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hat er sich eine Zeit lang wohl der Frage gestellt, wie er im
Angesicht des Schreckens der NS-Verbrechen als Lyriker noch
arbeiten kann, und sich und uns ebenfalls darauf mehrdeutige
Antworten geliefert. So im am 14. April 1944 geschriebenen
Gedicht „Wann in mein grünes Haus ich wiederkehr“, Monate
vor der Befreiung Majdaneks und bevor er erfuhr, dass seine
Mutter Babette Kramer ermordet worden war. In dem Gedicht,
veröffentlicht 1946 als Abschluss im Band „Wien 1938 / Die
grünen Kader“ heißt es:

Ihr vielen, denen man die Knochen brach,

und wer mir etwas auf der Welt strebt nach,

kommt mir, es wird wie nie ein Singen sein

im grünen Haus daheim beim herben Wein.'”

Wenn es also ein Singen gibt, dann wird es sein wie nie...

Anmerkungen

1 Iheodor Kramer: Wien 1938 / Die grünen Kader. Wien 1946, 76.

2 Barbara Schwindt: Das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek.
Funktionswandel im Kontext der “Endlösung”. Würzburg 2005, 158.

3 Général Petrenko: Avant et aprés Auschwitz. Paris 2002. 135f.

4 Vernichtungslager. In: Time Magazine vom 21. August 1944. https://web.
archive.org/web/20081214221659/https://time.com/time/magazine/arti¬
cle/0,9171,932705,00.html (25.05.2023)

5 Theodor Kramer: Wien 1938 / Die griinen Kader. Wien 1946, 60.

6 Bernd Jentzsch (Hg.): Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Miinchen
1979, 76.

7 Vgl.: Astrid Freyeisen: Chanson für Edith. Das Leben des Norbert Glanz¬
berg. München 2003.

8 Ebda., 256.

9 Ebda., 255f.

10 Gerhard Scheit: Lyrik des Gebrauchswerts: Uber den besonderen Materialis¬
mus Theodor Kramers. In: Herbert Staud und Jörg Thunecke (Hg.): Chronist
seiner Zeit. Theodor Kramer. Jahrbuch ZWISCHENWELT 7. Wien 2000, 68.
11 Theodor W. Adorno: Engagement. In: Noten zur Literatur, Frankfurt
a.M. 1998, 423

12 Theodor W. Adorno: Engagement. In: Noten zur Literatur, Frankfurt
a.M. 1998, 424.

13 Johanna Ethnersson Pontara: Music as Wonder and Deligth. In: Jonas
Liliequist (Hg.): A History of Emotions, 1200-1800. New York 2012, 95ff.
14 Pascal Ory: UHistoire culturelle. Paris 2004.

15 Vgl.: David C. Rubin: Memory in Oral Traditions. The cognitive psycho¬
logiy of epic, ballads and counting-out rhymes. Oxford 1998.

16 Vegl.: Samuel A. Mehr et al.: Universality and diversity in human song.
ScienceVolume 366, Issue 6468, Nov 2019. DOE: 10.1126/science.aax0868
https://www.science.org/doi/full/10.1126/science.aax0868

17 Jean Amery: Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche einer
Überwältigten. Stuttgart 1977.

18 David Vyssoki, Alexander Schürmann-Emanuely, Katrin Draxl, Wilhelmine
Schneebauer: Child Survivors der NS-Verfolgung in Österreich nach 1945.
Mental Health Promotion bei schwerst traumatisierten Menschen. Eine Studie
zur Erhebung von ressourcenstärkenden Bewältigungsstrategien. Wien 2008
19 Maurice Blanchot: Vécriture du désastre. Paris 1980, 132. Es gibt eine Gren¬
ze, bei deren Überschreiten die Kunst das Unglück verhöhnt. Eig. Übersetzung,
20 Kerstin Sicking: Die Rezeption von Holocaustkompositionen. In: Béla
Räsky und Verena Pawlowsky: Partituren der Erinnerung. Der Holocaust in
der Musik. Wien 2015, 96.

21 Matias Martinez: Authentizität und Medialität in künstlerischen Darstellun¬
gen des Holocaust. Matias Martinez (Hrsg.): Der Holocaust und die Künste:
Medialität und Authentizität von Holocaust-Darstellungen in Literatur, Film,
Video, Malerei, Denkmälern, Comic und Musik. Bielefeld 2004, 9.

22 Ebda.

23 Ebda.

24 Jean-Luc Nancy: Un souffle. In: Rue Descartes, No. 15, De la résistance
(Janvier 1997), 14f. Man soll also die Shoah als enormes, verwirrtes Fliistern

18 _ZWISCHENWELT

verstehen und zugleich, nicht zuerst als eine große Zahl von “Stimmen
über” oder der Erinnerung und des erweckten Bewußtseins, sondern als
Hauch der nicht wirklich spricht, ein Hauch nach dem Wort und vor dem
neuen Wort. Im Zwischenbereich zwischen Ausatmen und Einatmen, ein
“ersticktes Wort” (Sarah Kofman). Dieser Zwischenbereich ist weder Erin¬
nerung noch Vergessen. Er gehört nicht der Geschichte an. Er gehört der
Gegenwart an: er definiert unsere Gegenwart und stellt diese zur Gänze dar,
als etwas Offenes, als lang anhaltende Ohnmacht des Sinns. Shoah oder der
Stillstand der Gegenwart. Es gab eine “Nachkriegszeit”, und eine Zeit nach
der Nachkriegszeit, aber es gibt kein Nach der Shoah. Das hält der Zeit stand,
aber nicht als gegenwärtige Vergangenheit in der Erinnerung, sondern als
vor sich gehende Gegenwart. (eigene Übersetzung)

25 Anton Pelinka, Erika Weinzierl (Hg.): Das große Tabu. Österreichs Um¬
gang mit seiner Vergangenheit. Wien 1987; Peter Bettelheim, Robert Streibel
(Hg.): Tabu und Geschichte. Zur Kultur des kollektiven Erinnerns. Wien
1994; Michael R. Marrus, Robert O. Paxton: Vichy et les juifs. Nouvelle
édition. Paris 2015.

26 Ole Löding: “Deutschland Katastrophenstaat”. Der Nationalsozialismus
im politischen Song der Bundesrepublik. Bielefeld 2010, 175f.

27 Jacques Canetti: On cherche jeune homme aimant la musique. Paris 1978.
28 Reportage „Les bourreaux et les victimes de la Shoah“ der Informations¬
sendung „Cing colonnes a la une“, RTF Télévision, 8. Mai 1964. Auf: INA
Histoire, youtube (1.12.2022).

29 Yves Courriére: Pierre Lazareff ou Le vagabond de l’actualité. Paris 1995.
30 Alexander Emanuely: Ausnahmezustand. Jura Soyfers Transit. Weitra 2013.
31 Simon Laks , René Coudy: Musiques d’un autre monde. Paris 1948.

32 Anita Lasker-Wallfisch: La vérité en héritage. La violoncelliste d’ Auschwitz.
Paris 1998.

33 Paul Cummins: Musik trotz allem. Herbert Zipper. Von Dachau um die
Welt. Wien 1993.

34 Milan Kunda: Musik an der Grenze des Lebens. Frankfurt a.M. 1998.
35 Anna Marly: Mémoires. Paris 2000.

36 Daniel Pantchenko: Jean Ferrat. Paris 2010, 89.

37 Gilles Schlesser: Le cabaret ,,rive gauche“. Paris 2006.

38 Alexander Emanuely: Avantgarde II. Vom Surrealismus bis zu den Lettris¬
tInnen oder Antikunst und Revolution. Stuttgart 2017, 66f.

39 Jacob Apenszlak: The Black Book of Polish Jewry. New York 1943, XIII.
40 Alexander Emanuely: Avantgarde II. Vom Surrealismus bis zu den Lettris¬
tInnen oder Antikunst und Revolution. Stuttgart 2017, 100f.

41 Herbert Marcuse: Kunst und Politik im totalitären Zeitalter. Einige Bemer¬
kungen zu Aragon. In: Herbert Marcuse: Kunst und Befreiung. Nachgelassene
Schriften 2. Hg. Von Peter-Erwin Jansen. Lüneburg 2000, 52.

42 Ebda., 50.

43 Ebda., 65.

44 THERE LIES TREBLINKA (TREBLINKA DORT). Auf: Music of
the Holocaust. Songs of the ghettos, concentration camps, and World War
II partisan outposts. United States Holocaust Memorial Museum. https://
www.ushmm.org/collections/the-museums-collections/collections-highlights/
music-of-the-holocaust-highlights-from-the-collection/music-of-the-holocaust/
there-lies-treblinka (11.11.2022)

45 Jizchak Katzenelson / Wolf Biermann TITEL: »Dos lied vunem ojsgehargetn
jidischn volk / Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk«. Köln 1994.
46 Astrid Freyeisen: Chanson für Edith. Das Leben des Norbert Glanzberg.
München 2003, 199f.

47 Sven Kramer: Nacht und Nebel. In: Torben Fischer, Matthias N. Lorenz
(Hg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten¬
und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld 2015, 123.
48 Daniel Pantchenko: Jean Ferrat. Paris 2010.

49 Jean Ferrat (Lyriks und Musik): Nuit et brouillard. Aleluia Productions 1963.
50 Meir Waintrater: Le véritable nom d’un genocide est le nom de ses victimes
vom 21. März 2014. Auf: https://mwaintrater.tumblr.com/post/80295564426/
un-échange-avec-jean-ferrat-sur-sa-chanson-nuit (16.12.2022)

51 René-Louis Lafforgue: Les enfants d’ Auschwitz. 1966 Editions Du Tourne¬
sol.

52 Léo Campion: Le drapeau noir l’équerre et le compas. Montrouge 1978, 146.
53 Ebda.

54 Wenn du mir morgens, mein Sohn, mein Bub / Gerade einmal drei Apfel
hoch / Deine Arme entgegenstreckst, mein Junge/ Und einfach wild drauflos
lachst, / Wenn ich dich seh, mein Sohn, mein Bub, / Dann seh ich wieder die
Kinder von Auschwitz. Eig. Übersetzung.