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gar nachts wurde an meine Tür gepocht und ich mußte auf den Hauptplatz um irgendeinem Kerl die Richtung zu erklären. Besonders peinlich war es, daß mich einmal ein hoher Offizier rufen ließ: ich möchte seine Leute, die auf dem Markt einkaufen wollten, herumführen und für sie verhandeln. Auf die Frage, wieso ich deutsch könne und warum ich hier sei, gab ich ehrliche Auskunft: ich sei als Jude aus Wien hier in „confino“. Das machte auf die fröhlichen, gutaussehenden und gut genährten Soldaten keinen Eindruck. Ihnen war alles recht, wenn sie nur frisches Obst, frische Eier und ein paar Flaschen Wein kaufen konnten. Manche führten riesige schwerbeladene Camions mit sich: das war deutlich gestohlenes Gut: Matratzen, Lederstücke, neue Koffer. Die Jungen gingen lieber den Weg zu Fuß, als das Beutezeug abzuladen. Einmal, nicht weit von Rotonda, als ihnen englische Jagdflugzeuge folgten und sie beschossen, wurde endlich das Raubgut zu einem Haufen aufgebaut, mit dem raren Benzin übergossen und angezündet. Arme Italiener am Rand als Zuschauer versuchten einzeln zu dem verbrennenden Zeug zu kriechen und was herauszuholen. Sie wurden mit Schlägen traktiert, mußten das jeweilige Stück zurückwerfen. Dazu hatten die Kerle immer noch Zeit und Benzin genug, ja, es schien, daß das für die eine belustigende Abwechslung war. Das war die Situation, in welcher sich die folgenden Szenen abspielten. Szene eins: Ich stehe, an einen Baum gelehnt, am Rand des Hauptplatzes gegenüber der Kaserne der Carabinieri. Einen Meter von mir führte die Hauptstraße vorbei. Auf ihr stand ein kleiner Opel, am Lenkrad ein Offizier mit Schildmütze (der Afrika-Armee?), der zu dem Lenker eines großen geschlossenen Lastwagens hinter ihm brüllend einen Befehl erteilte. Es war das mir bekannte preußische Schnarren, und der Mann auf dem Riesenlaster antwortete in einem mir unbekannten deutschen Dialekt und sein Wagen setzte sich in Bewegung. Da brummte der junge Offizier, ganz in meiner Nähe, in plötzlich verändertem Tonfall, ein deutliches „Leck Arsch!“ Daran war eindeutig ein waschechter Wiener sofort zu erkennen und zum ersten Mal reagierte ich spontan, ging auf den Mann zu und sagte, betont wienerisch: „Guten Abend!“ Der Mann sah kurz auf, reichte mir sofort die Hand heraus und sagte: „Servus!“ Dann stieg er aus dem kleinen Wagen, hing sich sofort in mich ein und fragte: „Kann ma da was trinken?“ Man braucht nur den Platz zu überqueren und rechts im Rathaus gab’s eine Bodega. Bei einem Glas Rotwein stellte er sich als Leutnant P. aus Wien vor, fast selbstverständlich mit typisch böhmischem Namen. Der Kerl, dem er vorher Befehl erteilt hatte, war ein Sachse, ein Obergefreiter oder so was und der Riesenwagen war das Laboratorium des Afrika-Corps. Skizze: Mit dem Leutnant in der Bodega. Er zahlt Wein und Mokka. Daß ich Jude bin, stört ihn nicht. Darüber ist gar nichts zu sagen, aber er erzählt mir in einer Stunde: daß sie zu viert (mit 2 Autos) sich verstecken wollen und ich soll sie den Engländern übergeben. II. Sie wollen wieder Warmes essen. Ich kauf ein Lamm und ging die Straße zum Fluß und den Auen. Außerhalb Rotondas erwartet mich der Leutnant im Opel und fährt mich hinunter zum Versteck. Ihr Proviant an Schinken, Sardinen und Benzin! Es entsteht ein flotter Handel zwischen ihnen und den reichen Italienern: Apotheker und Baron, ich als Mittelsmann. Szene 4 Wir sitzen fröhlich beisammen in der Bodega: alle in Uniform. Eine Gruppe tritt ein, ein bulliger Kerl grüßt kurz, ohne sich umzuschauen, geht an die Theke, bestellt Wein und beginnt zu fluchen: Die Heimatstadt (Kassel?) bombardiert... Er weiß nicht, was mit seiner Frau und seinem Kind passiert ist... Flucht auf den Krieg und die Scheißbande und dreht sich um, lehnt an der Theke und sieht mich erst jetzt: ein Zivilist! Er wird bleich, beginnt zu stottern. Der Hauptmann Boiker aus Stuttgart sieht es und begreift sofort: „‚Fürchten Sie sich nicht! Das ist ein Jude!“ Der Mann erholt sich vom Schock. So befreit hat kein Deutscher in dieser Zeit einen Juden angeschaut und gegrüßt. (Er hat mich für einen Gestapomann gehalten.) Alle Auszüge aus den Tagebüchern: Nachlaß Hermann Hakel, Österreichisches Literaturarchiv 221/04, Nr. 22. Franz Blei flüchtete 1938 nach Italien, 1939 nach Frankreich. — Lola Blonder konnte 1938 mit ihren beiden Kindern über Italien nach Palästina fliehen. — Fritz Brainin erreichte 1938 über Italien die USA. — Auch für Martin Buber führte der Weg nach Palästina 1938 durch Italien. — Franz Theodor Csokors Exilweg (1938 Polen, 1939 Rumänien, 1941 Jugoslawien) endete 1944 in Italien. — In Italien überlebt hat Percy Eckstein. — Alfred Farau war 1939-40 in Italien. Benno Geiger, aus dem geliebten Italien ausgewiesen, rettete sich in die Schweiz. — Alfred Grünewald kam, aus dem KZ entlassen, 1939 über Italien nach Frankreich, wo er von den Nazi-Mördern wieder eingeholt wurde. — Für Bruno Heilig war Italien 1939 der Weg nach England. — Ebenso für Fred Heller, der schließlich in Uruguay Asyl fand. — Ina JunBroda kam 1944 aus Dalamatien ins befreite Süditalien. — Hedwig Katscher lebte 1935-39 in Italien. — Joe Lederer hielt sich 1938-39 hier auf. — Hans Leifhelm, seit 1937 in Italien, starb 1947 in Riva. — Alexander Lenard überlebte in Italien. — Robert Pick gelangte 193840 über Italien und England in die USA. — Lenka Reinerovä kam 193941 über Italien und Frankreich nach Mexiko. — Lothar Ring überlebte in Italien. — Piero und Margarete Rismondo fanden Zuflucht im italienisch besetzten Dalmatien. — Alexander (von) Sacher-Masoch rettete sich 1944 aus Jugoslawien ins befreite Italien. - Rudolph Schanzer wurde 1944 in Abbazia von der Gestapo verhaftet und vergiftete sich in der Haft. — Fiir Abraham Sonne lag Italien 1938 auf dem Weg nach Palästina. — Margarete Steiner, durch Heirat Schweizerin, arbeitete nach 1940 in Rom u.a. für Vittorio de Sica. — Alex Szarazgat flüchtete mit seiner Familie 1938-40 über Italien und die Schweiz nach Argentinien. — Georg (von) Terramare war hier 1939; er starb in Bolivien. - Georg Stefan Trollers Familie flüchtete 1939 mit falschen uruguayanischen Pässen über Italien nach Paris. — Gertrude und Johannes Urzidil flüchteten ebenfalls mit gefälschten Papieren über Italien. — Otto Zoff fand nur 1935-39 in Italien eine Zuflucht. — Paul Zweig, Bruder des Dramatikers Max Zweig, wurde 1939 aus Italien abgeschoben und 1942 im KZ Auschwitz ermordet. — Frank G. (Gerhard) Zwillinger landete 1939 nach einem längeren Aufenthalt in Rom in Saigon. 59