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Argument aufkäme: Leute wie Konstantin
Kaiser und ich seien vom CIA bezahlt?
Auf die Ukraine lässt sich alles projizieren:
Antislawismus, Antisemitismus, Antifemi¬
nismus. Letzter genährt durch die seit den
I0ern in europäische Bordelle verschlepp¬
ten Frauen und Mädchen aus der Ukraine.
Deutschsprachige Freier kommentierten
den russländischen Angriffskrieg auf die
Ukraine in Freierforen mit purer Men¬
schenverachtung. “Ukraine is not a Brot¬
hel!” war eine der größten und beharrlichs¬
ten Aktionen von FEMEN in der Ukraine.
Ich interviewte FEMEN-Gründerin Anna
Gutsol und ihre MitstreiterInnen 2010 in
Kyjiw. Wenn ich an unser Gespräch den¬
ke, ist das Cafe, in dem wir in der Runde
saßen, zum Greifen nah — und unendlich
fern.

Am 9. Juli 2022 berichtet Michael Han¬
feld in der Frankfurter Allgemeinen vom
Interview mit der ukrainischen Notfall¬
medizinerin Julia Pajewska, bekannt unter
“Taira”, jener Frau, die mit einer Bodycam
ihre medizinischen Einsätze in Mariupol
filmte, mit dem eisernen Willen, so gut wie
irgend möglich zu helfen - einmal erleidet
sie einen Schreikrampf: als den Medizine¬
rInnen ein kleiner Bub unter den Händen
stirbt. Sie ist Mutter einer minderjährigen
Tochter. Ihr gelang es, den letzten Bericht¬
erstattern aus Mariupol vor deren Flucht
die Aufnahmen zuzustecken. Diese konn¬
ten sie erfolgreich durch die russländischen
Checkpoints bringen, versteckt in einem
Tampon. Mitte März geriet sie in Gefan¬
genschaft. Als “Nazi” wird sie psychisch
und physisch gefoltert. Sie kam im Zuge
eines Gefangenenaustausches frei. Im In¬
terview mit dem CNN sagt sie:

“Sie sagten, die ganze Welt muss sich
Grofrussland unterwerfen. Das sei vorher¬
bestimmt. Wir müssten es akzeptieren und
aufhören, Widerstand zu leisten.“

“Das Horrende”, so Witte, der Slawische
Literaturen in Berlin und an der Higher
School of Economics in Sankt Petersburg
lehrte, über den neuerlichen, am 30. Juni
veröffentlichten Appell deutscher und ös¬
terreichischer Intellektueller gegen Waf¬
fenhilfe für die Ukraine und für “Ver¬
handlungen mit Putin”: “ist ebendies: dass
der Widerstand keine Stimme hat.”

Dass der Widerstand delegitimiert wird,
auf jede denkmögliche Art.

Nationalistisch sei er, sinnlos, leidvoll.

2014:

68 — ZWISCHENWELT

Acht Jahre Appeasement gegeniiber der
russländischen Föderation

Acht Jahre muss mich indirekt die russlän¬
dische Propaganda erreicht haben

Denn mir ist es erst am 24. Februar 2022
— acht Jahre nach der Annexion der Krim,
am 24. Februar 2014, dem größten Land¬
raub in Europa nach dem Zweiten Welt¬
krieg, und 102 Jahre nach der Gründung
der NSDAP in Deutschland am 24. Feb¬
ruar 1920 — wie Schuppen vor den Augen
gefallen:

Was geschah der Ukraine seit 2014? Den
Bericht über “Izolaja”, das russländische
Foltergefängnis in den besetzten Gebie¬
ten: Hatte ich das tatsächlich nie gelesen
— oder weggeklickt? Dachte ich, es sei
übertrieben? Einseitig? Fiel das Grauen auf
die Opfer zurück? Warum gab es nie einen
Besuch der UN-Menschenrechtskommis¬
sion in den russländischen Straflagern?
Das Gulag-System wurde in der Russlän¬
dischen Föderation, diesem Nachlassver¬
walter der Sowjetunion, nie abgeschafft!
Warum schob ich meine Besuche in die
Ukraine immer wieder auf? Warum wis¬
sen wir so wenig über die Verbreitung des
Faschismus in Russland?

Warum wurde so wenig berichtet über:
soziale Lage, Extraktionswirtschaft, Will¬
kür? Über junge Männer, die beim Mili¬
tärdienst geköpft werden? Warum herrsch¬
te Schweigen im Westen über die „inneren
Verhältnisse“, die so frappierend direkt von
der Allrussischen Offiziersversammlung in
ihrem am 31. Jänner 2022 veröffentlichten
„Appell an den Präsidenten und die Bür¬
ger Russlands“ beschrieben wurden? (Das
Iwaschow Dokument: Appell zum Wi¬
derstand gegen Putins Kriegspläne in der
Ukraine). Warum ignoriert das Oberhaupt
der katholischen Christenheit noch immer
die Jahrzehnte alten Verbindungen zwi¬
schen dem Patriarchen von Moskau und
dem russischen Geheimdienst?

Warum sind selbst jetzt die faschistischen
Ideologen Alexander Dugin, Alexander
Prochanow, Iwan Iljin, die Wagner-Grup¬
pe ein Orchideenthema, und findet Timo¬
thy Snyders Analyse, bei der barbarischen
russländischen Ideologie im Kreml hand¬
le es sich um Schizofaschismus, so wenig
Widerhall? Snyder ist ein renommierter
Wissenschaftler, ein Experte des Faches:
Warum so wenig Diskussion darüber, was
Schizofaschismus ist? Dass in der Sowjet¬

union Faschismus nie definiert wurde?
Dass der Hitler-Stalin-Pakt die größte
Kollaboration mit dem Nationalsozialis¬
mus war, die den Zweiten Weltkrieg erst
ermöglichte?

2022: Ansprache des ukrainischen Präsi¬
denten nach dem russländischen Überfall
auf die Ukraine:

“Die Ukraine wird von einem Staat mit
der größten Armee angegriffen und von ei¬
nem Staat mit der größten Straflosigkeit.”

Sechzehnjähriger Sohn eines Politikers
auf der Flucht entführt, in monatelanger
Gefangenschaft. Muss täglich den Folter¬
keller vom Blut säubern. Der gefolterte
Priester, vor dem Suizidversuch, um der
nächsten Folter zu entkommen, fleht ihn
an: Schau, dass Du flüchten kannst, erzähl
allen, was hier passiert. Damit mein Tod
nicht umsonst ist.

Vierjähriges Mädchen, vergewaltigt, hin¬
gemordet, auf die Leiche der ebenfalls ver¬
gewaltigten ermordeten siebzehnjährigen
Schwester geworfen. Elfjährige Buben vor
den Augen ihrer Mütter vergewaltigt, zwei
sterben an ihren Verletzungen. Baby ver¬
gewaltigt, ein Bub, einendhalb Monate alt,
stirbt.

Die Familie eines ukrainischen Polizis¬
ten aus Nova Kachowka auf der Flucht in
ihrem Auto beschossen. Alle Erwachsenen
sterben sofort, die Kinder, eine sechsjäh¬
rige Tochter, ein eineinhalb Monate alter
Sohn, schreien eineinhalb Stunden im
Auto, bis sie sterben, niemand durfte sich
ihnen nähern.

Junge Männer, gefesselt, auf ein Feld ver¬
bracht, eine Woche werden sie dort bei
minus zehn Grad gezwungen, auf dem
Boden zu liegen, in ihre Mitte wird ein
ermordeter Dorfbewohner geworfen: “Da¬
mit ihr besser schlafen könnt.”

Ein russländischer Kommandant richtet
sich in einer ukrainischen Wohnung ein
Folterzimmer ein.

Eingebranntes faschistisches Swastika-Zei¬
chen auf den Bauch einer Frau, vergewal¬
tigt, ermordet.

Die OSZE berichtet: Russländische Sol¬
daten schneiden ihren Opfern die Ohren
ab, brechen Zähne heraus.
BewohnerInnen eines Altenheims, alle
versammelt in einem Raum, wo am längs¬
ten die Sonne durchs Fenster schien. Alle
erfroren. Niemand kam zu ihnen durch.
Eine Frau, die nach langer Zeit aus dem
besetzten Mariupol flüchten konnte, er¬
zählt: Ich nahm mir fest vor, der russländi¬
schen Propaganda nichts zu glauben. Aber