Verhältnissen ohne Aussicht auf deren Verbesserung. Verführt auch die vielen Namen auf den Krieger-Denkmälern. Als Gefallene
oder verblendet von Versprechungen, Ehre und Heldentum zu sind sie mir trotzdem näher als die Heimkehrer, die sich im
erlangen, Kameradschaft zu erleben. Viele lockte die Abenteu- Kameradschaftsbund zusammengetan haben und immer noch
erlichkeit des Soldatenlebens, die Aussicht auf ein Ende ihrer paramilitärisch aufmarschieren. Den Schmerz der Angehörigen
bis dahin erfahrenen Welt- und Wertlosigkeit. Armen Bauern- um die Gefallenen kann ich honorieren, aus ganzem Herzen.
söhnen wurde „endloses Land im Osten“ zur Bewirtschaftung Was hat das nun alles mit den Stolpersteinen zu tun, die wir
versprochen, wie zum Beispiel meinem Onkel Hans vom Lehen- für die anderen prägen lassen wollen?
bauern in Goldegg, einziger Sohn seiner verwitweten Mutter,
der kaum volljährig geworden, sich 1941 zum Russlandfeldzug 7 Das Beispiel meiner Verwandten vor Augen — hier der Name von
meldete. Das Foto von seiner Stellung zeigt einen bartlosen, Onkel Hans auf dem Kriegerdenkmal — dort meine Großmutter,
sanft ausschenden jungen Burschen, fast noch ein Kind, un- die ich wenn möglich durch einen ihr gewidmeten Stolperstein
ter einer mächtigen Wehrmachtskappe. Viele dieser Männer in Erinnerung rufen will— meine ich, dass es als erstes Gespräche
waren schlecht informiert und politikfern, stelle ich mir vor, braucht. Im Schloss oder noch besser im Wirtshaus. Wahrschein¬
wie auch der 21-jährige Hans, einziger Bruder meiner Mutter. lich braucht es viele Gespräche, weil es Verhärtungen gibt. Und
Die Heereszugehörigkeit in schöner Uniform war attraktiv für viele Vorurteile. Wie die Konflikte um die Goldegger Chronik
einen, der nie ein gescheites Gewand und kaum eine gescheite und ihren, aus unserer Sicht missglückten, Zusatzband zeigen,
Ansprache hatte. Die meisten einrückenden Soldaten waren können wir nicht einmal von einem gemeinsamen Narrativ der
einfach tatendurstig, sie wollten nicht Täter werden, wie wir Gemeinde-Geschichte ausgehen.
sie heute nennen, sondern einfach der eigenen Misere entflie¬
hen, nicht Opfer ihrer Verhältnisse werden. - Wenige Monate, 8 Unsere Aufgabe mit dem Projekt „Stolpersteine für Goldegg“ sähe
nachdem Johann Baptist Etzer junior eingerückt war, bekam ich zunächst darin, Gesprächsrunden aufzubauen. Auf Debatten
seine Mutter die Nachricht, dass er gefallen ist. Sein Name steht über die Chronik etc. würde ich mich erst gar nicht einlassen.
bestimmt auch auf dem Kriegerdenkmal in Goldegg. Auf dem Es könnte ausgehend von einem „Projekt Stolpersteine“ um
Pendant dazu, demjenigen vom 1. Weltkrieg, steht der Name eine gemeinsame Erinnerungs-Kultur gehen. Ziel wäre eine
meines Großvaters, ebenfalls ein Johann Baptist Etzer, nicht. Verständigung zwischen noch schr distanzierten Gruppen in
Er kam schwer versehrt nach Hause, lebte noch ein paar Jahre der Goldegger Bevölkerung. Wir sind ja inzwischen alle Nach¬
und starb an den Folgen seiner Kriegsverletzung aus dem 1. kommen, das vereint uns. Der Prozess wird langwierig sein und
Weltkrieg. Sein einziger Sohn Hans und meine Mutter hatten mühsam. Aber ohne diesen Brückenschlag zwischen den Nach¬
keine Erinnerung an ihren Vater. kommen geht gar nichts.
4 Alle sollten mitsammen erinnert werden. In einem Gespräch mit 9 Thema der Gesprächsrunden: Es ist einfach nicht gerecht, die einen
der Schriftstellerin Hanna Sukare, das ich vor einiger Zeit hatte, namentlich anzuführen und die anderen nicht. Die Opfer der
meinte sie, dass die weiteren Opfer des 2. Weltkriegs, also alle, NS-Militärjustiz sind es wert, in der öffentlichen Erinnerungs¬
die von der NS-Verfolgung aufgrund von Paragraphen, die im Kultur eine Würdigung zu erfahren. Den Deserteuren und ihren
Überbegriff „Wehrkraftzersetzung“ genannt wurden, ihr Leben Unterstützerinnen keinen Platz zu geben, stellt die gefallenen
lassen mussten oder sonst aufgrund des NS-Militärstrafgesetzes Soldaten über die Widerständigen, die erst durch das beherzte
zu Schaden und Schanden kamen, besonders die Deserteure, Engagement von Historikern / Historikerinnen einen Platz in
ebenfalls aufden Kriegerdenkmälern angeführt werden sollten. Büchern der Zeitgeschichte-Forschung bekommen haben. Also
Also auch Frauen — die Beschiitzerinnen der Deserteure, deren keine Hierarchie von NS-Opfern in der Erinnerungs-Kultur.
Mütter, Schwestern, Verlobte, die nach dem „Sturm auf Gol- Aber es soll angeführt werden, wie sie jeweils draufgezahlt haben:
degg“ nach Ravensbrück deportiert worden sind. Ihre Namen durch Tod am Schlachtfeld, durch Erschießen in den Rücken,
stehen derweil auf dem von Brigitte Höfert gestifteten Stein durch Hinrichtung, durch Folter und Kerker. Die Reihenfolge
auf privatem Grund in Goldegg. Da finden die regelmäßigen ist nicht wertend. Ihre Namen aber könnten miteinander „kom¬
Ehrungen des Vereins mit seinen oft von weither angereisten munizieren“. Auch die Denkmäler könnten kommunizieren.
Gästen statt. Offizielle Vertreter der Gemeinde machen sich
dabei rar. Das ist doch kein Zustand. 10 Welche Unterstützung können wir uns holen? Es bräuchte an¬
erkannte Personen, möglichst aus der Gemeinde. Viele Junge
5 Dann wäre da noch meine Großmutter Maria Etzer, die auf sollten dabei sein. Ich bin zu weit weg, zu alt, kenne niemand
ihrem Hof arbeitende französische Zwangsarbeiter und eine aus Goldegg, der oder die dafür in Frage käme. Brigitte Höfert
ukrainische Zwangsarbeiterin menschlich und gerecht behan- hat mich gestern anlässlich eines Telefonats an eine Lesung
delte, weshalb sie denunziert, gefoltert und verurteilt wurde erinnert von der jungen Erfolgs-Autorin Birgit Birnbacher,
und für Jahre ins Zuchthaus kam. Alle diese sind „Kriegsopfer“. angeblich aus Goldegg. Ende März wird sie im Trakl-Haus in
Nicht nur diejenigen, deren Namen auf einem „Denkmal für Salzburg ihr Buch vorstellen, darin soll es auch über Goldegg
die Opfer des 2. Weltkriegs“ stehen. “ Ich teile also die Ansicht gehen. Ich habe vor, da hinzukommen um sie kennenzulernen.
von Hanna Sukare, dass sie in der Erinnerungskultur alle zu- Sie soll kritisch über Goldegg geschrieben haben.
sammengehören.
So jemand sollten wir gewinnen für unsere Gesprächsrunden!
6 Aber mein subjektives Bewusstsein für Recht und Unrecht kann
die gefallenen Soldaten nicht ehren, auch nicht meinen Onkel Wien, 26.2.2023
Hans. Ihr Einsatz für die NS erfüllt mich mit Schaudern, so