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weder mit mir noch mit meinem jüngeren Bruder über Glaubens¬
sachen. Wir feierten keine jüdischen Feste und keine christlichen.
Darunter scheine ich schr gelitten zu haben.

Schon in der Volksschule erklärte ich, Schauspielerin werden zu
wollen. Das wurde natürlich nicht ernst genommen. Ich kam dann
in das BRG in der Wenzgasse, damals eine reine Mädchenschule.
Dort bekam ich bei Schüleraufführungen meist die Hauptrollen.
Z.B. spielte ich den Wilhelm Tell: „Durch diese hohle Gasse muß
er kommen.“ Es war eine Offenbarung für mich, diesen Monolog
jetzt im Burgtheater zu hören - als besinnliches Selbstgespräch
— ganz ohne Pathos.

In der Mittelschule hatte ich viele Freundinnen, doch die meisten
durften mich nicht in ihr Elternhaus bringen. Eine, die ich sehr
gerne hatte, erzählte mir, ihre Mutter habe dem Vater auf dem
Totenbett versprechen müssen, keine Juden ins Haus zu lassen. So
mußte ich mich damit abfinden, daß ich an den Geburtstagsparties
meiner Schulkolleginnen nicht teilnehmen durfte.

Meine beste Freundin wohnte wie ich in Perchtoldsdorf, sie
hatte eine englische Großmutter, die nichts gegen unsere Freund¬
schaft einzuwenden hatte. Abwechselnd verbrachten wir die Wo¬
chenenden - sie bei mir und ich bei ihr. Doch auch das sollte sich
ändern. Sie trat in eine Jugendgruppe ein, in der sie Volkstänze
und Lieder lernte. Wie gerne hätte ich da mitgemacht, aber es gab
den Arierparagraphen - ein Lichtblick waren die Schulskikurse,
bei denen ich mit meinen Freundinnen zusammen sein konnte.

Ich hatte mir in den Kopf gesetzt Schauspielerin zu werden, was
mein Vater schockiert ablehnte, da ich maturieren und Medizin
studieren sollte. Der einzige Ausweg, der sich mir bot, war der
Perchtoldsdorfer Arzt, Dr. Stern, der mich heiraten wollte — vor
der Matura. So verließ ich nach Abschluß der 7. Klasse die lästige
Schule und nahm Schauspielunterricht, der durch die Geburt
meiner Tochter Ruth unterbrochen wurde.

Mein Mann war Zionist und hatte die Absicht, nach Palästina
auszuwandern. Da fing ich an Hebräisch zu lernen, umsomehr
da mir seine Freunde schon erklärt hatten, daß ich in Wien als
Jüdin nie ein Engagement erhalten würde. Mein Schwiegervater —
Perchtoldsdorfer Arzt im Ruhestand, der sich nun seinen Hobbies,
Gärtnerei und Hebräisch, widmen konnte - unterrichtete mich,
und da mich Sprachen schon immer schr interessiert hatten,
erlernte ich diese einfache, schöne Sprache sehr schnell.

... Dann kam der berühmte 11. März und mit ihm Hitler. Es war
ein sehr schöner Tag und Schnee gab es auch, also fuhr ich mit
meinem Bruder nach Baden und wir stiegen aufs Eiserne Tor. Dort
gibt es eine sehr schöne Abfahrt über die Orchideenwiese. Doch auf
den letzten Wiesen unten da haperte es mit der Unterlage. Mein
Bruder fuhr Schuß voraus ich ihm natürlich nach und plötzlich
war da ein Maulwurfshügel und ich machte einen Kopfsprung
direkt auf die Nase. Zufällig kannte ich den Hals-Nasen-Ohrenarzt
in Baden, wir fuhren gleich hin und er tamponierte mir meine
gebrochene Nase. Gegen die schönen blauen Ringe, die ich um
die Augen bekam, konnte er natürlich nichts machen. Zuhause
hörten wir die Abdankungsrede Schuschniggs, wir fuhren aber
trotzdem in die Stadt, denn es war ein Freitag, da tagte immer
die Gesellschaft der Ärzte und mein Mann traf sich nachher mit
seinen Arztefreunden und ihren Frauen im Kaffeehaus.
Natürlich wurde der drohende Einmarsch der Deutschen dis¬
kutiert. Als wir gegen Mitternacht nach P’dorf fuhren, wurden wir
bereits von SS-Männern aufgehalten. Wider Erwarten nahmen
sie uns nicht das Auto weg - sie wollten nur mitfahren. Ich saß

benommen mit verschwollenem Gesicht dort, ich muß sagen, es
war mir ziemlich unheimlich.

Mein Mann fuhr einige Tage später als Tourist nach Palästina.
In Perchtoldsdorf gab es illegale Nazis, die mit ihm Kammermusik
gespielt hatten und für sie war er ein anständiger Jude, weil er
sowieso auswandern wollte, und sie waren ihm behilflich.

Ich mußte mit dem 2jährigen Kind zurückbleiben und den
Haushalt auflösen und vor allem auf die Einreise-Erlaubnis der
Engländer warten, Palästina war ja damals Mandatsland.

Eines Morgens befahl man mir, sofort auf den Marktplatz zu
kommen, ich solle arbeiten. Ich wurde ins Gefängnis geführt,
um dort das WC zu putzen, doch das dauerte nicht lange, da
kam einer und sagte, die Leute möchten zuschauen und schen
wie die Frau des Arztes arbeitet, ich solle hinauskommen und
die Autos am Platz waschen. Da sagte ich ihnen meine Meinung
— man wußte damals nicht, was alles passieren konnte — „Ich
bin so froh, daß ich endlich einmal Autos waschen darf. Mein
Mann hat mir das nie erlaubt, der sagte immer, ich würde ihm
den Lack zerkratzen.“

Ich bekam einen Schlauch und spritzte die Autos ab, die vor
dem Rathaus geparkt waren. Viele Leute standen um mich herum,
gafften und machten boshafte Bemerkungen. Ich fing zu singen
an, essollte niemand glauben, ich wäre deprimiert oder beschämt.
Nein - ich sang sogar die „Hatiqua“, die jüdische Nationalhymne.

Einer von den illegalen Bekannten meines Mannes wollte für
mich intervenieren, doch da sagte man ihm: Wenn es dir nicht
paßt, kannst du selbst auch waschen. Das wollte er nicht. Doch
ein Soldat kam und meinte laßts doch das arme Madl in Ruh —
und er half mir. Das war alles am Anfang noch möglich.

Am Abend wurde ich nachhause geschickt mit dem Befehl in der
Früh um 6.30 Uhr wieder zur Stelle zu sein. Meine besorgen EI¬
tern, die sich um mein Kind kümmerten, sagten, selbstverständlich
mußt du hingehen. Ich aber hatte mehr Glück als Verstand, ich
fuhr um 6 Uhr in der Früh nach Wien zu einer Freundin und die
Herrschaften vergaßen, daß sie mich bestellt hatten.

Ich hörte später, daf? meine katholische Volksschullehrerin,
Tochter eines Offiziers und nicht sehr judenfreundlich, mit ihrer
Schwester ebenfalls abgeholt worden war - sie waren Volljuden.
Von der Putzarbeit kamen sie nie mehr zurück.

Es wurde uns alles weggenommen, das muß ich nicht erwähnen,
das weiß man. Ein Arier legte Wert auf unser Ärztehaus und so
zog ich mit meiner kleinen Tochter zu meinen Eltern. Erst im
September, nachdem mein Mann die Erlaubnis erhalten hatte,
als Arzt zu arbeiten, bekamen wir die Bewilligung nach Palästina
zu fahren. Gott sei Dank vor der Kristallnacht. DM 10.- durfte
ich mitnehmen. Ersparen Sie mir, über die Laufereien zu den
Behörden zu berichten, man sagte mir überall: Sie sind Jüdin,
Sie haben keine Rechte usw.

Mein Mann hatte eine Stelle als Hausarzt bekommen — gegen
Unterkunft und Verpflegung. Nach ein paar Wochen fand er eine
preiswerte Wohnung für uns. Unsere Mitbewohner, Wanzen und
Mäuse, entdeckten wir erst später. Neben unserem Haus stand eine
verbrannte Ruine, es war die Synagoge von Tiberias. Eine Woche
vor unserer Ankunft, an einem Sabbath, legten die Araber Feuer
an das Haus, nachdem sie die Ausgänge verbarrikadiert hatten.
Alle Betenden verbrannten. Hinunter in die Stadt und an den
See durfte sich kein Jude wagen. Das bedeutete den sicheren Tod.

Das also war unsere Zufluchtstätte, unsere ersehnte Heimat,
die wir uns teuer erkämpfen mußten. Immer mehr Araber kamen

SEPTEMBER 2023 41