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Italien bot nicht nur vielen Tausenden Flüchtlingen aus Öster¬
reich und anderen vom Nationalsozialismus überwältigten
Ländern ein prekäres Exil, es war auch ein wichtiges Durch¬
gangsland für viele, die Frankreich, Großbritannien, die USA
oder Lateinamerika erreichen wollten. Im Rückblick erweist sich
Italien als ein von tiefen Widersprüchen zerrissenes Land, in
dem die offizielle Verfolgung der Juden und ein respektvolles,
hilfsbereites Verhalten gerade der ärmeren Bevölkerung und des
niedrigen Klerus gegenüber den Flüchtlingen nebeneinander exi¬
stieren konnten.

Wir freuen uns, in Kooperation mit der Österreichischen
Gesellschaft für Exilforschung (öge) erstmals in Österreich ei¬
ne zusammenhängende Publikation über das Exilland Italien
vorlegen zu können. Die Grundlage dafür war eine von der
öge veranstaltete Akademie des Exils, am 5. November 2003
im Arnold Schönberg Center, Wien, bei der Klaus Voigt (Ber¬
lin) und Cinzia Villani (Bozen) über das Exil in Italien spra¬
chen, Angelica Schütz aus Hermann Hakels Exil-Tagebüchern
las (Emmerich Kolovic hatte die Hakel-Texte zusammenge¬
stellt).

Als Herausgeber des Exil in Italien-Schwerpunktes konn¬
ten wir Klaus Voigt — den führenden Experten auf diesem
Forschungsgebiet — und die Romanistin und Germanistin
Christina Köstner (Wien) gewinnen. Sie haben wissenschaft¬
liche Beiträge italienischer, deutscher und österreichischer For¬
scherInnen mit Berichten von Exilierten und literarischen
Dokumenten verbunden, die uns vom äußersten Norden Italiens,
von Südtirol, über die Apuanischen Alpen und den Golf von
Tarent bis an den Rand der libyschen Wüste im Süden führen.
Je nach dem Ort, an dem sie sich befanden, gestaltete sich das
Schicksal der Exilierten sehr unterschiedlich.

Der zweite Teil des Exil in Italien-Schwerpunktes erscheint
im Oktober 2005 in ZW Nr. 3/2005 mit den Beiträgen:

Silvia Angelini (Viareggio): Die Internierten in Castelnuovo di

Garfagnana
Maria Eisenstein: Tagebuch aus dem Fraueninternierungslager

Lanciano
Paul Pollak: Das Lager Urbisaglia
Leo Koffler: Die Jugendaliyah-Gruppe in der Villa Emma
Leo Rosenberg: Von Wien nach Bengasi
Henrike Leonhardt: Die Kunsthändlerin Maria Ehrlich
Klaus Voigt: Die österreichischen Freiheitskomitees in Italien
Susanne Falk (Wien): Franz Theodor Csokor
Franz Theodor Csokor: Briefe aus dem italienischen Exil
Christina Köstner: Alexander Sacher-Masoch
Christina Köstner: Hans Escher
Ulrike Böhmel Fichera (Rom): Elisa Springers „Il silenzio dei

vivi“

Die Beiträge der italienischen ForscherInnen liegen in Über¬
setzungen vor. Sie geben zugleich einen Einblick in eine en¬
gagierte italienische Zeitgeschichteforschung und zeugen von
einer Anteilnahme am Schicksal von Flüchtlingen in Italien, die
auch in der Benennung von Plätzen und Parks nach Opfern des
Nationalsozialismus zum Ausdruck kommt. Solche Forschun¬
gen finden im Italien Berlusconis nur mehr regional öffentli¬
che Unterstützung.

Die Tragödie der Bootsflüchtlinge aus Afrika, die sich heu¬
te in den Gewässern rund um die italienische Insel Lampedusa

abspielt, die illegalen Massendeportationen usw. stehen, so
Elisabeth Lebensaft und Christoph Mentschl, „in Kontrast zu
der einstigen eher verständnisvollen Haltung der Italiener ge¬
genüber jüdischen Flüchtlingen im Zweiten Weltkrieg.
Trotzdem muß gesagt werden, daß das Schicksal derjenigen, de¬
nen es gelingt, weiter ins Land zu kommen, in Italien ein bes¬
seres ist als in anderen europäischen Ländern“.

Ein Jubiläum ist kein Jubeljahr, belehrt uns das etymologische
Wörterbuch; denn der Jubel, der aus dem hebräischen Wort
bricht, ist kein kirchenlateinisches jubilare am geheiligten Tag,
sondern einer über den Schuldenerlaß und die Neuverteilung
der Weiden und Äcker, die die Juden des Buchs der Bücher dem
Vernehmen nach alle 50 Jahren einander gewährten. Es ist ein
Jubel der Verarmten, die nun neu anfangen können, was immer
geschehen ist. Vor solchem Jubel ist man in Österreich, einem
Land der „wohlerworbenen Rechte“, gefeit. Hier begeht man
das Jubiläum der eigenen Befreiung würdig mit der Lega¬
lisierung der Zwangsernährung von Schubhäftlingen, um die¬
sen damit die Möglichkeit zu nehmen, sich durch Hungerstreik
der über sie verhängten Administrativhaft zu entziehen. Und zu¬
gleich verlängert man die Zeit, in der man einen Menschen in
Schubhaft vermodern lassen darf, auf das Doppelte.

Nicht von den Menschen, ihren Händen, Fähigkeiten, ihrer
Intelligenz erwartet man sich etwas, sondern von ihrer Be¬
schränkung. Unausgesprochen, doch nicht insgeheim herrscht
die allgemeine Überzeugung, die Ressourcen auf Erden seien
schon recht knapp. Die wachsende Menschheit erscheint als
Bedrohung der eigenen Lebensgrundlage. In Zukunft gehe es
um die wenigen Plätze an der Sonne. Das ist selbstredend ei¬
ne äußerst defensive, zutiefst pessimistische, nichtsdestoweniger
latent ziemlich aggressive Auffassung dessen, was in der Welt
geschieht.

In der vierten „Genfer Konvention“ von 1951 hat die Erfahrung
der europäischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts einen
Niederschlag gefunden: Fortan sollten bedrängte und verfolg¬
te Menschen nicht mehr außerhalb der Rechtsordnung, der po¬
lizeilichen Willkür überlassen, stehen. Doch läßt die Konvention
etliche Hintertüren offen, die nationale Sicherheit z.B. oder das
konkrete Verfahren, das zur Anerkennung eines Flüchtlings als
Flüchtling führt.

„Wohin soll ein souveräner Staat seine Flüchtlinge deportie¬
ren?“, fragt Hanna Arendt in „Elemente und Ursprünge totaler
Herrschaft“. Mit jedem neuankommenden Flüchtling oder „il¬
legalen“ Zuwanderer vergrößert sich der Machtbereich der
Polizei. Und weltweit sind viele Millionen auf der Flucht.

Die altbekannten Mittel der Abschreckung, Schubhaft und
Abschiebung, Arbeitsverbot und Internierung, können auch dann
nicht akzeptiert werden, wenn sie in Koordination mit den an¬
deren EU-Staaten angewandt werden. Letztlich bleiben jede
Nation und ihre Bürgerschaft für ihr Tun und Lassen verant¬
wortlich. Das am 7. Juli 2005 im österreichischen Parlament mit
den Stimmen der Regierungsparteien und der oppositionellen
Sozialdemokraten (einige wenige Abgeordnete hielten sich
der Abstimmung fern) beschlossene „Fremdenrechtspaket
2005“ weist in eine völlig verkehrte Richtung.

Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser