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7 Nach zwanzigjähriger schauspielerischer Arbeit am Theater beschloß ich, Anfang. des Jahres 1987, mir einen Leseabend zusammenzustellen.-Da ich mich schon seit geraumer Zeit fiir die Darstellung jüdischen Schicksals in der Literatur, insbesondere der Lyrik, interessiert hatte, war das Thema rasch gefunden. Zwei Monate stöberte ich in Bibliotheken, bis ich mir _ schließlich aus Bergen von Gedichten diejenigen herausgesucht hatte, die sich für meinen ganz persönlichen Vortrag am besten zu eignen schienen. Es wurde mir auch bald klar, daß das Thema „Holocaust“ den breitesten Raum in meiner Zusammenstellung einnehmen müßte und würde. Als Titel fand ich eine Zeile aus dem Gedicht „Trinklied vor’m Abgang“ von sein, wenn wir vergangen sind“. Untertitel: Jüdisch-österreichische Schriftsteller von 1900 bis heute. Es war ein großes Glück und Erlebnis für mich, daß ich, als mein Programm bereits im Rohentwurf fest stand, den Dichter Hermann Hakel, ein knappes Jahr vor seinem Tod, kennenlernen durfte. Er hat wirklich fast jeden einzelnen der zum Teil heute völlig — wenn auch zu Unrecht. — vergessenen Autoren persönlich gekannt und wußte über jeden Geschichten zu erzählen. So kamen sie mir alle noch näher, als sie es durch. die Gedichte ohnehin schon waren. Hermann Hakel war es auch, der mir empfahl, das Programm chronologisch aufzubauen: Jahrhundertwende— 1938, 1938—1945, 1945—heute. Den heiteren Teil mit Kabarett-Texten, die natürlich nicht fehlen durften, da das Bild sonst nicht vollständig gewesen wäre, hatte ich zu der Zeit schon fertig zusammengestellt; aber auch da trug Hermann Hakel noch zur Vervollkommnung bei, indem er mir einen grandiosen, bisher unveröffentlichten Text seines Freundes Peter Hammerschlag zur Verfügung stellte. Es war einfach schön, bei Hermann Hakel zu sitzen und ihm zuzuhören. Ich werde ihn nie vergessen. Zurück zu meinem Programm: Ich präsentierte den Abend Ende März 1987 erstmals im Ateliertheater am Naschmarkt in Wien, einem sehr beziehungsvollen Ort, weil einige der Autoren für die damalige Kleinkunstbühne „Literatur am Naschmarkt“ geschrieben haben. Ich spürte gleich einen starken Kontakt mit dem Publikum. Mit den Kritiken dreier großer Wiener Tageszeitungen konnte ich mehr als zufrieden sein, und ein zuständiger Beamter des Außenministeriums zeigte. großes Interesse. Dann ging alles sehr schnell. Einladungen aus mehreren Ländern trafen ein. Die erste Auslandsstation war Grindelwald in der Schweiz, wo ich zur Eröffnung der Ausstellung „Leopoldstadt 1918—1938“ meine Lesung hielt. Im Oktober folgte die BRD. In besonders feierlichem Rahmen gestaltete sich ein Abend in der Residenz des österreichischen Botschafters in für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ Bonn und Düsseldorf, -sowie bei dem an österreichischer Literatur besonders interessierten „Verein für neuere Literatur“ in Marburg/Lahn. Die Frankreich-Tour führte mich nach Paris, Besancon, Limoges, Le Mans, Clermont-Ferrand, Metz, Lyon und Grenoble. An allen Universitäten fand ich sehr wache, interessierte Germanistikstudenten und engagierte Professoren. Ich begann nun mein Programm allabendlich zu variieren und es spontan, aus dem Moment heraus, auf das jeweilige Publikum abzustimmen. Daß die Israel-Tour die beglückendste war, erklärt sich von selbst. Dort findet jedes Wort den Widerhall lebendiger Erinnerung und tiefsten Verständnisses, und wenn Männer wie Schalom Ben-Chorin und Herbert Rosenkranz einem zur "Zusammenstellung mit Nachdruck ihre Zustimmung ausdrücken, dann weiß man, auf dem richtigen Weg zu sein. Tel Aviv, Haifa, Nahariya, Jerusalem waren die Stationen. Wieder in Wien hatte ich die besondere Freude, im Historischen Museum im Rahmen der Ausstellung „Juden in Wien“ zu lesen, zumal diese Veranstaltung hervorragend besucht war. Es folgten einige sehr wichtige Lesungen in Wiener und Kärntner Schulen. In den Niederlanden (Utrecht, Den Haag, Leiden, Nijmegen, Leute ähnlich positiv wie in Frankreich. Oft war gerade die Jugend nach dem ernsten Teil so erschüttert, daß ich den heiteren weglassen mußte. Die U. S.-Tour war der vorläufige Abschluß. Auch hier läßt sich die bewegende Zustimmung der Emigranten kaum schildern. Ich las in Philadelphia, Washington, Atlanta, New York, Boston, Albany. Unvergeßliche Begegnungen durfte ich erleben mit Martha Eggert, Hans Sahl, dem Senior der deutschen Exilliteratur, mit den österreichischen Exilliteraten Mimi Grossberg, Fritz Brainin, dem Graphiker und Dichter Joseph Hahn und vielen anderen. Es war ein reiches Jahr. Mit negativen’ Erfahrungen kann ich vorderhand nicht aufwarten. Man muß die Herzen der Menschen ansprechen, dann hören sie einem zu; und das werde ich auch mit meinen nächsten Programmen versuchen. Angelika Schütz Am Dienstag, dem 7. Juni 1988, um 18 Uhr, findet im Barocksaal des Alten Rathauses (1010 Wien, Wipplingerstraße 8) die Gründungsversammlung der Jura SoyferGesellschaft statt. Horst Jarka, der Herausgeber und Biograph Soyfers, wird den Festvortrag halten. VERSTREUTES Das „Internationale Dialektinstitut. Institut für regionale Sprachen und Kulturen“ (IDI, A-1180 Wien, Maynollog.3/13) hat zwei Tonbandkassetten. mit Liedern des anitfaschistischen Widerstandes (gesungen vom Slownischen Partisanenchor, von Kurt Winterstein, Sigi Maron, Reinhard Sellner, Kurt Hahn, Geduldig und Thimann u. a.) hergestellt. Beide Kassetten (mit einem Begleitheft) können beim IDI im direkten Bezug zum Sonderpreis von öS 180,— bestellt werden (Titel der Doppelkassette: „Waast Du, wo Auschwitz liegt?“). Die Universität von Kalifornien in Riverside veranstaltete vom 5.—7. Mai 1988 ein Symposium „Austria 1938: Remembering the Past — Overcoming the Past“, bei dem unser Mitglied Harry Zohn (Boston) über „The Anschluß in the Autobiographics of American ‚Thirty-eighters‘“ referierte. In dem umfassenden Programm scheinen, dem Titel nach, Vorträge über Stefan Zweig (Adrian Del Caro, Lousiana), Joseph Roth und Ernst Weiss (Andrew Barker, Edinburgh), Ernst Fischer (Friederike Eigler, San Diego), Franz Antel‘s The Bockerer (Jaqueline Vansant, New York), Karl Kraus (Jay Bodine, Colorado), Felix Salten (Lore Dormer, Riverside), Lili Körber (Viktoria Hertling, Reno/Nevada), Leo Perutz (Hans-Harald Miiller, Hamburg), Csokor, Bergner, Hauser u. a. (Adolf Opel, Wien), Max Mell (Christoph Binder, Graz), Hermann Broch (Jan Cristoph Meister, Witwatersrand), Hugo Bettauer (Frank Hirschbach, Minnesota), Ödön von Horvath (Estner N. Elstun, Virginia), Egon Friedell (Barbara Z. Schoenberg, California), Elias Canetti und Rudolf Henz (Kathleen Thorpe. Witwatersrand), Herbert Zand (Pamela Saur, Alabama), Gina Kaus, Elisabeth Castonier, Hertha Pauli, Alma Mahler-Werfel (Jennifer ‘E. Michaels), Adrienne Thomas (Gudrun Brokoph-Mauch, New York) von besonderem literaturgeschichtlichen Interesse. In einigen Vorträgen wird auch auf die Auseinandersetzung mit dem Faschismus in der österreichischen Literatur seit 1945 eingegangen, so z. B. von Regina Kecht (New York): „Faschistische Familienidyllen — Schatten der Vergangenheit in Henisch, Schwaiger und Reichart“. Dai das bedeutendste literarische Dokument zum „Anschluß“, Theodor Kramers „Wien 1938“, ebensowenig wie die Arbeiten Jura Soyfers und Berthold Viertels in diesem Programm aufscheint, ist zu bedauern. Vom 1.—5. Juni 1988 findet eine vom Institut fiir Judaistik an der Universitat Wien organisierte Studientagung iiber das ,,Problem der jüdischen Identität — von der Antike bis zur Gegenwart“ in Eisenstadt statt, Harry Zohn spricht bei dieser Tagung über das „Problem der jüdischen Identität in der deutschjüdischen Emigrationsliteratur in den Vereinigten Staaten“. REZENSION Hugo Pepper, Lektor, Volksbildner und politischer Publizist, hat — als einer der „Gründungsväter“ des „Roten Hundes“ — Fortsetzung auf Seite 8