horrible truth.““* Als Musik wurde fiir „Treblinka dort“ der seit
1930 in Europa populäre Tango „Oraciön“ verwendet, der Text
wurde von unbekannten AutorInnen verfasst und wohl mehrfach
umgedichtet. Frieda Bursztyn Radasky lernte das Lied, wie so
viele, auswendig. Als eine zentrale Funktion des Liedes im Ghetto
kann das Festhalten, das Dokumentieren des Erlebten geschen
werden, das erst dank Lyrik und Musik eine breite und nach¬
haltige Verbreitung findet und zu einem Zeugnis wird, welches
viele Menschen erreicht, vielleicht auch jemanden, der überleben
wird. Keine Details und komplexen Beschreibungen konnten in
diesen Liedern überliefert werden, dafür die Namen der Orte des
Mordens, das Gefühl jener, die den Terror, das Morden erleiden
mussten, mit dem Wissen versehen, wohl kaum zu überleben.
Die Liedform half, sich den Text, und damit die Botschaft, trotz
der Unmöglichkeit, diese niederzuschreiben, zu merken oder
weiterzugeben.
An dieser Stelle sei auch „Das Lied vom ausgerotteten jüdischen
Volk“ erwähnt, ein dichterisches Werk, das ausnahmsweise als
Schrift die Ermordung seines Verfassers, des Dichters Jizchak
Katzenelson und die Vernichtung von Beweisen der Shoah durch
die Nazis überlebt hat. Es wurde zwar schon 1951 unter dem
Titel „Das Lied vom letzten Juden“ in deutscher Übersetzung
publiziert, jedoch erst 2004 von Wolf Biermann, der 1994 eine
Neuübersetzung des Werkes herausgebracht hatte, vertont und
gesungen.
Das Chanson nach der Befreiung
Nach der Befreiung wurden in Frankreich im Chanson und Lied
die NS-Verbrechen und im Speziellen die Shoah lange nicht auf¬
gegriffen. Einige der Chansons können wohl als künstlerische
Zeugnisse Überlebender bezeichnet werden, wie u.a. jene von
Barbara oder Serge Gainsbourg.
1956, im selben Jahr, da Alain Resnais’ Dokumentarfilm „Nuit
et brouillard“ (Nacht und Nebel) erschien, sang Renee Lebas „La
fontaine endormie“ (Der eingeschlafene Brunnen). Es war das
erste Chanson, das den Massenmord an den Juden und Jüdinnen,
die Vernichtung des osteuropäischen Judentums, versinnbildlicht
durch einen vertrockneten Brunnen in Warschau, zum Inhalt
hatte. Der bald mit seinen Chansons für Stars wie Piaf berühmte
Eddy Marnay hatte den Text verfasst und Emile Stern die Musik
geschrieben. Die Sängerin und die Verfasser des Chansons hatten
alle drei als Juden und Jüdinnen die NS-Verfolgung im Versteck
und im Exil überlebt. 1948 begleitet Norbert Glanzberg Renee
Lebas, für die er ebenfalls etliche Chansons schrieb, auf ihrer
Tournee durch Europa, Nahost und Nordafrika.“°
Ende 1963 folgte mit Jean Ferrats Chanson „Nuit et brouil¬
lard“, das wohl bekannteste, aber aus mehreren Gründen auch
umstrittenste Chanson über jenes NS-Verbrechen, welches das
systematische Verschleppen von Oppositionellen in Frankreich,
von den Deutschen „Nacht und Nebel-Verfahren“ genannt,”
darstellt. Jean Ferrats Vater wurde als Jude in Auschwitz ermordet,
der 1930 geborene Sänger konnte in Verstecken überleben. Ob¬
wohl von offizieller Seite (ORTF bis Elysée) von der Verbreitung
des Liedes abgeraten wurde, man wollte weder an die Kollabora¬
tion erinnert, noch in der Deutsch-Französischen Annäherung
gestört werden, sollte das Chanson des engagierten Kommunisten
in Frankreich bald äußerst populär werden.“ Einen „Hit“ zu
schreiben war auch Ferrats Absicht, denn er wollte unter allen
Umständen, dass an die NS-Verbrechen erinnert wird und dass
diese Erinnerung unter die Haut geht, und sei es mit der Hilfe
des populären Twist, wie es im Lied heißt.
Je twisterais les mots sil fallait les twister
Pour quun jour les enfants sachent qui vous étiez”
Kritisiert wurde Ferrat Jahrzehnte nach der Erstausstrahlung dafür,
dass sein Chanson die spezifische jüdische Verfolgungserfahrung
nur am Rande thematisiert.*°
1966 sang René-Louis Lafforgue das Chanson „Les enfants
d’Auschwitz“ (Die Kinder von Auschwitz).°' Als Kind einer
baskischen Arbeiterfamilie kam er 1939 aus Spanien als Flücht¬
ling nach Frankreich. Er wurde Widerstandskämpfer gegen die
Nazis und nach 1945 ein enger Freund Georges Brassens’.” Sein
Lied ist ungewöhnlich, da es sich ausschließlich auf die Shoah, auf
Auschwitz bezieht, auf die dort ermordeten Juden und Jüdinnen
und vor allem auf die Kinder. Für Lafforgue, der ein spanischer
Anarchist blieb und 1961, sechs Jahre vor seinem tödlichen Aut¬
ounfall, bekennender Pariser Freimaurer wurde,” ist Auschwitz
omnipräsent. Dies bringt er mit folgendem Bild zum Ausdruck:
Immer, wenn er mit seinem kleinen Sohn beisammen ist, kann
er nicht anders, als an die ermordeten Kinder zu denken.
Quand le matin mon fils, mon gars,
Je te vois haut comme trois pommes
Me tendre les bras, mon bonhomme,
En riant pour rien aux éclats.
En te voyant mon gars, mon fils,
Je revois les enfants d’Auschwitz.
1968 publiziert die Sängerin Barbara ihr Chanson „Mon
enfance“,° in dem sie über ihre Kindheit, als Jüdin im Vercors
versteckt, singt.°° Diese poetische Reflexion eines Child Survivors
über die eigene Kindheit zeigt, wie sie sich dank Fantasie und
Flucht ins Wunderbare vor dem bedrohlichen, lebensgefährdenden
Alltag gerettet hat. Ansonsten sprach sie in der Öffentlichkeit
nicht über die erlebte Verfolgung, auch sollte „Mon enfance“ ihr
einziges Chanson über die Shoah bleiben.
Ebenfalls 1968 wurde im Pariser „Iheätre des Arts“ das Theater¬
stück „Je ne veux pas mourir idiot“ (Ich will nicht blöd sterben)
des Comiczeichners Georges Wolinski, ermordet 2015 bei dem
Terroranschlag auf Charlie Hebdo, aufgeführt. Darin kommt ein
Lied vor, das direkt auf das Morden in den Vernichtungslagern
anspielt. Die Musik stammt von Evariste, der das Chanson auch
sang. Der Vater des Sängers war als Jude in Auschwitz ermordet
worden.”
1975 veröffentlichte Serge Gainsbourg, der als Zwölfjähriger
den „Gelben Stern“ tragen musste und nur knapp der Deportation
entkam,’* das Album „Rock around the bunker“°”, das weniger auf
Empathie, denn auf verstörende Provokation setzt. Das Album
verkaufte sich im ersten Jahr über 100.000mal.°'
1982 brachte der nach der Befreiung geborene Jean Jacques
Goldman, Sohn eines jüdischen Resistance-Kämpfers, sein Chan¬
son „Comme toi“ (So wie du) auf einer Single, die bis 1983
500.000mal verkauft wurde,‘ heraus. In seinem Lied, das von
der Musik her schon mehr Pop als Chanson ist, thematisierte er
die Ermordung eines jüdischen Mädchens in Polen.° Goldman
widmete das Lied seiner Tochter. Ein altes Familienfoto, auf dem
ein Mädchen zu sehen ist, das ermordet wurde, hatte ihn zu dieser
Komposition bewegt.‘ 1988 brachte das französische Duo „Les