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Kroatischen, Slowenischen, Tschechischen und Anfänge einer
eigenständigen Literatur. Das habsburgische Regime ging gegen
diese Intelligenz mit staatlicher Überwachung des Klerus, mit
Festungshaft, Verbannung und Zensur vor. Drei Jahre lang nur
war in diesem Reich, in dem schon das Studium Immanuel Kants
strafbar sein konnte, die Zensur aufgehoben.

Das Mitnaschen an der von Preußen und Rußland vorange¬
tiebenen Aufteilung Polens bescherte dem Reich einen neuen
nationalen Konfliktherd, den sich das Habsburgerreich in guter
Kolonialmacht-Manier nicht auszunützen scheute, auch wenn
diese Politik der Aufhetzung von Nationalitäten gegeneinander
zu den schrecklichsten Pogromen und Massakern führte, so etwa
beim Volksaufsatnd in der Bukowina 1843-44, fortgesetzt im
galizischen Bauernaufstand, in dem die ruthenischen Bauern die
Erbuntertänigkeit abzuschütteln versuchten, ein Aufstand, der
1846 zum Niederbrennen hunderter polnischer Herrenhäuser
und zur Ermordung tausender Gutsbesitzer und ihrer Angehö¬
rigen führte und damit auch dem polnischen Aufstand auf dem
Gebiet des Habsburgerreiches das Rückgrat brach. Daß die Juden
dabei nicht unverschont blieben, versteht sich leider von selbst.

Jedenfalls dürfte Franz Grillparzers vielzitiertes Wort

Der Weg der neueren Bildung geht

Von Humanität

Durch Nationalität

Zur Bestialität
sich auf die Vorkommnisse in der Bukowina, in Galizien und
Lodomerien bezogen haben.

Unzählige Male ist dieses Sprüchlein zustimmend im Feuilleton
und auch in Publikationen des österreichischen Exils zitiert, ja
nachgeplappert worden. Doch der Weisheit Franz Grillparzers,
der hier die störrisch um Selbstbehauptung ringende Nationalität
zum Sündenbock macht, vermag ich nicht beizupflichten.

Grillparzers Ausgangspunkt, das goldene Zeitalter der Humani¬
tät, existierte vielleicht in einer geistigen Sphäre über den Dingen,
nicht aber in der sozialen und politischen Wirklichkeit Ost- und
Südosteuropas und auch nicht in den von Österreich besetzten
und ausgebeuteten Teilen Italiens. (Vgl. z.B. Primus-Heinz Kucher,
„Herrschaft und Protest: Literarisch-publizistische Öffentlichkeit
und politische Herrschaft in Oberitalien zwischen Romantik und
Restauration, 1800-1847“.) Das zaristische Russland seinerseits
unternahm alles, was in seiner Macht stand, die ukrainische und
polnische Sprache zu unterdrücken und eine moderne Literatur
in den baltischen Ländern, die es als Glacis vor St. Petersburg
betrachtete, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Und Preußen
beließ seine vordem polnischen Gebiete in Rückständigkeit und
feudaler Mißwirtschaft, worin sich für Heinrich Heine 1822 (in
seiner Schrift „Über Polen“) das wahre Antlitz Preußens offenbart.

Paradox ist, daß der „Ochse“ Österreich, in seinem offenen
Ankampf gegen den Liberalismus, bei Heine als „anständige Bes¬
tie“ davonkommt und den nationalistischen Zirkeln der Litauer,
Polen, Ukrainer und anderer Nationalitäten in Krakau, Lemberg
und Wien zeitweise eine prekäre Zuflucht bietet.

Für die meisten Menschen in Mittel- und Osteuropa eröff¬
nete sich eine Perspektive auf Humanität, Gleichberechtigung,
Freiheit in der Gestaltung der eigenen Lebensverhältnisse erst
durch den Zusammenbruch der beiden ‚übernationalen‘ Impe¬
rien, Russland und Österreich-Ungarn. Es blieb im wesentlichen
bei einer Perspektive für eine Zwischenkriegszeit bis 1938: Dann
sollte Österreich ebenso von der Landkarte verschwinden wie

der tschechiche Staat, der als Reichsprotektorat Böhmen und
Mähren zur „Germanisierung“ vorgesehen war, und wie Polen,
daszu zu einem Sklavenreservoir entnationalisiert werden sollte.
Die ungeheuerlichen Pläne gingen noch viel weiter und währten
in gewandelter Form auf anderen Schauplätzen über 1945 hin¬
aus, indem die siegreiche Sowjetunion den russisch sprechenden
„Sowjermenschen“ über all die Völkerschaften zu stülpen suchte,
die das Unglück hatten, im Bereich der russischen Hegemonie
leben zu müssen.

An österreichischen Schulen wird vielfach noch gelehrt, nicht so
sehr der wahnsinnige Erste Weltkrieg, den das Reich 1914 vom
Zaun gebrochen hatte, habe zum Untergang geführt, sondern
die aufmüpfigen Nationen, die 1918 ihre Lostrennung und Ei¬
genstaatlichkeit proklamierten. Der Nationalitätenkonflikt, der
sich auf der Grundlage des Staatgrundgesetzes 1867 und der
damit bestehenden Duldung elementarer Bürgerrechte auf ziviler
Grundlage entfalten konnte, wird immer noch für den Niedergang
des Reichs verantwortlich gemacht.

In Wahrheit wurden die Nationalitätenkonflikte zur Machterhal¬
tung geschürt und genutzt; die Habsburgerherrschaft legitimierte
sich durch sie als die äußere Klammes,die das nicht durch eigenes
Handeln der Menschen vermittelte Ganze zusammenhielt.

Für die Endphase dieses Gebildes kann man wahrlich sagen:
Dieses Mauerwerk wurde nur mehr von den Wurzeln zusammen¬
gehalten, die es gesprengt hatten.

Die Residenzstadt Wien etablierte sich in dieser Periode heroi¬
schen Niedergangs und edler Resignation als Zentrum von Wi¬
dersprüchen, die zwar allenthalben spürbar waren, aber in Wien
nicht ausgetragen, sondern ausgehalten wurden, von vielfältigen
Spannungen, die nicht zur explosiven, revolutionären Entaldung
kamen, sondern dem Versäumen und dem Aufschub überanwortet
wurden. Insofern dies zu einer unerhörten geistigen Regsamkeit
auf den verschiedensten Gebieten beitrug (vgl. z.B. Albert Fuchs‘
kanonische Schrift über „Geistige Strömungen in Österreich;
aber auch Harry Zohns Konzept der „österreichisch-jüdischen
Symbiose“), kann man das Nicht-Ereignis einer neuen Revolu¬
tion nach der gescheiterten von 1848 nicht bedauern, sondern
nur bewundern, was auch in den knappen Jahren der Republik
1918-1934 geleistet worden ist. Eingespannt war dieses Zeitalter
zwischen zwei tiefe ökonomische Krisen, die von 1874 und die
von 1929/30, welch letztere direkt in einen aller Widersprüche
müden, selbstmörderischen Austrofaschismus führte.

Eigentlich bin ich mit meinen Ausführungen jetzt nur so weit
gekommen, ein möglicherweise differenzierteres Nachdenken
über „Nationalismus“ anzuregen. Vor allem, denke ich, sollte
man einen Blick auf Österreichs kolonialistische Vergangenheit
werfen, bevor man das Konzept „Nation“ taxfrei dem Orkus
überantwortet. Oft genug erwies sich nationaler Widerstand ge¬
rade in unserem Jahrhundert wieder als letzte appellable Instanz
angesichts imperialistischer „Bestialität.

1985, vor nun fast 50 Jahren, schrieb ich im „Wiener Tagebuch“
in einer Besprechung von Felix Kreisslers Habilitation „La prise
de la conscience nationale autrichienne“ („Die Entstehung des
österreichischen Nationalbewußtseins“):

Vom bürgerlichen Nationalismus und Chauvinismus führt kein
gerader Weg zum Faschismus. Hannah Arendt hat den qualitativen

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