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zu verraten, machte Gebrauch von dieser
Freiheit, der letzten Alternative. Es gab
auch Soldaten, die Selbstmord begingen,
um nicht an der Ermordung von Menschen
teilnehmen zu müssen. Obwohl da nur eine
dürre Alternative bestand und kein anderer
Ausweg, beruht das Prestige des Selbst¬
mords als einer Form der Selbstbestimmung
auf seinem verzweifelten Gebrauch als einer
letzten Freiheit. Ein fragwürdiger Freiheits¬
begriff schwingt darin mit, die Fähigkeit
sich zwischen Alternativen zu entscheiden,
während der Nachdenkende sich sagt: Wo
kein Drittes gegeben ist, nur ein Entwe¬
der-Oder, kann keine Freiheit sein. Doch
sah man im Selbstmord ein Freiheitsexisten¬
zial. Und nun beriefen sich die Propagandis¬
ten von Sterbehilfe und assistierter Selbst¬
tötung auf jene existenzielle Freiheit als

Alexander Emanuely

auf ein Selbstbestimmungsrecht, indem sie
zugleich versicherten, für einen qualfreien,
ordnungsgemäßen Ablauf des Dahinschei¬
dens Besorgtheit zu tragen. Sie wiesen sogar
darauf hin, daß mißglückte Selbstmordver¬
suche bleibende gesundheitliche Schäden
hinterlassen könnten, die bei entsprechen¬
der Assistenz doch vermeidbar wären. Der
Selbstmord, die Selbsttötung soll also sozial
vereinbar, verträglich werden, sozusagen
einvernehmlich. Und damit wird ihm, dem
Selbstmord, der Stachel gezogen, der Protest
und der Aufschrei, der Trotz und die Frage
ohne Antwort zu sein. Es wird , also der
tiefere Grund, den Selbstmord, den Freitod
als autonome Handlung, als Freiheitsakt zu
respektieren, gerade in der Berufung auf
diese Autonomie sozialtechnologisch liqui¬
diert-unter fortgesetzter Berufung auf eine

Begonnen hat alles 1995, als in Graz Hei¬
mo Halbrainer, Thomas Karny, Margit
Franz und Manuela Fritz beschlossen, die
verdrängte und nur marginal behandelte
jüngere Geschichte der Steiermark aufzu¬
arbeiten und über das akademische Feld
hinaus bekannt zu machen. Ziel war, dass
jene sichtbar werden sollten, die sich gegen
den Nationalsozialismus gestellt haben und
in einer unmenschlichen Zeit Menschen ge¬
blieben sind. Dafür gründeten sie 1996 den
Verein CLIO.

Die Arbeit fing mit Spurensuche an. Ge¬
meinsam mit Interessierten “erwanderte”
man lokale Zeit- und Sozialgeschichte, man
ging auf den Spuren der steirischen Partisa¬
nInnen und suchte, dokumentierte Orte in Graz
auf, die für die jüdische Gemeinde von Bedeu¬
tung waren, und eröffnete über Veranstaltungen,
Ausstellungen, Symposien und Vortragsreihen
lebendige Auseinandersetzung,

Eine der ersten Ausstellungen fand im Jän¬

Buchzugänge

Georg Augusta: Unter uns hieß er Der Rat¬
tenmann. Die Lebensgeschichte des Sig¬
mund-Freud-Patienten Ernst Lanzer. Wien:
mandelbaum 2020. 143 S. € 16,¬

Gerald Grassl: Telfs & Talfer & Talferisch.
Sepp Schwarz. Holzschnitte & Grafiken.
Ein Text-Bild-Dialog. Wien: edition tarantel
2018. 205 S.

Ein Kompendium der schönen sozialkri¬
tischen Holzschnitte des Sepp Schwarz
(1917-2013, dem Tiroler Masereel.

Hans Grundig: Tiere und Menschen. Radie¬
rungen der Dreißigerjahre aus der Samm¬
lung Maria Heiner, Dresden. Dresden: Ga¬
lerie Mitte 2021. 94 S.

Sorgfältig gestalteter, in kleinster Auflage erschien¬
ener, von Maria Heiner eigeleiteter und kommen¬
tierter Ausstellungskatalog. In der Darstellung der
Tiere geht es Hans Grundig nicht um Karikatn¬
ren menschlichen Verhaltens; vielmehr erhebt er im
Laiden der Tiere Anklage gegen die sozialen und
politischen Verrhaltnisse.

Lea Grundig: Vergesst es nie! Eine Bilder¬

ner 1998 statt. Sie war dem vergessenen Gra¬
zer Widerstandskämpfer und bedeutenden
Architekten Herbert Eichholzer gewidmet,
dessen Geburts- und Todestag sich zum 95.
bzw. 55. Mal jährten. Die mir stark in Er¬
innerung gebliebene Ausstellung “Herbert
Eichholzer 1903-1943. Architektur und Wi¬
derstand” war als Wanderausstellung durch
Österreich zu schen mit Stationen in Wien,
Linz und Innsbruck. Mit besonderem Ge¬
schick versteht es CLIO, die Vereinsziele
durch verschiedenste Kooperationen zu er¬
reichen.

1998 wurde der Entschluss gefasst, einen
eigenen Verlag ins Leben zu rufen. Über
80 Bücher sind seither bei “CLIO Bücher”
erschienen. Inzwischen gibt es die Reihen
“Zeitgeschichte”, “(Auto)-Biografische
Texte zur Zeitgeschichte”, “Vergessene Au¬
toren/Autorinnen und aktuelle Literatur”,
“Forschungen zur österreichischen Nach¬
kriegsjustiz”, “Vorlesungen des Centrums

folge von Lea Grundig zum Schicksal der
Juden während der Shoa. Aus der Samm¬
lung Maria Heiner. Katalog zur Ausstellung
in der Stadtkirche St. Jakobi Chemnitz.

Karin Hanta: Zurück zur Muttersprache.
Austro-amerikanische SchriftstellerInnen
im östereichischen literarischen Feld. Wien,
Berlin: Mandelbaum 2020. 335 S. € 29,¬

Manfred Jenewein: Sozialdemokratie im be¬
zirk Landeck. 1894- 2016. Landeck: Eigen¬
verlag 2016. 204 S.

Fritz Keller: “Wir sind ausgemachte Schur¬
ken alle: Traue keinem von uns”. Mit einem
biographischen Anhang und ausgewähltem
Werkverzeichnis. Wien; Fritz Keller (2021).
140 S.

Geboren 1950. Erinnerungen des Wiener linken
Aktivisten und bekannten Historikers linker Be¬
wegungen in Osterreich—Verfasser u.a. von “Wien,
Mai 1968. Eine heiße Viertelstunde” und zuletzt
einer Geschichte der Gewerkschaft der Gemeinde¬
bediensteten 1945-2015. Seine Schilderungen der
Tätigkeit beim Markamt der Gemeinde Wien und

Selbstbestimmung, die völlig unglaubwür¬
dig wird, wenn man sieht, wie eine schwer
demente, doch körperlich intakte alte Frau
im Kreise ihrer Familie nach Verabreichung
einer Beruhigungs- und einer Giftspritze
friedlich entschläft. Die Familie sitzt dabei
und schaut zu wie bei der Einschläferung
eines kranken Haustiers. Hier bedient sich
die Fremdbestimmung der Selbstbestim¬
mung, wie sie es doch schon auf vielen Ge¬
bieten mit gutem Erfolg tut. Kein Wunder
also. Die Mitarbeiter des Krematoriums ste¬
hen schon mit einem Behälter für den Lei¬
chentransport vor der Tür. Und der Arzt,
der die Spritzen verabreichte, zündet sich,
aus dem Haus getreten, eine Zigarette an.
Ist wieder einmal gut gegangen.—K.K.

für Jüdische Studien” und “Studien zu Me¬
dien und Gesellschaft”. Für diese verlegeri¬
sche Tätigkeit erhielt CLIO 2018 den Bru¬
no-Kreisky-Preis für das politische Buch.
Heuer erscheinen Ernst Fettners Erinne¬
rungen. Er wurde 1940 auf der Isle of Man
interniert und kämpfte anschließend in der
britischen Armee gegen die Nazis. Nach der
Befreiung arbeitete er in Kärnten für den
“Volkswillen” und in Wien für die “Volks¬
stimme”. Und auch er hat 2021 einen Grund
zu feiern, nämlich seinen 100. Geburtstag.
Und sein von Jana Waldhör herausgegebe¬
nes Buch trägt einen Titel, der zum Konzept
der Spurensuche und des “Erwanderns”
passt, mit dem CLIO vor 25 Jahren seine
Arbeit begonnen hat: “Geh’ du voran. Ein
Jahrhundert”.

Mehr Informationen und das aktuelle Verlagspro¬

gramm: www.clio-graz.net

seiner Versuche, in der linken Szene heimisch zu
werden, sind fesselnd. Manchmal geht es gar schnell
vom einen zum anderen weiter, aber das wird wohl
der Lebensrealität Kellers enstsprechen, der neben
seinem Brotberuf ein großes Werk geschaffen hat.
Bernhard Kreutner: Gefangener 2959. Das
Leben des Heinrich Maier. Mann Gottes
und unbeugsamer Widerstandskampfer.
Salzburg, München: Ecowin 2021. 256 S. €
24,¬

Maria Lazar: Die Vergiftung. Mit einem
Nachwort hg. von Johann Sonnleitner.
Wien: das vergessene Buch 2020. 196 S. € 22,¬
Maria Lazar: Die Eingeborenen von Maria
Blut. Mit einem Nachwort hg. von Johann
Sonnleitner. Wien: das vergessene Buch
2020. 313 S. € 24,¬

Astrid Nischkauer: du Wundergecko. Ge¬
dichte. Köln: Parasitenpresse 2021. 100 S.
€ 14,¬

Heinrich Nowak. Wien-Zürich. Ausge¬

wählte Feuiletons. Hg. von Wilfried Ihrig.
Berlin: epubli 2021. 446 S. € 32,¬

Juni 2021 97