Elisabeth Frischauf
Ein Lied bricht durch
Inschrift: Zerstreute Saat
Über das Meer ist die Saat entflohen
in Elend und Leid.
Neues Leben errungen.
Junge Halme,
aus Trauer und Kummer hervorgetrieben,
schlugen Wurzeln in Amerikas Erde.
Eine Holocaust-Uberlebende ist meine Familie,
zusammengedrängt auf unserem Lebensfloß —
Hoffnung, angetrieben von Verlust.
Aber dies ist nicht, weil meine Mutter und mein Vater nach
Amerika flohen.
Wir sollten nicht trauern hier,
aber es blieb die immer gegenwärtige Kluft vor uns,
tief und gähnend,
dieses böse Maul, bereit uns zu verschlingen.
So viel Leid, Qual, bitteres Ertragen.
Weggeworfen — „biologischer Abfall“
(Haut der Ermordeten, brauchbar für Lampenschirme),
Groteske deutsche Effizienz.
Das geschah Millionen über Millionen.
Menschen wie Dinge ausgelöscht.
Lebend am falschen Ort,
in der falschen Zeit,
den obszönen gelben Stern am Ärmel.
Und zwischen all dem
die beiden Großmütter,
verschlungen von einem Massengrab.
Verloren für uns, außer in Fotografien
schweigend angestarrt, leere Strecken
in Mutters Augen
die Hände meines Vaters
die plötzlich gesenkten Stimmen der Eltern.
Ausgebleicht in schwarzen Rahmen die Schatten-Ahnen
auf dem Schminktisch der Mutter.
Starr, offenen Auges. Unvertraut.
Wohin ich weitergehe?
Sag mir: Bin ich wie Großmutter Klara?
Ich habe auch ihren Namen.
Habe ich ihre Augen, ihre Brüste, die Biegung ihrer Nase?
Tränen der Ohnmacht - bin ich selbst Opfer?
Klara, nackt, getrieben unter die Dusche, aus der Zyklon B tropfte.
Stöhnend, erstickt, auf einen Haufen Leichen geschmissen,
nach Goldzähnen durchsucht und dann
eingeäschert in Auschwitz.
Großmutter Edith sparte vorsorglich Schlaftabletten genug.
Die aufgeschlagene Bibel entglitt sanft ihrer Hand,
ein Foto meiner Mutter stand als letztes Bild vor ihren Augen.
Später stampften Stiefel die Treppen herauf, zertrümmerten die
Tür.
Die Schergen der Mordmaschine fanden ihren
zusammengesunkenen Körper,
die Verbringung verweigernd in ein Heim für alte Juden.
Nie sah mich meine Mutter an und sagte:
Ich erinnere mich an ihr Lächeln, sie runzelte ihre Stirn so
wie du die deine!
Ich verbleibe, fremd in diesem Hier- und Bevor-Land,
treibe mit den Wasserschwällen, die über verzauberte Tage
hinwegspülen.
Wälze mich im Gefieder der Wolken über dem Hudson.
Mein heller Körper,
erleuchtet von Orgasmen und Schokolade,
ein leiser Klang...
Schatten, die fallen...
Il. Erbschaft der schrecklichen Zeit
Großonkel Hermann
Man hat mir erzählt:
Er war hochgewachsen, elegant, schlank, Rucksack aufdem Rücken.
Ein Pionier im neuen Fach Kinderpsychiatrie.
Krankenbesuche machte er auf einem klapprigen alten Fahrrad.
Großonkel Hermann,
gefangen in Sibirien
in Folge des 1. Weltkrieges und des Zusammenbruchs
Österreich-Ungarns.
Man hat mir erzählt,
er sei zu Fuß zurück nach Wien.
Kam elend an: