Bürgertums, als der Industrielle dem Handwerker gegenübertrat. Die Sozialde¬
mokratie in den Metropolen grenzt sich wohl mehr denn je nach unten hin ab ¬
oder sagen wir: nach Süden und Osten hin -; einer läßt gar an den Grenzen ihres
Einzugsgebiets Soldaten aufmarschieren.
Die Weise, wie Achberger die Literatur der Vergangenheit dem gegenwärtigen
Bewußtsein vermittelt, schärft das Auge und sensibilisiert die Sinne nicht nur für
die vergangene Epoche sondern auch für die veränderten Bedingungen dieser
Gegenwart. Aus seinen Texten spricht ein Engagement, das die Theorie des
Ganzen und das Ethos des Einzelnen, das Wissenschaft und konkrete Alltäglich¬
keit nicht gegeneinander stellt, sondern miteinander verbindet. Anders aber läßt
sich in der Theorie für die nicht sprechen, die ohne Stimme sind.
Fritz Hochwälder und
“Das heilige Experiment”
Fritz Hochwälder ist am 28. Mai 1911 in Wien geboren. Seine Eltern waren
einfache Leute, sein Vater Tapezierermeister, seine Mutter Altwarenhändlerin.
Beide waren klein von Wuchs, und klein war auch der Laden, in dem sie sich
aufzuhalten pflegten. Dahin zu gelangen, mußte man in der Westbahnstraße, im
siebten Wiener Gemeindebezirk, ein paar Stufen hinuntersteigen. Fritz Hoch¬
wälder und ich besuchten dieselbe Volksschule, in der Zollergasse, später auch
dasselbe Reformrealgymnasium (so wurde diese Schultype damals genannt; es
handelte sich um eine Verbindung von Realschule und Realgymnasium). So
hatten wir auch einen gemeinsamen Schulweg in die Albertgasse, im achten
Bezirk. Doch behagte Hochwälder der Schulzwang nicht. In mancher Hinsicht
war er unsern Lehrern voraus. Er trat nach der Unterstufe aus und wandte sich
dem väterlichen Gewerbe zu. Als er, seines Judentums wegen, nach dem ’An¬
schluß’ schleunigst das Weite suchte und illegal in die Schweiz entkam, rettete
er auch sein Meisterdiplom, weil er damit rechnete, als Tapezierer arbeiten zu
können. Doch war das nach Schweizer Gesetzen nicht möglich, weil es genügend
Schweizer Tapezierer gab.
So verlegte sich Fritz Hochwälder, der schon in Wien gelegentlich Theaterstücke
geschrieben hatte, aufs Schreiben, teils der Not gehorchend, teils aber auch - wie
sich bald herausstellen sollte - aus eignem Triebe.
Damals habe ich sein Hörspiel aus der Bauernkriegszeit “Weinsberger Ostern
1525" für den französischen Rundfunk übersetzt, und es wurde im April, bzw.
im Juni 1939 in Paris und in Brüssel gesendet. Daihm die Ausübung jedes andern
Berufs untersagt war, widmete sich Hochwälder nun ausschließlich dem Dra¬
menschreiben, saß in der Bibliothek und entdeckte dort neue Stoffe. So stieß er
auf das Thema des ”Heiligen Experiments". Noch während des Krieges wurde
das Stück vom Städtebundtheater Biel-Solothurn am 24. März 1943 uraufge¬
führt. Im Februar 1947 schickte mir der Autor ein Exemplar der Erstausgabe
(Volksverlag Elgg, Kanton Zürich) nach Frankreich.
Ich machte mich sofort an die Übersetzung, die zunächst vom Pariser Rundfunk
—(Radio-National) am 10. April 1950 gesendet wurde, und zwar unter dem Titel
“Terre de Dieu”, den ich dem Stück ursprünglich gegeben hatte. Als es zwei
Jahre später an dem nach dem Tod von Louis Jouvet und Pierre Renoir verwai¬
sten “Theätre de l’Athende” von Jean Mercure inszeniert wurde, hatte es den
Titel “Sur la Terre comme au Ciel” bekommen. Von hier ging dann der Weltruhm
des Stückes und des Dichters aus. Die Pariser Premiere hat eine einhellige
Begeisterung bei der Kritik hervorgerufen, mit Frangois Mauriac und Gabriel
Marcel an der Spitze. Den letzten Akt hatte ich aus dramaturgischen Gründen
etwas umgearbeitet. Diese meine Fassung wurde dann ins Deutsche übertragen
und, wie mir später Direktor Häussermann sagte, bei der Neuinszenierung am
Burgtheater 1964 übernommen. Sie findet sich dann auch in der Gesamtausgabe
der Dramen Hochwälders (Bd.1, Zürich 1975).
1 Friedrich Achberger: Österreichische Litera¬
tur 1918-1938. Kommentar zu einer Epoche.
Typoskript. 1.Kapitel (Einleitung) S.3 (Her¬
vorheb.v.Achberger)
Ebd. 7.Kapitel (Österreich-Entwürfe) S.1
Ebd. S. 4 ff (Hervorheb.v.Achberger)
Die wenigen Bemerkungen hierzu stützen sich
aufmeinen Essay Vom habsburgischen Mythos
zum Mythos der Masse. Über einige Vorausset¬
zungen und Besonderheiten der österreichi¬
schen Exilliteratur. In: Exilforschung. Ein in¬
ternationales Jahrbuch. Bd.5. München 1987,
S.196-223
5 Joseph Roth: Radetzkymarsch. Romane Bd.1.
Köln 1984. S.559£
6 Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit.
Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und
Epilog (Akt-Ausgabe). Wien 1919. S.508f
Achberger, Österr.Literatur, 7.Kapitel, S.12f
Friedrich Achberger: Das Große Salzburger
Welttheater. Religiöses Theater im Dienste der
Politik. Typoskript. S.2
9 Ebd. S.2a
10 Ebd. S.5
11 Ebd. S.4
12 Ebd. S.9
13 Karl Kraus: Die Fackel. Nr. 601. $. 5
14 Achberger, Salzburger Welttheater, S.11a
15 Friedrich Achberger: Theodor Kramer — Josef
Weinheber. Antipoden in der österreichischen
Lyrik der dreißiger Jahre. In: Mit der Ziehhar¬
monika. 8.Jg.(1991) Nr.1, S.16
16 Ebd. S.11
17 Ebd.
18 Ebd. S.12
19 Ebd. S.13
20 Theodor Kramer. Gesammelte Gedichte.
Hg.v. Erwin Chvojka. Bd. 1. Wien München
Zürich 1984. S.272
21 Ebd. S.12
Zum 100. Geburtstag des 1891 in Mön¬
chengladbach geborenen, 1947 in Riva
am Gardasee nach langem, schwerem
Leiden verstorbenen Dichters wurde in
Graz ein photomechanischer Nach¬
druck (nach den 1955 bei Otto Müller in
Salzburg erschienenen “Sämtlichen Ge¬
dichten”) mit den Gedichtzyklen “Hah¬
nenschrei” (1926), “Gesänge von der
Erde” (1933) und “Lob der Vergäng¬
lichkeit” (posthum 1949) herausge¬
bracht.
Leifhelm, mit einer Grazerin verheira¬
tet, hatte 1923-35 die produktivsten
Jahre seines Lebens in Graz verbracht.
Seit 1915 war er mit Felix Braun be¬
freundet, der ihm 1935 eine Lehrtätig¬
keit als Dozent für deutsche Sprache
und Literatur in Palermo vermittelte. So
konnte sich Leifhelm während der NS¬
Zeit außerhalb Österreichs aufhalten,
ohne einen offenen Bruch mit den