann. Auf dieses “Panta rhei” des Heraklit, sowie auf die Vier-Elemente-Lehre der Antike, bezieht sich Char immer wieder in seiner Dichtung. Die Wochen im Luberon werden für die beiden Fährtenleser aus dem Norden — so viel wird bald klar — kein Ferienaufenthalt, denn die Spaziergänge und -fahrten führen sie in ungeahnte Traumgespinste und tatsächlich, wie erhofft, tief an die komplizierte Existenz des Dichters heran, der gegen Ende seines Lebens immer mehr Grenzen überschreitet und wahnsinnig wird. Die elaborierte Sprache, um lange, gut gebaute Sätze nicht verlegene Prosa entwickelt zur Qualität der Gedichte Chars eine adäquate Parallelität. Verwoben wird das Erzählen immer wieder mit essayisti“Nun also, was hat dir der Arzt geraten? Welchen Ort im Süden? Bozen oder Meran? Gut, dann fährst du nach Meran — dabei bleibt es: Meran. Plötzlich springt Antonia auf, springt mir mit äußerster Wildheit ins Gesicht, so dass ich zurücktaumle. ‘Martha’ schreit sie, ‘du fährst mit!’ “Bist du verrückt?”' Es war eine Zeit großer politischer Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheiten in Österreich, als die Schriftstellerin Else Feldmann (1884-1942) die LeserInnen der Arbeiter-Zeitung in eine andere Welt entführte. Ihr seit November 1933 in 74 Folgen erschienener Fortsetzungsroman “Martha und Antonia” blieb unvollendet — die letzte Folge erschien am 11. Februar 1934.” In dem Roman geht es um zwei Schwestern, die in Wien in großer Armut leben. Eine von ihnen, Martha, eine Prostituierte, finanziert ihrer lungenkranken Schwester einen Kuraufenthalt in Meran. So kommt es, dass mehr als die Hälfte des Romans in Meran spielt. Auch für andere, in kargen Verhältnissen lebende Autorinnen war Meran ein Ort, an den sie in ihrer literarischen Phantasie flüchteten. So ließ etwa Charlotte Falk in der Berliner Zeitschrift Die Freundin im Jahr 1931 ihre lesbischen Protagonistinnen in Meran aufeinandertreffen, ebenso wie Emma Zelenka in ihrem Forstsetzungsroman “Die Verführte”, der im selben Jahr in der Freundin erschien. Darin trifft die Romanheldin auf der Gilfpromenade in Meran zum ersten Mal jener “schlanken, eleganten Erscheinung im blauen Tuchmantel”, deren Anblick ihr unvergesslich bleibt und nach deren Aufmerksamkeit sie sich sehnt.? Auch wenn in den beiden Erzählungen im Gegensatz zu Else Feldmann die sozialen Unterschiede zwischen den Protagonistinnen nur gestreift werden und die Autorinnen sich in eine sonnige, blühende Welt der Wohlhabenden hineinschreiben, unterlaufen sie doch die der Trivialliteratur zugeschriebene Funktion der Verfestigung traditioneller Wertvorstellungen, wie Ha94 ZWISCHENWELT cker in ihrer Analyse lesbischer Belletristik feststellt. Sowohl Charlotte Falk als auch Emma Zelenka wandten sich auch in Form von Briefen an Die Freundin, in denen sie die prekären Lebensverhältnisse alleinstehender Frauen thematisieren. So berichtete die in Wien lebende Emma Zelenka im Jahr 1932 vom “grauenvollen Gespenst der Selbstmordepidemie” besonders unter jenen Frauen, die dem “unseligen Heer” (nach Radcliffe Halls “Quell der Einsamkeit”) frauenliebender Frauen angehörten: “L...]Ich weiß, es existieren so viele brave, arbeitsame Frauen, Mädchen, die wohl noch das Glück haben in einer Arbeitsstelle zu sein, aber wegen ihrer Veranlagung verlassen und gemieden ihre Tage zubringen müssen. Die, welche nicht zu jenen oberen Zehntausend gehören, die in exklusiven Bädern ihren ebenso exklusiven Passionen huldigen. Ich spreche von jenen, die sich mühselig genug durch dieses Leben schlagen, die hinter der Schreibmaschine sitzen, im Modesalon tätig sind oder sich im Hutsalon das liebe Brot verdienen. Oder Künstlerinnen, die zu irgendeinem untergeordneten Beruf greifen müssen, um nicht mitsamt ihrem Ideal zu verhungern ... Ja, leben müssen sie für andere ... aber sterben dürfen sie dann für sich allein! [...]” In ihrem Offenen Brief regte Zelenka einen Zusammenschluß gleichgesinnter Frauen zum gegenseitigen Austausch an. Die “oberen Zehntausend”, SchriftstelletInnen und Schriftsteller ohne finanzielle Probleme nutzten ihre Meranaufenthalte zum Schreiben und verkürzten sich damit mehr oder weniger erfolgreich den eintönigen Kuralltag. So schrieb die russisch-deutsche Schriftstellerin und spätere Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé (1861-1937) ihren ersten Roman in Meran. Hermynia Zur Mühlen (1883 — 1951) schreibt, dass sie als junge Frau mit Anfang 20 von ihren Eltern mit wenig Begeisterung als “Gesellschafterin nach Meran abgeschoben” wurde. Sie wurde in der liberalen Meraner Zeitung-unter Pseudonym-zum ersten schen, Querverbindungen herstellenden Passagen. Zudem bietet ein ausführlicher “Fährtenapparat” zusätzlich Hinweise, Zitate und Quellenangaben. Ein in sich schlüssiges Werk, das die Fabulierlust, die Obsession für Details nicht verbirgt. Einige retardierende Passagen führen zu — subjektiv gesehen — manchen Längen, die jedoch, aufgrund der Sprache, dem Leser Genuss bereiten können. Ja, Sprache kann mehr als manche ihr zutrauen. So sei auch dem Dichter das letzte Wort verliehen: “Wie leben, ohne vor sich Unbekanntes? / Die Menschen von heute wollen, dass das Gedicht nach dem Bild ihres Lebens gemacht sei, so arm an Rücksicht, so arm an Raum und verbrannt von Unduldsamkeit.” Richard Wall Peter Sommerfeld: Fährtenlesen Roman. Weitra: Bibliothek der Provinz 2021, 304 S. € 28,Mal gedruckt, ohne Bezahlung, versteht sich, denn “...es war Ehre genug, überhaupt gedruckt zu werden.’ Zu einer gueeren Geschichte Merans würde auch eine Erwähnung von Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895) gehören. Er begegnete dem Vorbild für die Heldin seiner berühmtesten Erzählung, der “Venus im Pelz”, Fanny Pistor, 1869 ebenfalls erstmals auf der Promenade in Meran. Sacher-Masoch, der lange Jahre als Geschichtsprofessor in Graz lebte, hielt sich aus Gesundheitsgründen mehrfach in Meran auf. Die im Jahr 1870 erschienene Novelle “Venus im Pelz” des Sohnes des Polizeipräsidenten von Lemberg mit seiner Schilderung eines erotischen Herrin-Knecht-Verhältnisses wurde von Krafft-Ebing (1840-1902) in seiner “Psychopathia sexualis” (1. Aufl. 1886) als Bezeichnung für eine von ihm als Perversion beschriebene sexuelle Vorliebe benutzt, was Sacher-Masoch nicht gern sah. Doch wurde er, nicht zuletzt aufgrund der “Venus im Pelz”, zu einem berühmten und in Frankreich mit einem Orden ausgezeichneten Autor.‘ Ein anderer Autor, dessen Beschreibung eines Macht- und Unterwerfungsverhältnisses zwischen einer Frau und einem Mann in der wissenschaftlichen Forschung als sadomasochistisch interpretiert wird, war David Vogel (1891-ermordet in Auschwitz 1944) mit seinem zuerst 1929 in hebräischer Sprache in Palästina erschienen Roman “Eine Ehe in Wien”. Bereits zuvor, im Jahr 1926 war ebendort die Novelle “Im Sanatorium” publiziert worden. Die Haupthandlung der Erzählung spielt im “Sanatorium für arme brustkranke Juden” in Meran.” David Vogel war in den 1920er Jahren zweimal Gast im Sanatorium gewesen. Er und Else Feldmann könnten sich sogar in Meran getroffen haben. Auch Vogel hatte Armut am eigenen Leib erfahren. Else Feldmann platziert den Aufenthalt der beiden Schwestern in Meran in einer Pension hinter dem Meraner Hof. Dort war auch der Standort des Meraner Sanatoriums der “Königswarter Stifung”, das ursprünglich