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3. Jahrgang Nr. 2 Preis: 6S 10,— Simona BARTOLI Gekürzte Fassung eines Vortrages anläßlich der Präsentation der italienischen Kramerausgabe am Österreichischen Kulturinstitut in Rom im Jänner 1986 „Ich kenne keinen Vaterhof,/ich steh auf keinem Grund./Meine Mutter hat mich ausgechiitt’/im Strauch wie einen Hund.“ (I, 60) Umstandslos und direkt tritt hier die erste echte Frauenfigur in der ,Gaunerzinke‘ dem Leser entgegen. Das Bild einer Mutter, das herausfordernd durch zwei Momente eine Biographie entwirft, die zugleich die markanten negativen Einschnitte sind: Geburt und, unmittelbar zusammenhängend damit, wenn das Gedicht fortfährt — „Meine Mutter ist ledig verdorben“ —, Tod. Aus der signalartigen Bechreibung dieser Einschnitte erschließen sich die Grundkonstanten einer geradezu repräsentativen Biographie: Magddasein, Armut und Ausbeutung durch Arbeit, eine flüchtige Liebeserfahrung, von der nichts bleibt als ein auf freiem Feld ‚geborenes‘, auf den harten Schoß der Natur ‚geschüttetes‘ Kind, eine Geschichte, wie sie sich in Österreichs Dörfern der 20er und 30er Jahre unzähligemale wiederholte. Wie sollte es auch anders gewesen sein, eine Heirat zählte am Lande zu den Luxusgütern und das Schicksal der Mägde und Knechte war durch Ausschließung und Unveränderbarkeit bestimmt und vorgezeichnet. Wohl auch deshalb begleitet ein bitterer Ton die Liebeserfahrungen, von denen Kramer berichtet. Als Frau in solche Umstände hineingeboren zu sein und darin nochmals zu gebären, war von Beginn an „tödlich“ — wird noch vierzig Jahre später Peter Handke mit Bezug auf die Biographie seiner Mutter im ‚wunschlosen Unglück‘ festhalten. Thematischen Eigenwert gewinnt die Frau, der Bereich der weiblichen Identität in der ‚Gaunerzinke‘ allerdings nicht. Die identitäts- und zugleich sprachlosen Mägde sind nur Momente eines Ambiente, das durch die sozioökonomischen Gegebenheiten des agrarproletarischen Raumes bestimmt und bei Kramer farbenreich, aber deshalb nicht weniger drastisch gezeichnet ist, — die weiblichen Entsprechungen der Taglöhner, Knechte, Lehrlinge und anderer Figuren ‚vom Rand‘. Wenn vor diesem Hintergrund Frauen überhaupt eine präzisere Figuration annehmen, dann geschieht dies in den Bildern von Prostituierten, nicht zufällig also in Verknüpfung mit einer nicht selten verdrängten Sphäre sinnlicher Ausbeutung. In Analogie zu kapitalistischen Marktgesetzen entwickelt sich auch das AngebotNachfrage-Preisverhältnis am erbärmlichen Liebesmarkt, wie Kramer im ‚Stundenlied‘ vorführt. Haben Angebot und Nachfrage eine Hausse, dann liegt der Preis entsprechend hoch und „wer kauft, kauft schlecht: die Huren sind/noch teuer.“ (I, 71) Mit dem Verrinnen.der ökonomische Wert der menschlichen Ware. Knapp vor der symbolischen Schließung des Marktes durch den Wachmann bieten sich dem Käufer die besten Möglichkeiten: „Um zwei Uhr früh weht’s bitterlich,/der Wachmann weist die Hur vom Strich./Wohl jedem, den beglückt sein Klamsch!/Wer kauft, kauft gut: ’s ist großer Ramsch/in Lenden.“ (I, 71) Gerade durch diese Analogiesetzung, wobei offen bleibt, ob Kramer sie so bewußt gesetzt oder sie sich im Schreibprozeß einfach eingestellt hat, unterscheiden sich Kramers Bilder wesentlich von zeitgenössischen oder vorangegangenen, in denen — mit Ausnahme Brechts — © der Ausverkauf des weiblichen Körpers gewöhnlich entweder unter moralisierenden Blickpunkten oder als faszinationsreiche Projektion heimlicher Phantasien dargestellt wurde. In gewissem Sinn erweist sich Kramer auch als Fortsetzer von Karl Kraus, der bekanntlich in zahlreichen ‚Fackel‘-Aufsätzen um die Jahrhundertwende des traurige Schicksal von Prostituierten als Opfer der brüchen bürgerlichen Sexualmoral aufgegriffen und seiner Mystifikationen entkleidet hat. Kramer schien aber auch die diesem emanzipatorischen Vorhaben immanenten Schwächen übernommen zu haben, die. sich in einer nahezu ausschließlichen Festschreibung der Frauenfiguren auf diese Identität hin, selbst in einem ‚aufgeklärteren‘ Objektdasein zu Buche schlagen. Diesen Eindruck verstärkt die Gedichtgruppe ‚Zeitungsausschnitte‘ aus dem Zeitraum 1928— 1933 (nun im zweiten Band der Werkausgabe), wo Frauen neben ihrer sozialen Zuordnung als Mägde oder als verblaßte Jugendfreundinnen, die mehr oder weniger die Härten seiner eigenen Entwicklung teilten, vornehmlich mit der Vermarktung ihres Körpers ihre Existenz fristen, um nicht zu vergessen die als Liebesgedichte angelegten späteren Gedichte ‚Das schwarze Kanapee‘ (1942—56). Insbesonders die erstgenannten sind dabei nicht als Projektionen einer zügellosen Phantasie oder eines avantgardistischen Libertismus mißzuverstehen, sondern, fast im Widerspruch dazu, als Produkte unglückseliger Verkettungen, gescheiterter Hoffnungen und Existenzen. Unter diesen finden sich einige, deren Ton an die ‚Hauspostille‘ erinnert. Etwa ‚Die schwangere Hure‘ (II, 54), die im Zustand der ‚Hoffnung‘ ihre tiefsten Demütigungen erfährt: den schrittweisen Verlust der ohnedies stets Fortsetzung auf Seite 2