Die epochale Erfahrung der Moderne — Achberger nennt die Stichworte: Ge¬
schichtskatastrophe, Modernisierung, Subjektzerfall - hinterläßt in der Werk¬
struktur, das wissen wir seit Walter Benjamin, allegorische Spuren.
Friedrich Achberger ist diesen Spuren nachgegangen und ich möchte ihm nun
darin anhand dreier seiner Beiträge folgen; es handelt sich um ein Kapitel aus
der großen Studie, einen Aufsatz über Hofmannsthal und einen über Weinheber
und Kramer.
“Österreich-Entwürfe” heißt das siebente Kapitel der großen Studie, und es
behandelt unter anderem Franz Werfels Roman “Barbara oder die Frömmig¬
keit” (1929).
Wie Claudio Magris erkennt Achberger den elegischen Charakter der Öster¬
reich-Entwürfe nach dem Untergang der Habsburgermonarchie. Doch konzen¬
trierter als Magris arbeitet er dessen ästhetische Signatur heraus. Er begreift
Romane wie Felix Brauns “Agnes Altkirchner”, Joseph Roths “Radetzky¬
marsch” oder eben Franz Werfels “Barbara oder die Frömmigkeit” als Versuche,
die österreichische Erfahrung nach dem Durchgang durch den Reichszerfall zu
fassen und damit als Bemühungen einer Sinngebung. Genau wie bei Walter
Benjamins Begriff der Allegorie, die erst beim historischen Verschwinden ihres
Gegenstands entsteht, wird das Bild Österreichs erst nach seinem Untergang
geformt, ja konstruiert.” So auch im Falle von Werfels Roman. Die allegorische
Struktur bestimmt wesentlich dessen Gehalt.
Ferdinand, der Held des Romans, ist, wie Achberger schreibt, nicht nur Sprö߬
ling einer Offiziersfamilie und stammt aus der neben dem Beamtentum wichtig¬
sten staatstragenden Gesellschaftsschicht, sondern ist ab dem 6.Lebensjahr auch
mittellose Vollwaise und daher Staatsmündel. Die Monarchie (Kadettenschule),
die katholische Kirche und vor allem die um 45 Jahre ältere böhmische Amme
Barbara bestimmen sein Leben, und damit ist Ferdinand als Produkt des alten
Österreich gekennzeichnet, dessen ethische Werte den Maßstab für die Bewertung
der historischen Erfahrung abgeben. Die Titelfigur Barbara verkörpert mütterli¬
che Liebe schlechthin (...) aber auch unerschütterliche Treue, Kontinuitätüber den
Geschichtsverlauf hinweg, wobei ihrer Frömmigkeit als Gegengewicht zur Verän¬
derung der Welt entscheidende Funktion zukommt. Barbara ist einfach das alte
Österreich (...) In der dichotomischen Grundstruktur von Werfels Roman steht
daher auf der einen Seite die mythische Barbara, die im scheinbar ewig windstillen,
ländlichen Böhmen des 19.Jahrhunderts ankert, auf der anderen Seite die Mächte
der Veränderung, die an Ferdinand zerren: in der Schule, in Wien beim Studium,
im Krieg, im Umsturz und in der Inflationszeit.?
Das längere Zitat ist überdies ein gutes Beispiel für den Stil von Achbergers
wissenschaftlicher Prosa - einer Prosa, die zugleich eindringlich und klar ist, die
theoretischen Anspruch und Einfachheit des Ausdrucks zu verbinden weiß. Sie
ist auch frei von jenen sprachlichen Manierismen, die in der Nachfolge Walter
Benjamins leicht sich einstellen.
Im Allegorischen liegt wohl eines der formalen Geheimnisse des vielberedeten
habsburgischen Mythos, die von der Germanistik noch immer nicht gelüftet
wurden. Der Teil über Joseph Roths Radetzkymarsch, den Achberger offenbar
nicht mehr geschrieben hat, zeichnet sich in mancher Hinsicht in diesem Kapitel
über Werfel bereits ab; und die Verbindungslinien, die hier zu Joseph Roth
führen, wären weiterzuverfolgen.* Während im “Radetzkymarsch” der Zerfall
der Habsburgermonarchie bei den Hauptfiguren - wie bei Werfel handelt es sich
um mittlere Beamte und Offiziere - ganz unallegorisch dargestellt wird, versucht
Roth gleichzeitig die Idee der Habsburgermonarchie in der Allegorisierung des
Kaisers zu retten. Die Figur des Kaisers wird zur Personifikation einer Idee,
damit die harmonische Einheit von Monarchie und Shtetl, oben und unten, zur
Erscheinung kommen kann, die in Wahrheit nicht exisitierte. Ist doch der ganze
Reichtum der Monarchie auf Kosten der nicht-deutschen Völker erwirtschaftet
worden. Freilich wird man bei Roth im Gegensatz zu Werfel eine leise Ironie
heraushören können, wenn es etwa heißt: Der Kaiser war ein alter Mann. Er war
der älteste Kaiser der Welt (...) Die Runzeln in seinem Angesicht waren ein
verworrenes Gesirüpp, darin hausten die Jahrzehnte. Er hatte das Gefühl, daß er
sich vor Gott zusammennehmen müsse wie vor einem Vorgesetzten. (...) Es paßt
Österreichische Literatur im Exil 1938-1945
Theodor Kramer Joseph Ro . Mühlen
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Berthold Viertel Robert Musil : 4 Bruckner
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JOHANN HOLZNER, SIGURD PAUL SCHEICHL, WOLFGANG WIESMÜLLER
Interessenten mußten lange darauf
warten; miterheblicher Verzögerung er¬
schien im Frühjahr 1991 als Band 40 der
Germanistischen Reihe “Innsbrucker
Beiträge zur Kulturwissenschaft” der
Band: Eine schwierige Heimkehr.
Österreichische Literatur im Exil 1938 ¬
1945. Bereits im Gedenkjahr 1988 war
von der Universität Innsbruck ein inter¬
nationales Symposion veranstaltet
worden, dessen zum Teil erweiterte Re¬
ferate nun endlich auch gedruckt vorlie¬
gen.
Nach der Publikation des Protokollban¬
des der Wiener Exilkonferenz von 1975,
nach einschlägigen biographischen und
literaturkritischen Studien liegt damit
neuerdings eine Sammlung von Aufsät¬
zen vor, die einen großen Streifzug
durch die österreichische Literatur im
Exil bietet.
Sie legt Zeugnis ab, unter welch schwie¬
rigen Umständen die Heimkehr und
Rückholung dieser Literatur und ihrer
Autoren/innen nach Österreich sich
vollzog und welche Hindernisse es dabei
zu überwinden galt.
Thematisch gegliedert ist diese äußerst
umfangreiche Dokumentation in 3 Be¬
reiche; unter dem programmatischen
Titel “Integration oder Heimkehr”
finden sich Aufsätze, die sich mit den
literarischen und persönlichen Bedin¬
gungen befassen, die ein Bleiben im je¬
weiligen Exilland ermöglichten, bzw.
einer oftmals auch nur sporadischen