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Im Dezember 1942 wurde der größte jüdische Friedhof Europas in Thessaloniki zerstört. Die Grabsteine wurden unter anderem für Pflasterarbeiten, die Reparatur der Agios Dimitrios Kirche, den Bau eines Schwimmbads für die Erholung der deutschen Besatzer und sogar für den Anatomieunterricht in der Medizinischen Fakultät verwendet.'* Oberrabbiner Koretz wurde am 11. Dezember von der Besatzungsmacht zum Vorsitzenden eines siebenköpfigen Judenrates ernannt. Ende Januar 1943 konnte der Reichsbevollmächtigte Altenburg das stillschweigende Einvernehmen des Ministerpräsidenten der 2. Kollaborationsregierung, Konstandinos Logothetopoulos, für den Start der Deportationen der Juden von Thessaloniki nach Berlin melden." Im Februar 1943 trafen die SS-Offiziere Alois Brunner und Dieter Wisliceny in Thessaloniki ein. „Beide Männer hatten sich aus Sicht Eichmanns schon in Wien und in der Slowakei bewährt“.!° Kurz nacheinander ergingen zwölf Erlasse, die auf die Stigmatisierung, Gettoisierung und Enteignung der Jüdinnen und Juden der Stadt abzielten. Gleichzeitig veröffentlichte Nea Evropi Hetzartikel, die beabsichtigten, die Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden zu vergiften, um eventuelle Hilfeleistungsversuche der christlichen Bevölkerung zu unterdrücken. Für solche gab es übrigens wenig Hinweise, wenn man die fehlende Solidarität gegenüber den jüdischen Mitbürgern seit Beginn der Besatzung in Betracht zieht. Dafür sorgte auch die Überlassung von 12.000 bald zu räumenden jüdischen Häusern sowie 2.300 jüdischen Läden an ausgewählte christliche Treuhänder: eine Art von „deutscher Fürsorge“, um Kollaborateure zu entlohnen und andere zum Schweigen zu bringen. Gleichzeitig bereicherten sich manche Besatzer persönlich, nicht zuletzt Max Merten selbst.'” Die fast 100.000 griechischen Flüchtlinge, die sich nach Griechenlands Niederlage gegen Kemal Atatürks Truppen 1922 und dem darauf folgenden Bevölkerungsaustausch in Thessaloniki niederließen, zählten mehrheitlich zu den Nutznießern dieser Verteilungspolitik. Das eilig eingerichtete Baron Hirsch Viertel diente als Durchgangslager fiir die Deportation von ca. 46.000 Juden aus Thessaloniki über Belgrad und Budapest nach Auschwitz. Am 15. März 1943 rollte der erste Zug mit etwa 2.500 Bewohnern des Baron Hirsch Viertels. Anschließend wurden die Juden und Jüdinnen aus anderen Gettos deportiert, die meistens nur wenige Minuten hatten, um ihr Hab und Gut von nicht mehr als 20 Kilogramm zu packen, bevor sie zum Durchgangslager aufbrachen. Die Aufenthaltsdauer dort variierte von wenigen Stunden bis hin zu einigen Wochen.'* Angaben von Augenzeugenberichten zufolge waren die Lebensbedingungen in den überfüllten Gettos und im Durchgangslager erbärmlich, die Versorgung schwierig und das psychische Leid groß. Die Briefe der in Thessaloniki festsitzenden Jüdin Nehama Kazes an ihre Söhne in Athen sprechen hierfür Bände: Meine lieben Kinder, vergesst mich nicht... Denkt an mich jeden Augenblick, ich leide enorm. Ich hatte diese Momente vorhergesehen... Gott wird mir Gnade bescheren, damit ich nicht krank werde, wenn ich nicht vernichtet werde. Weil alles, was wir sehen, nicht so ermutigend ist.” Es liegen Quellen über grausame Vernehmungen und Folter im Durchgangslager Baron Hirsch durch Brunner und dessen Helfershelfer vor, die eventuelle Verstecke von Vermögen in Erfahrung bringen wollten. Dazu gibt es Augenzeugenberichte über Erschießungen von Juden, die vor den Deportationen zu fliehen versuchten. Die Selbstmordrate stieg an. Viele junge Paare entschieden sich kurzfristig, zu heiraten. Denn es kursierte das Gerücht, dass Verheiratete von der Rekrutierung zur Zwangsarbeit durch die Organisation Todt ausgeschlossen blieben und sie während und nach der Deportation zusammen bleiben könnten. Oberrabbiner Koretz versuchte vergeblich, bei der Kollaborationsregierung einen Stopp der Transporte zu erreichen. In Folge wurde er von Wisliceny entlassen und interniert.” Schon im Januar 1943 protestierte die mächtige linke nationale Widerstandsorganisation EAM mit einem Aufruf gegen die Verfolgung der Juden von Thessaloniki: Brüder und Schwestern... die blutgierigen Besatzer planen eines der entsetzlichsten und verabscheuungswürdigsten Pogrome an den griechischen Juden in Thessaloniki... Deshalb ruft ...(EAM) das Volk von Athen, alle Griechen und jeden einzelnen Christen auf, sich für die Rettung der Juden einzusetzen...” Jüdische Studenten organisierten eine kleine Widerstandszelle, die in Kontakt mit der Jugendsektion von EAM stand. Da es keinen gesonderten jüdischen Widerstand gab, schlossen sich ca. 500 junge Juden dem nationalen Widerstand an. Andere versuchten in Richtung Berg Pilion in Thessalien zu fliehen, dem sogenannten Freien Griechenland, das von EAM kontrolliert wurde.” Weniger als 150 Jiidinnen und Juden konnten in Thessaloniki und in den gebirgigen Gebieten in der Umgebung der Stadt untertauchen. In ihrer Verzweiflung ließen ärmere Jüdinnen ihre Kinder am Eingang des Waisenhauses Agios Stylianos zurück. Andere gaben mithilfe eines ad hoc aufgestellten Netzwerkes von Rechtsanwälten und Richtern ihre Kinder zur Adoption frei, was von der deutschen Besatzung allerdings schnell untersagt wurde.” Ca. 4.000 Jüdinnen und Juden wagten die Flucht nach Athen, das unter italienischer Besatzung stand. Außer Mut und Entschlossenheit benötigte man in der Regel viel Geld, um die Reise — mit allen involvierten Vermittlern — nach Athen bezahlen und sich ein Versteck in der Hauptstadt leisten zu können. Die lauteste Stimme seitens der Orthodoxen Kirche gegen die zunehmende Entrechtung und Deportationen der griechischen Juden war die von Erzbischof Damaskinos. Im März 1943 protestierte er schriftlich, allerdings vergeblich, gegenüber dem griechischen Premier Konstandinos Logothetopoulos, den italienischen Bevollmächtigten Pelegrino Ghigi sowie den deutschen Bevollmächtigten Günter Altenburg. Auch dem Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes in Griechenland, Rene Burckhardt, missglückte der Versuch, im März 1943 Hilfe aus der neutralen Schweiz zu mobilisieren. Der italienische Generalkonsul in Thessaloniki, Guelfo Zamboni, tat alles in seiner Kraft Stehende, um Juden vor der Deportation zu retten. Insgesamt 500 Juden aus Thessaloniki konnten schließlich die Stadt verlassen, darunter ca. 100 ohne italienischen Pass.” Die Zerstörung der historischen jüdischen Gemeinde von Thessaloniki sowie der kleineren aus den nordgriechischen Städten Veria, Florina, Nea Orestiada, Soufli und Didimoticho wurde am 10. August 1943 mit dem 19. Transport aus Thessaloniki besiegelt. Mehr als 96 Prozent der Deportierten wurden in den Gaskammern in Auschwitz-Birkenau ermordet oder starben an den unmenschlichen Lebensbedingungen in den Lagern und auf den Todesmärschen im Winter 1945, die auf die Evakuierung der Lager folgten. In dem Zug, der Thessaloniki am 2. August 1943 verließ, wurden 510 Juden spanischer Nationalität nach Bergen-Belsen deportiert. Darunter befanden sich ca. 75 sogenannte „privilegierte Juden“, u.a. Oberrabbiner Koretz und seine Familie. Über die jüdischen Gemeinden von Alexandroupoli, Komotini, Serres, Kavalla, Xanthi und Drama, die in der bulgarischen BeSeptember 2021 49