wieder zur Herausgeberin geworden, indem sie dazu noch den
Band Louise Michel: Texte und Reden (2019) edierte, worin sich
auch Legenden der indigenen Bevölkerung finden, die Louise
Michel aufgezeichnet hat — hierbei ebenfalls gegen die koloniale
Herrschaft kämpfend.
Der Roman Die Anarchistin und die Menschenfresser, Ruth Klüger
schrieb ein Vorwort dazu, wirkt wie eine Fortsetzung jener histo¬
rischen Romane des Exils, die einen anderen Blick auf die Histo¬
rie werfen und in denen Geschichte und Gegenwart zusammen¬
fließen. Von zahlreichen historischen Romanen unterscheidet
dieser Roman sich jedoch dadurch, dass hier ein feministischer
Standpunkt eingenommen wird. Die Heldin ist keine Projekti¬
onsfläche von Freiheit, keine Allegorie der Menschlichkeit, und
auch keine bloße Gefährtin der kämpfenden Männer. Sie ist eine
Kämpferin, mit wichtigen Schriften und Handlungen, eine Heldin
in einem eigenständigen, höchst klugen und differenzierten Sinn.
Zahlreiche Porträts zu Frauen — „Heldinnen und Vorbilder“, wie
Eva Geber sie nennt — finden sich in dem von ihr herausgegebe¬
nen Band „Der Typus der kämpfenden Frau“. Frauen schreiben
über Frauen in der Arbeiter-Zeitung von 1900 bis 1933 (2013), in
dem auch Luise Michel vorkommt. Es sind zwei Gruppen von
„kämpfenden Frauen“, die aber hier im Buch und auch sonst eine
Einheit bilden, nämlich die kämpfenden Autorinnen der Arbei¬
ter-Zeitung, deren Leben und Werk Eva Geber darstellt, sowie
die von ihnen verfassten Zeitungsartikel über kämpfende Frauen
wie Olympe de Gouges, Therese Schlesinger, Rosa Luxemburg
und viele andere. Die von Eva Geber geschriebenen Porträts sind
zutiefst jenem sonst gerne beiseite geschobenen Gedanken ver¬
bunden, dass die Geschichte von emanzipatorischen Kämpfen
ihre Bedeutung für die Gegenwart hat, mit dieser verbunden ist,
und, entsprechend erkannt, eine Perspektive für künftiges Han¬
deln bieten kann. Das Wissen darum ist freilich nicht von selbst
gegeben. Immer wieder, so Eva Geber, sei der Faden abgerissen,
der Faden jener Tradition von kämpfenden Frauen, an den es an¬
zuknüpfen gilt. Und dieses Abreißen erfolgte nicht bloß durch
historische Distanz oder einfaches Vergessen, sondern war mit
Unterdrückung und Negation von Leben und Werk dieser Frau¬
en verbunden. Austrofaschismus und Nationalsozialismus lösch¬
ten die Erinnerung an sie brutal aus. Nicht wenige der hier port¬
rätierten schreibenden Frauen, Sozialistinnen und Jüdinnen,
wurden von den Nationalsozialisten verfolgt und ins Exil getrie¬
ben. Eine Auswahl der Texte von Eva Geber aus diesem Buch
bietet übrigens der im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft
erschienene kleine Band mit Texten der Preisträgerin und des
Preisträgers, den Alexander Emanuely aus Anlass der Vergabe des
Theodor Kramer Preises zusammengestellt hat.
Die Arbeit von Eva Geber ist unerschöpflich und geht immer wei¬
ter: Zum Zeitpunkt der Preisverleihung schon abgeschlossen,
aber noch nicht erschienen, ist der von ihr edierte Band mit Tage¬
büchern aus dem Exil der Madame D’Ora, der bedeutenden jüdi¬
schen Fotografin, die mit bürgerlichem Namen Dora Kallmus
hieß, und die in Wien und später in Paris ihre Ateliers hatte.
Madame D’Ora floh nach der Okkupation Frankreichs durch die
Nationalsozialisten in den Süden Frankreichs, wo sie in einem
Bergdorf Tagebuch führte, Essays und einen Roman schrieb. Sa¬
gen lässt sich heute schon, dass dies ein Buch von großer Bedeu¬
tung ist, und, nebenbei bemerkt, berührt sich die Thematik mit
den intensiven Bestrebungen der Theodor Kramer Gesellschaft
um die Entdeckung von Autobiografien und authentischem
Schreiben des Exils.
Unerschöpflich ist auch das Schreiben von Richard Schuberth, er
ist Schriftsteller aller Gattungen, Verfasser von Romanen, Sach¬
büchern, Theaterstücken, Drehbüchern, Essays, Gedichten,
Aphorismen, Songtexten und war auch als Kabarettist, Schau¬
spieler, Cartoonist tätig. Eine dreibändige Sammlung seiner so
unterhaltsamen wie unerbittlichen Essays, Polemiken, Reden, Sati¬
ren trägt den Übertitel Rost und Säure (2013), was wie ein Motto
für seine gesamte widerständige Poesie wirkt, deutlich und ge¬
heimnisvoll. Parteilichkeit ohne Verklärung bieten alle seine Werke,
und sie überraschen, denn wir glauben, über das jeweilige Thema
etwas zu wissen, und lernen so viel, dass aus dem Dazulernen ein
Umlernen wird. Auch wie man eine Gattung, ein Genre nutzen und
es zugleich verwandeln kann, lässt sich dabei lernen.
Im Roman Chronik einer fröhlichen Verschwörung (2015), ein
Schelmenroman mit Außenseitern und Trendsettern, geht es um
den Umgang mit dem Nationalsozialismus im Österreich der Ge¬
genwart, um Kritik an der gängigen Benutzung des Ihemas für
neue Formen der Gleichgültigkeit durch Literaturbetrieb und
Gedenkstunde. Der Roman Bus nach Bingöl (2020), in dem ein
in Österreich lebender Politikwissenschaftler und Sozialarbeiter
— Ahmet Arslan, ein ehemaliger kurdischer Widerstandskämpfer,
der in der Türkei Haft und Folter erleben musste — nach langen
Jahren des Exils wieder in sein Heimatdorf reist, um seine Mutter
zu sehen, führt uns zum Leben der Kurden und Kurdinnen in der
Türkei, erzählt über Verfolgung, Widerstand, Anpassung. Es ist
eine Geschichte ohne jegliche Idealisierung, die uns gerade des¬
halb für den kurdischen Widerstand einnimmt. Konsequente
Absenz von Verklärung prägt auch die historisch-politische Dar¬
stellung Lord Byrons letzte Fahrt. Eine Geschichte des griechischen
Unabhängigkeitskrieges (2021). Beim Lesen können wir darüber
erschrecken, wie uns vom Autor die tradierten Illusionen genom¬
men werden, und doch entfaltet dieser epische Geschichtsschrei¬
ber durch seine vielsträngige Erzählung in uns eine Idee von Frei¬
heit, die es einzulösen gelte.
Richard Schuberth, der mit seinem Buch Karl Kraus. 30 und drei
Anstiftungen (2016) eine Sammlung von grundlegenden Essays
zum Werk des von ihm verehrten Satirikers vorgelegt hat, bietet
in zahlreichen Gattungen seine eigenen unendlichen Möglichkei¬
ten von Satire, die stets Angriff bedeuten. In der erwähnten Chro¬
nik einer fröhlichen Verschwörung lässt er seinen Protagonisten
(den siebzigjährigen Philosophen Ernst Katz) für seine Protago¬
nistin (die siebzehnjährige Biggy Haunschmid) redegewandt eine
negative Typologie deutschsprachiger Gegenwartsliteratur skiz¬
zieren. Die Rede dieses zeitgenössischen Nörglers im Kraus’schen
Sinn bietet eine kompromisslose Kritik literarischer Selbstgenüg¬
samkeiten und Attitüden, ihre Zusammenstellung scheint einen
Katalog jener Werke zu bilden, die sich weit weg vom Theodor
Kramer Preis befinden. Als „Ahnvater“ der hier attackierten Er¬
scheinungen gilt ihm Thomas Bernhard, dessen beliebte
Schimpfreden als Ersatzlektüre für die kritischen Möglichkeiten
von Literatur — wohl auch für die Exilliteratur — gedeutet und
attackiert werden.
Richard Schuberths gesamtes Schreiben widersetzt sich einer Li¬
teratur, die nur sich selbst kennt. Zu diesem großen Gegenent¬
wurf gehören auch die kleinen Formen, seine Aphorismen. Im
genannten Band zur Preisverleihung finden sich Richard Schu¬
berths Überlegungen zu Aphorismen ausgewählt. Anknüpfend