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NACHRUFE

Karl Pfeifer gestorben. Geboren 1928 in Baden bei Wien, flüch¬
tete er 1938 nach Ungarn, 1943 nach Palästina; 1951 kehrte er
nach Wien zurück. Über die Stationen seines Exils und über die
Rückkehr hat er autobiographische Skizzen verfaßt, für deren
Erstpublikation er Zwischenwelt erwählte, als eine Werkstatt des
Erinnerns und der Vergegenwärtigung des Exils. Zusammenge¬
fasst hat er sie später, 2013, in dem Band Einmal Palästina und
zurück. Mit besonderer Bitterkeit sprach und schrieb er immer
wieder darüber, wie die „Heimat“ den unerwünschten Rückkehrer
aufnahm und ihm jede Entschädigung vorenthielt. Dieser gegen¬
über den Exilierten praktizierte Antisemitismus hat ihn, dessen
Leben auch sonst nicht mit Annehmlichkeiten tapeziert war, früh
auf die Spur eines „linken“ Antisemitismus gebracht, stieß er in
Wien doch auf Beamte und Politiker, die mehr oder weniger
offen die „Lösung der Judenfrage“ durch die Nationalsozialisten
akzeptierten. Nicht nur in den Reihen der Sozialdemokratie, auch
bei den Kommunisten war Judenfeindliches nicht ungewöhnlich.
Ehe Karl Pfeifer immer wieder Beiträge für ZW verfasste, kam es,
ich erinnere mich, bei einer Veranstaltung im Republikanischen
Club, in der Frank Tichy eine kritische Biografie Friedrich Torbergs
vorstellte, zu einer heftigen Kontroverse. Torberg, dessen Tätigkeit
für die CIA für Tichy Anlass zur Kritik war, wurde als einer, der
sich offen zu seinem Judentum bekannt hatte, leidenschaftlich und
lautstark verteidigt, bis der Autor Tichy schließlich das Vortragspult
räumte und ich, als mitveranstaltender Moderator, kleinlaut die
Veranstaltung schloß.

Wir hatten auch bessere Momente. Selbst einige mit K.P ge¬
zeichnete „Verstreute“ erschienen in ZW, damit das Genre jener
Minipolemik befördernd, das in der Regel mein Geschäft war.
Pfeifer verstand es, das Schiefe und Falsche auch in seiner bloßen
Andeutung zu dechiffrieren. Es ist nicht seine Schuld, wenn er
immer wieder auf Antisemitisches aufmerksam machen musste.
Leider ist ein Sammelband von Pfeifers Essays mit dem Titel
Nicht immer ganz bequem 1996 praktisch unter Ausschluß der
Öffentlichkeit erschienen. Ein Unbequemer war er; und so mußte
er auch 90 Jahre und mehr werden, um für seine jahrzehntelange
Aufklärungsarbeit endlich gewürdigt, ausgezeichnet zu werden.
Unser freundliches Nebeneinander, wie ich die Art von Sympathie,
die mich mit Karl Pfeifer verband, bezeichnen könnte, hatte mit
einer Kontroverse begonnen und endete auch mit einer solchen.
Auf meine Glosse Groteskes in Sachen Antisemitismus hin schrieb
er einen äußerst scharfen Leserbrief an ZW, der mich zuerst zu
der falschen Annahme verführte, dies sei nun eine Reaktion auf
meine Parteinahme für den nationalen Befreiungskampf der Uk¬
raine. Doch verzog sich das drohende Gewitter mit einem milden
Hauch der Versöhnung. Am 2. Oktober 2022 schrieb mir Karl:
„Deine Haltung zum Krieg gegen die Ukraine finde ich sehr gut
und lobenswert.“ Ich verhehle nicht, daß mir diese Worte gut
getan haben. Pfeifers letzte große Sorge galt aber dem politischen
Islam und der Tendenz, jede Kritik an ihm als „islamophob“,
kolonialistisch oder rassistisch zu denunzieren und damit eine
dem Islamismus gegenüber verfehlte Toleranz einzufordern. Die
Documenta 2022 hat gezeigt, wohin das führt: zur Verherrlichung
von Gewalt und offenem Antisemitismus.

Konstantin Kaiser

Zum Tod von Cecile Cordon (1939 - 2023)

Ich wusste davon, daß sie zuckerkrank war, nicht aber, wie schlimm
es um die Durchblutung ihrer Beine stand, um die mörderischen
Gefäßverschlüsse, Gangräne und wie die ganze Höllenschar heißt.
Ein Bein mußte amputiert werden. Die Amputation des anderen
stand bevor. Sie wollte nicht leben, wenn sie kein eigenes Leben
mehr führen konnte. Ein eigenes Leben führen! Im April 2022
hatten wir noch über Odessa verhandelt, über einen Bericht, eine
Reportage, die C£cile geschrieben hatte über die Straßenkinder
von Odessa, mit berührenden Fotos; der Bericht war aber schon
einmal in Zwischenwelt erschienen. Er wäre wieder aktuell gewesen,
aus bedauerlichem Anlaß. Eine Weile hatte Cecile Ukrainisch
in Odessa gelernt, hatte für ein Kinderheim Geld gesammelt,
internationale Verbindungen geknüpft.

Das Problem ist, daß es eines eigenen Forschungsprojekts bedürfte,
allen Aktivitäten dieser in vielem geheimnisvollen Frau nachzugehen,
die oft etwas als selbstverständlich erscheinen ließ, was gar nicht
selbstverständlich war. Eine Schauspielerin, hervorragende, wohl¬
klingende und genaue Rezitatorin mit dunkel tönender Stimme,
tätig in Fernschfilmserien und für den österreichischen Rundfunk,
im Ensemble des Theaters der Jugend in Wien, vierzehn Jahre auch
in Hamburg, München und anderen deutschen Stadten an Theatern;
Theodor Kramer-Gedichte Vortragende bei vielen Veranstaltungen.
Dann klingt mir im Ohr ein Wort ihres Sohnes, ausgesprochen
ohne Bitterkeit: „Wir waren eigentlich immer arm.“ Man möchte
meinen, ihre vielfaltigen Engagements hatten Cécile keine Zeit
gelassen, auch noch Geld zu verdienen. Als vielfach Begabte hatte
sie wohl einige Mühe, sich selbst gerecht zu werden. Dass sie ne¬
benher mehrere Bücher schrieb und herausgab, so eine Geschichte
des Wiener Riesenrades, dessen Schicksal mit einer von den Nazis
verfolgten jüdischen Familie verbunden was, so die Lebensgeschichte
der tschechisch-ésterreichischen Widerstandskampferin Irma Trksak,
so auch - paradoxe Intervention - die Biografie der mit den Nati¬
onalsozialisten sympathisierenden Schriftstellerin und Gutsherrin
Imma von Bodmershof. Vielleicht gab es fiir Cécile Cordon eine
unerfüllte Sehnsucht nach einem festen Boden unter den Füßen,
einem Platz für Wurzeln sozusagen, nach einem unerschütterbaren
Lebensmittelpunkt und einer abgerundeten Umgebung, in der sich
das Leben von Menschen ganz gemach beobachten ließ. Vielleicht
hatte sie sich darum die Bürde eines Hausbesitzes in der Kleinststadt
Drosendorf auferlegt, fern dem Mexikoplatz und dem Stuwerviertel,
das sie über Jahre als grüne Bezirksrätin im Bezirksparlament vertrat.
Vier Jahre war sie auch als SeniorInnensprecherin der Grünen im
Wiener Gemeinderat. Zur Kultursprecherin hätte sie besser getaugt,
Kennerin des wirklichen praktischen Lebens und der Lebensnöte
von „Kulturschaffenden“, die sie war.

Einen zentralen Platz in ihren weitgespannten Interessen hatte die
Poesie, die sie nicht nur selbst schrieb, sondern sammelte, herausgab,
teils in Zusammenarbeit mit der Theodor Kramer Gesellschaft
und ihrer Zeitschrift und dem Bukowina-Kenner Helmut Kusdat.
Geblieben ist davon ein Monument: Der große Sammelband „An
der Zeiten Ränder“, Geschichte, Verfolgung, Kultur der Bukowina.
So vieles hat Cécile Cordon angeregt, so vielen geholfen, so viel
gewusst und geahnt. Und konnte auch Eines: über sich selbst lachen.

Am Sonntag, 11. Februar 2022, ist Cécile Cordon in Wien im
Krankenhaus gestorben.

Konstantin Kaiser

MAI 2023 9