nach, was unbedingt festgehalten werden muß... Dort war kei¬
ne Notiz möglich. Bleistift und Heft waren mir abgenommen
worden. Ich sammelte wohl alle halbwegs benützbaren Pa¬
pierreste; Käseverpackungen, Schachteldeckel, Klosettpapier;
tauschte gegen Zigaretten einen winzigen Tintenstift ein, der
aber bald abbrach und unbenützbar wurde, da kein Messer vor¬
handen war. 9 Tage war ich dort. Es gab eine Art Hausordnung;
die ganze Nacht lang leuchtete eine kleine Birne an der Wand.
Drei Mal erschien ein Aufseher, öffnete lärmend und suchte mit
dem Lichtkegel der Taschenlampe alle Lager ab, um nachzu¬
zählen. Fast allnächtlich suchte ich im Himmelsschwarz einen
Stern und die erste Dämmerung, — um erwachen zu dürfen. Erst
gegen 5 Uhr früh wurde ich wieder müde, apathisch und lag in
einem Zustand ekliger Vergiftung, einer prickelnden Vernich¬
tung, einer sich hingebenden Schwäche. Die Klappe geht auf,
„Aqua“ ruft ein Sträflingskopf in den schlafdumpfen Raum.
Einer springt auf, barfuß, fast nackt, ergreift den nächsten lee¬
ren Krug, die anderen folgen nach mit Waschschüsseln und
Krügen, alles durch die Lücke. Kurze Zeit darauf wird die Tür
aufgerissen, schleifend kreischt sie am Boden: „Policia“. Meist
können nur 2 Kräftige den Scheißbottich aus seinem Winkel zie¬
hen und vor die Tür schleifen. Damit ist Tag. Die Waschung be¬
ginnt. Es gibt weder Sessel noch Schemel noch Tisch. Also steht
das Waschbecken am Boden und man kniet davor, ringsum ver¬
schüttend und mit jeder Hand voll Wasser sparend. Die Zähne
werden mit dem Zeigefinger gereinigt. Es ist ein strenges Zere¬
moniell, dem sich jeder unterziehen muß. Das Ungeziefer und
der Schmutz zwingen auch die sonst Nachlässigen zu gründli¬
chen Methoden.
Schon vorher hocken einige von uns in affenartiger Stellung
— Ahnenbilder vergessener Affengeschlechter — und suchen
Läuse in ihrer Wäsche mit einem Ernst, den sie für keine son¬
stige Tagesbeschäftigung hier und für eine Debatte aufbringen.
Erstaunt sehe ich das Urtümliche in einigen hervorkommen.
Schon das Hocken mit hochgezogenen Knien, am Boden, die
vorgebeugte Schulter, — behaartem Oberkörper - es ist grotesk
— gespenstisch, schauerlich, was aus Menschen wird. Ich selbst
habe es nie fertig gebracht, so zwischen den Maschen des
Leinengewebes zu jagen, ich versuchte es flüchtig und gab es
sofort auf, natürlich mit der dauernden Angst, Läuse zu haben...
Angekleidet sitzt man nunmehr auf den aufgerollten Strohsäcken
herum und wartet auf die Morgenkontrolle. Der Wächter öff¬
net und winkt mit der Hand: Aufstehen! Wir stehen ungeord¬
net: ein höherer Beamter kommt uninteressiert mit der Namens¬
liste, läßt nachzählen, ob wir noch immer alle 9 wären, und geht
gleich weiter. Bald darauf kommt die vortags bestellte, heiße
Milch, das einzige Genießbare in diesen Tagen. Man brockt den
Brotrest von gestern hinein und schaufelt mit dem zu flachen
Holzlöffel wieder Aufgeweichtes hinaus — das widert wohl an,
füllt aber den hungrigen Magen für einige Stunden... Später
kommt die Brotration: 2 ovale Wecken: weißgraues Gebäck, von
dem täglich ein Großteil verschenkt wird. Dann warten wir
untätig auf den Spaziergang: „Aria!“ (Luft) ruft der Wächter,
öffnet die Tür und wir sammeln uns mit anderen Zellengenossen
von nebenan zu einer durcheinander sprechenden Gruppe. 4
Stockwerke geht es hinab, an den Zellengalerien vorbei. Be¬
schäftigte Sträflinge laufen herum. Wir werden im Hof ge¬
sammelt und in bestimmter Anzahl in einen Käfigsektor ein¬
gelassen, ohne aber an den bereits besetzten vorbei zu dürfen.
In der Mitte des Rundbaus auf einem Postament, außerhalb der
verschlossenen Gittertüren ein Aufpasser, der alle Luftzellen be¬
obachtet: sie sind alle gleich lang, Mauern an den Seiten, die
schmälere Rückenfront — die Gittertür, der breite Außenkreis,
ein hohes Gitter, ca. 3 Meter. In Augenhöhe ein Blech, damit
man nicht hinaussehen kann; dazu muß man sich bücken und
sieht dann ein Stück fruchtbar-dunkler Erde, ein paar Grashalme
in greifbarer Nähe und einmal, flach im Staub liegend, hole ich
eine Kamillenpflanze mit einigen duftenden Blüten und
Blättern herein und nehme sie, unter meinem Rock versteckt,
in mein Gefängnis, gebe ihr meinen ganzen Wasserkrug und
nachts —, unbeobachtet, taste ich mit der Hand danach und drücke
die duftigen Blüten an die Lippen. — Zurück zum Luftschöp¬
fen... Ein Teil hat den Oberkörper entkleidet, steht an der Mauer,
macht gymnastische Armbewegungen, auch ich unter ihnen.
Dann gehe ich wieder so schnellen Schrittes als möglich aufund
ab, immer von Gruppen aufgehalten. Unter uns sind italienische
Verbrecher, politische Häftlinge, Landstreicher, die die Ziga¬
rettenreste sammeln und schon seit Monaten hier sind... „Schwe¬
re Jungs“, die sich mit „harmlosen Schlagspielen“ erheitern und
singen. Wenn wir wieder abgeführt werden, hocken die ande¬
ren an den Gittern: rotbraune, wilde Gestalten und blicken uns
schwarzäugig stier nach. Sonst vergeht die angeblich eine Stunde
dauernde Luftzeit mit Zigarettenrauchen, Schnorren, dem Buch¬
stabieren der gestatteten italienischen Sportzeitung, wo man aus
undeutlichen Berichten sich ein Bild machen will, in das man
nur seine eigenen Wünsche hineinlegt. Zum Schluß ist es wie
immer ein Begriffsspiel zwischen zwei Nationennamen, hin¬
ter denen nichts steht als die volkstümliche Vorstellung von
Fußballmatchs... Eilig werden wir wieder hinaufgetrieben oh¬
ne unsere Kollegen sehen zu dürfen. Kaum, daß es noch die¬
sem oder jenem gelingt, schnell noch einen Krug Wasser selbst
von der Leitung zu holen oder einen Blick in die Nebenzelle
zu tun. Dann ist die „‚Freiheit‘‘ vorbei: die Freiheit nach oben:
zu Himmel und Licht... [...]
Bis zur Mittagssuppe geht man auf und ab, das Gerassel des
fahrbaren Kessels, und endlich wird die Klappe geöffnet und
jeder langt sein Geschirr hinaus und verlangt entweder mehr
Brodo oder mehr Pasta. Es ist eklige ölgelbe Flüssigkeit, die,
wenn man mehr als einen Schluck zu sich nimmt, mit Brechreiz
erfüllt und alles Genossene wieder im Hals aufsteigen läßt. Die
meisten lassen den Großteil der Suppe im Topf, was dann in den
Scheißbottich gegossen wird; andere Sträflinge holen sich gern,
was bleibt, am häufigsten betteln sie um Zigaretten und bestellte
Ware. — Nach dem „Essen“ verkrieche ich mich auf meinen
Strohsack und falle in eine lärmdurchschallte Narkose, aus der
ich mich nach 2 Stunden kaum erheben kann. Ich bin mit un¬
sichtbaren Fäden am ganzen Körper gefesselt: Gulliver unter
den Liliputanern — ohne mich rühren zu können: umkrabbelt,
gestochen von zudringlichen Eindrücken, die ich nicht wahr¬
haben möchte. Vergebliche Versuche, alles abzuschütteln. Aber
die faule Trunkenheit ist besser als das störende Zusammensein
und Bewußtsein, mit fremden Menschen in einer tödlichen, läh¬
mend-gleichen Umgebung.
[...] Ich bin voll von Gesichtern und Lebensgeschichten, oh¬
ne Geduld und Begabung, sie jetzt niederschreiben zu können.
Einmal, Freitag abends wird der Vorschlag gemacht, zu beten.
Ein Pole, aus einer Ghettostadt, steht mit dem Gesicht zur Wand
und leiert den Abendabschnitt herunter, läßt, wie ein besser
Wissender nachher sagt, eine Menge aus. Ich selbst bin von dem
uralten Singsang ergriffen und höre ihn selbstverständlich oh¬
ne eine Silbe zu verstehen — alte Musik liegt darin, versunke¬
nes Erbe von Glaube und Einkehr.
Im Bett liegend, hält H. der Bankbeamte, italienischen Sprach¬
kurs. Mit primitiven Mitteln, ohne Schreiben, bringt er uns ei¬