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Maria Vassilikou

Es bleibt in der Geschichtsschreibung zur Shoah weithin unter¬
belichtet, dass auch Griechenland Schauplatz des deutschen Ver¬
nichtungsfeldzugs gegen die europäischen Juden war. Und nicht
nur das: mit der Ermordung von über 80 Prozent der Juden des
Landes nimmt Griechenland einen Platz ganz oben in der Be¬
satzungs- und Vernichtungspolitik des Deutschen Reiches ein.
Für die griechischen Juden markierte der Anfang der deutschen
Besatzung im April 1941 das Ende einer tausendjahrelangen ak¬
tiven Präsenz im Lande. Als der griechische Ministerpräsident
Ioannis Metaxas im Oktober 1941 sein lautes „Nein“ (griechisch:
OCHI) gegenüber den territorialen Forderungen Italiens arti¬
kulierte, geriet auch Griechenland in den Strudel des Zweiten
Weltkriegs. Die italienischen Truppen blieben angesichts des un¬
erwartet starken Widerstands der griechischen Armee stecken.
So musste sich die Wehrmacht beeilen, ihrem Verbündeten unter
die Arme zu greifen. Die Kapitulation Griechenlands erfolgte
noch im April 1941, der Fall von Kreta im Mai 1941. Griechen¬
land blieb als unabhängiger Staat pro forma erhalten. Eine Kolla¬
borationsregierung wurde eingesetzt, die die Verwaltungskosten
für das Deutsche Reich senken und zur Aufrechterhaltung der
allgemeinen Ordnung beitragen sollte.

Für die ca. 72.000 griechischen Juden im Lande war der deut¬
sche Einmarsch eine tiefe Zäsur. Fast 70% Prozent dieser Bevöl¬
kerungsgruppe bestand aus den ladinosprachigen Sephardischen
Juden Thessalonikis, wo sie ein Viertel der Stadtbevölkerung aus¬
machten. Ihre Gemeinde, die sich zu diesem Zeitpunkt auf dem
mühsamen Weg hin zur Integration in die Mehrheitsgesellschaft
der Stadt, die 1912 in den griechischen Nationalstaat einverleibt
wurde, befand, wies starke kommunale Strukturen sowie ein re¬
ges politisches, kulturelles und wirtschaftliches Profil auf.” Auch
die 330 Juden auf Kreta waren von Beginn der Besatzung an im
deutschen Machtbereich eingeschlossen. Die mit Hitler verbün¬
deten Bulgaren durften ihre langjährigen Aspirationen auf ein
„Groß- Bulgarien“ verwirklichen, indem sie Ostmakedonien und
Westthrakien, wo ca. 4.500 Juden lebten, besetzten. Den größten
Teil des Landes, einschließlich der Hauptstadt Athen, besetzten
allerdings die Italiener.” Dieser Umstand hat sich bis zur italieni¬
schen Kapitulation im September 1943 für die Juden in diesen
Gebieten als Segen erwiesen. Denn der italienische Faschismus
unterschied sich wesentlich vom mörderischen deutschen Antise¬
mitismus. Dies sollte den deutschen „Plänen“, die Endlösung lan¬
desweit umzusetzen, zunächst einen Strich durch die Rechnung
machen.

Mit der Ausnahme mancher einzelner antisemitischer Aktionen
sowie dem Vormarsch des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg in
der deutschen Besatzungszone, welche jüdische Vereine, Schulen,
Gemeinden und Schließfächer griechischer Banken durchsuchte,
Synagogen ausraubte und jüdische Archive konfiszierte,* ließen
die Deutschen die griechischen Juden bis Juli 1942 eher unge¬
stört. Dennoch wurde ihre Lage im Laufe der deutschen Besat¬
zung immer prekärer.

In Thessaloniki wurden jüdische Läden und Einrichtungen be¬
schlagnahmt, ebenso Häuser, wo sich deutsche Offiziere nieder¬
gelassen hatten. Wertgegenstände, wie Radios, Klaviere und Mö¬
bel, wurden auch beschlagnahmt.’ In Anknüpfung an antisemiti¬

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sche Tiraden einiger Lokalzeitungen aus der Zwischenkriegszeit
kam am 14. April 1941 — schon fünf Tage nach dem Einmarsch
der Deutschen in Thessaloniki - die Zeitung Nea Evropi auf den
Markt, die der antijüdischen Propaganda diente.° Zudem wur¬
de die antisemitische Organisation EEE, die für das Pogrom im
jüdischen Armenviertel Kampbell im Juni 1931 verantwortlich
war,’ von den Deutschen wiederbelebt.

Darüber hinaus litten die Juden TIhessalonikis aufgrund der
wirtschaftlichen Not bei ihren zahlreichen mittellosen Gemein¬
demitgliedern besonders stark unter der Hungersnot des Win¬
ters 1941, die mehr als 30.000 Menschen das Leben kostete.®
Die Gründung des Zentralkomitees für die Koordination der
sozialen Fürsorge durch die Gemeinde Anfang 1942 sollte der
grassierenden Hungersnot entgegenwirken. Mit dem gleichen
Ziel wurde der Hilfsverein Matanot L Evyonim reaktiviert, der
zusammen mit dem Internationalen Roten Kreuz fast 5.000 Ar¬
menspeisungen täglich durchführte.” Zusätzlich sorgte die auf¬
grund der Gewalt in der bulgarischen Zone erzwungene Flucht
von 35.000 bis 70.000 Griechen für eine weitere Zuspitzung der
sozialen Lage im Norden." Dies blieb sogar nicht ohne Rückwir¬
kung auf den Alltag der deutschen Soldaten, was die zuständigen
Kreise in Berlin alarmierte. Immer mehr trat die Frage in den
Vordergrund, ob die vor dem Zusammenbruch stehende griechi¬
sche Wirtschaft ihren „kriegsbedingten Aufgaben“ |! überhaupt
gewachsen sein würde. Für Himmler eröffnete sich damit die
Chance, von Hitler bei einer Unterredung in der Wolfsschanze
im November 1941 die Zustimmung zu bekommen, „die jüdi¬
schen Elemente aus Thessaloniki zu entfernen.“ '? Damit war die
Auslöschung der größten jüdischen Gemeinde auf dem Balkan
besiegelt, die einst das „Jerusalem des Balkans“ genannt wurde.
Die konkrete Umsetzung begann am 11. Juli 1942, als der Be¬
fehlshaber Saloniki-Ägäis, Curt von Krenzki, im Einvernehmen
mit dem Generalgouverneur Vasilis Simonidis, einen Appell von
fast allen 9.000 Männern der jüdischen Gemeine im Alter von
18 bis 45 Jahren am Freiheitsplatz von Thessaloniki anordnete.
Nach dem „Schwarzen Samstag“, voll von Erniedrigung, Folter
und Demütigung der Versammelten, konnte über die deutschen
Absichten kein Zweifel mehr bestehen. Gleichwohl erzeugte der
kurzfristige Erfolg der Gemeinde, in Verhandlungen mit Kriegs¬
verwaltungsrat Dr. Max Merten, ca. 3.000 Juden freizukaufen
(die nach ihrer Registrierung auf dem Freiheitsplatz zur Zwangs¬
arbeit unter unmenschlichen Bedingungen in Steinbrüchen und
Straßenarbeiten für die Wehrmacht tätige Organisation Todt
verpflichtet wurden) zunächst ein trügerisches Gefühl von Si¬
cherheit. Dies mag dazu beigetragen haben, dass etwa der Gro߬
vater von Erika Kounio Amariglio einen BBC-Bericht über Mas¬
senerschießungen von Juden im besetzen Lublin als „englische
Propaganda“ abtat.'

In Wirklichkeit aber waren die Verantwortlichen für die Umset¬
zung der „Endlösung“ in Griechenland entschlossen und in der
Lage, mit ihren Plänen voranzuschreiten. Aufgrund des italie¬
nischen Unwillens mussten sich die Deutschen jedoch erstmal
mit einer Einschränkung ihrer Pläne abfinden: die Endlösung
sollte, zumindest am Anfang, „nur“ die Jüdinnen und Juden in
der deutschen und bulgarischen Besatzungszone betreffen.