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Verhaftung Hakels bei Kriegseintritt und Verbringung ins Gefängnis von San Vittore, Milano 18. Juli 1940 Nach 10 Tagen Gefängnis in Mailand, hier nach Badia al Pino, Villa Oliveto, bei Arezzo eingeliefert am 10. Juli abends. Samstag nahm ich innerlich Abschied, schrieb einen Brief an H., der am Tisch liegen blieb: eine Art geistiges Testament; fühlte die nahende Entscheidung. Schlief fest, als Sonntag um ca. 5 Uhr früh am Tor geläutet wurde. Ich wußte gleich, daß dies nur mir gelten konnte, sah aus dem Fenster: zwei Männer und ein Polizeiauto; ein wenig nervös, und hörte sie schon nach mir fragen. Wurde aufgefordert mitzukommen, angeblich nur zur Paßkontrolle (als ich ein kleines Köfferchen mitnehmen wollte). Dann wurden weitere 9 Männer geholt. Die lieben Leute sind verschmitzt-nett, lassen uns Zigaretten kaufen, die zum größten Teil in den zwei nächsten Stunden verraucht oder verteilt sind. Man sperrt uns in einen dreckigen Raum mit Holzplanken als Liegestellen, einem hohen vergitterten Fenster, einem offenen Klosettloch. Bald sind wir 2 Dutzend. Wir kommen in einen größeren Raum. Man diskutiert. Erzählt sich das Selbstverständlichste zum x-ten Mal, politisiert natürlich wie immer in dümmster Weise It. letztem Zeitungsartikel. Die Menge wirkt in dieser Umgebung schmierig und ordnungslos. Durch eine Türklappe kommt bestellte Milch, Brot, Kaffee. Wir werden in den Hof geführt. Kleine Autos stehen bereit: hölzerne grüne Kisten. Wir werden in ein paar schwarze Kubikmeter Raum gepreßt. Es stinkt nach Schweiß, ungelüftet. Es schüttelt uns durcheinander. Ich scherze. Nur nicht zur Besinnung kommen, das ist das Wichtigste (oder so besonnen sein, daß man schon wieder über Allem festbleibt...) Wir werden eingeliefert, hineingetrieben und stehen schon vor den Bürotüren: man hat uns die Pässe abgenommen und liest jetzt stammelnd unsere Namen. Das Gebäude ist weit, hoch, äußerlich sauber wie ein Spital, eine Badeanstalt, mit jenem seltsamen Klang von hallenden Stimmen und Schritten, die schreckhaft das dumpfe Schweigen unterbrechen. Wir hocken in einem weißgetünchten Wartekerker, Fenster bis zum Knie nach einem Hof, dort selbst ein Betonrundbau mit Sektoren-Mauern, am Außenrand hohes Gitter, hinter dem abgerissene Gestalten hocken, zu denen wir gaffen oder gestikulieren: Sträflingsspaziergang. Wir müssen Geld, Schmucksachen abliefern, die Namen unserer Eltern angeben und Fingerabdrücke in ein großes Buch machen. Alles hat Hunger, es ist Nachmittag. Man raucht ununterbrochen und bespricht noch immer, was mit uns geschehen ist und geschehen soll. — Wir werden in drei kleine Zellen gesperrt und erhalten jeder ein Stück Gefangenenhausbrot. Heißhungrig wird es verzehrt. So schmackhaft war es nie wieder. Je vier Mann müssen sich in offenem Raum entkleiden und werden gründlich durchsucht. Alles, bis auf Zigaretten und Wäsche (fast keiner hat welche), wird abgenommen und in ein Säckchen getan. Ein Sträfling tut Dienst und bestiehlt uns alle. Wir warten wieder ein paar Stunden. — Die ersten Streitigkeiten, Antipathien und Erkennungsversuche; man bildet Gruppen für die Zellen. Alles bereitet sich für die Nacht vor. Diskussionen über Religion gegen einen Orthodoxen, den ich in Schutz nehme. Wir treten endgültig ins Gefängnis ein. Durchqueren einen Kuppelraum, von dem aus sich vier hohe (Kuppel)Schiffe verzweigen: vier Stockwerk hoch mit Rängen, schwarzen Eisentüren, über denen arabische Ziffern, die Zellen. Wir treten in einen Gang, an einem Altar vorbei, werden aneinandergereiht. Sträflinge in grauweißem Zwilch umhuschen uns, flüstern uns was zu, fragen uns aus, auch ein Hamburger: blasser, großer Mensch; wie ein Homosexueller: „Juden?“ — „Ja!“ Er verspricht uns Hilfe und verlangt gleich Zigaretten und sonstige Unterstützung; er ist Magazinverwalter und hat 18 Monate abzusitzen. (Es fehlen noch einige Wochen.) Wir erhalten Kotzen, Blechnapf und Waschschüssel aus Zinn und werden zu fünft in ganz kleine Einzelzellen gesperrt. 5 Mann: 50-jährige, verheiratete Juden; Geschäftleute, Handwerker; stoppelbärtige, müde Gesichter. Zwei liegen auf dem breiten Eisengestell auf Strohsäcken, die verlaust sind. Nachts wimmelt es von Wanzen, schwarzen Käfern, Flöhen. Ich liege unter dem „Fenster“ am Boden. Die „Fenster“ im ganzen Haus sind gleich human: von einer schiefen Vormauer verstellt und nur oben eine Lichtspalte, die immer nur ein leeres gitterkariertes Himmelsstück sehen läßt. „Mein Häftling“ ist wahr geworden. Ich schlafe wenig; stelle mich aber schlafend, um vor dem zudringlichen Geschwätz und Witze erzählen Ruhe zu haben. Das Klosett: zwei irdene Töpfe in einem Wandloch. Einige können sich nicht verhalten und setzen sich wie Kinder auf den Kacktopf, während die anderen herumstehen und sich den Raum verstellen. Zeitig früh sind alle wach. Man spricht eingehend über das Ungeziefer und jeder hält Statistik über seine Erfolge. Mittags wird durch die Türklappe der Napf hinausgereicht, in einen Eisenring gehängt und so wird aus großem Bottich eine urinfarbige Minestra (mit Teigeinlage) geschöpft, diese und zwei Brote sind das tägliche Essen. Aber man kann sich bei beamteten Sträflingen für den nächsten Tag Zigaretten, Milch, Wein, Käse, Wurst und anderes bestellen. Einige Male gibt es Wasser. Mittags werden wir herausgeholt und versammeln uns nach der ersten Kerkernacht. Man tauscht Erfahrungen aus, flüchtet von seinen „Kollegen“ und sucht eine passendere Gemeinschaft für die nächsten Hafttage. Zu je 8-12 kommen wir in größere Gefängnisräume im letzten Stockwerk, erhalten 2 Leintücher, Geschirr, Handtuch und andere Strohsäcke. Ich liege wieder im Winkel (unter einem der zwei „Fenster“), um einen Nachbarn weniger zu haben... 8 Tage Gefängnis: Meine Geschichte: der „Häftling“ ist wahr geworden — nach 3 Jahren. Grotesk ist, daß ich diese stimmlosen Aufzeichnungen schon im toskanischen Konzentrationslager mache, in einer neu gefundenen Freiheit: die Natur, der Himmel, die Sonne, Olivenhaine, Blumen, Bienen, Vögel, Zypressen, Landschaft: ein seit Jahren vergessenes Leben. Am Abhang begrenzten Geheges, am Rand des ca. 600 Meter langen Serpentinenweges liege ich jetzt halb nackt und trage 55