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Gerhard Scheit Weg ohne Ziel Die Herausgeber Karl-Markus Gauß und Ludwig Hartinger geben sich keinen Illusionen hin; ihr Nachwort zu dem vor kurzem erschienenen achten Band der Ernst Fischer Ausgabe beschließen sie ernüchtert aber durchaus mit munteren Sätzen: „Daß Fischer mit dem Aufbrechen jener Systeme, für deren Öffnung er schrieb, wieder rezipiert, wirksam werden könnte, davon waren über all die Jahre hin wie selbstverständlich seine Verehrer, Freunde und auch wir, seine Herausgeber, überzeugt. Diese Hoffnung ist zunichte. Höchste Zeit also, die Werkausgabe Ernst Fischers fortzuführen; man mußja immer jene Bücher veröffentlichen, deren sich die Gegenwart wie einer überflüssigen, lästigen Störung zu entziehen, zu entledigen versucht: mit dem Verbot durch die politische Polizei, über das Diktat der marktwirtschaftlichen Zwänge. Anlaß genug, Fischers Werke gerade jetzt zu veröffentlichen: Sie waren und bleiben subversiv.“! Begonnen wurde die Werkausgabe in einem anderen Zeitalter: vor acht Jahren, als die Systeme noch einigermaßen geschlossen waren - als überhaupt von Systemen noch die Rede sein konnte. Freilich, die Zeit von Ernst Fischers großer Publizität war damals schon vorbei: in den sechziger und am Beginn der siebziger Jahre genossen die relativ späten Aussteiger aus den kommunistischen Parteien - Lukäcs, Fischer, Kofler — die größte Publizität. Wenn aber selbst die Autoren der Frankfurter Schule um ihren Stand auf jenem Markt bangen müssen, auf dem Theorie und Essayistik, Literaturkritik und Ästhetik feilgeboten werden (im SPIEGEL wurde vor kurzem darüber gewitzelt?) - in welchen Keller fallen dann erst die Tantiemen von Ernst Fischer! Doch es geht nicht um geistige Marktforschung, die überlasse man getrost dem SPIEGEL. Das Problem ist, daß Marxisten wie Fischer oder Lukäcs am katalaunischen Schlachtfeld der Ideologien von jener Kontinuität stalinistischer Praxis wieder eingeholt werden, mit der sie an einem bestimmten Punkt ihres Lebens schon gebrochen hatten. Mit der Öffnung der Parteiarchive kommen Tatsachen ans Licht, die man ahnte, die sie selber aber nach ihrem Bruch mit der Partei - und: wegen ihres Bruchs — verdrangten oder beschönigten. Ihre Hoffnung auf baldige Reform und „Öffnung“ der Systeme war vielleicht im Geheimsten begleitet von dem Trost, die Archive würden noch lange geschlossen bleiben. In dieser tröstlichen Gewißheit vermochten späte Einsichten leicht in früheres Verhalten projiziert zu werden. Allerdings kann es in jenem Verhalten selber schon reale Elemente des Bruchs gegeben haben - Elemente, die heute mit allen erhaltenen Protokollen der Archive vermutlich gar nicht mehr zu entziffern sind, so dicht sind persönliche Taktiken, politische Macht und Ohnmacht, Opfer und Täterschaft verwoben. (Es geht freilich auch nicht um die „Vergangenheitsbewältigung“ der KPO; sie sei einer ihrer zuständigen Kommissionen und ihren Festrednern überlassen - mag die Häme für Ernst Fischer auch bald als die einzige Kontinuität sich herausstellen, die diese Partei noch zusammenhält.) Durch die Neuausgabe ist aber eine, sehr wichtige Frage leichter zu beantworten: Ob die Schriften Ernst Fischers zu den Akten der Parteiarchive gelegt werden können, ob die notwendige Verurteilung der denunziatorischen Praktiken der dreißiger Jahre und später auch den Stab über das Werk zu brechen vermag. Oder in den Worten der Herausgeber: Worin besteht der subversive Gehalt der Schriften Ernst Fischers? Paradox erscheint es, daß jene beiden autobiographischen Bände, worin der Bruch mit der stalinistischen Vergangenheit am unmittelbarsten vollzogen wurde, heute fast am schwierigsten zu lesen sind. Es stimmt, was Gauß und Hartinger hierzu im Nachwort der „Erinnerungen und Reflexionen“ schreiben: Ernst Fischer hat es sich nicht leicht gemacht, er hat das Politische seiner 21 eigenen Biographie einem harten Verhör unterzogen — ein „bohrender immer wieder neu aufgenommener Versuch, den ’Stalinismus’, nein, nicht zu ’bewiltigen’, nicht mit großen Worten zu verdammen, sondern auf seine eigene Rolle hin zu untersuchen, auf die Rolle eines kritischen Intellektuellen (...)“. Und die beiden Herausgeber sind bereit, sich dem Widerspruch eines Autors zu stellen, der „bezwingende subtile Studien zur österreichischen Literatur“ zu verfassen vermochte und zugleich imstande war, Broschüren wie „Der Arbeitermord von Kemerowo“ und „Vernichtet den Trotzkismus“ zu schreiben”. Mittlerweile wurde bekannt, Fischer habe nicht nur publizistisch allgemein sondern praktisch konkret denunziert*. Die quälenden Fragen, die Ernst Fischer sich später selbst immerfort stellen mußte, sind allerdings das Bleibende auch an dieser Autobiographie und geben den Herausgebern recht, die „Erinnerungen und Reflexionen“ und „Das Ende einer Illusion“ wieder aufzulegen. Fischer geht darin wirklich mit sich selber ins Gericht, mag in den Antworten auch nur eine wohltemperierte Wahrheit herauskommen. Die immer wiederkehrenden Fragen — die mit der Gestalt Lou Eisler-Fischers fast verschmelzen - sind ein Zeichen, daß die Verdrängung letztlich nicht erfolgreich war, und diese Unruhe der Befragung hat vermutlich für viele eine befreiende Wirkung gehabt, als das Buch zum erstenmal erschien und großes Echo von links - aber natürlich auch von rechts erhielt. Die anderen Bände der Ausgabe scheinen weitab zu liegen von diesem Brennpunkt der Autobiographie. Die „Frühen Schriften“, mit denen die Ausgabe 1984 eröffnet wurde, bringen eine Auswahl von Fischers umfangreicher Publizistik zwischen 1920 und 1934; sie zeigt Ernst Fischer im Umfeld des Austromarxismus, in der Nahe Jura Soyfers. In der Schrift über die „Krise der Jugend“, die man vielleicht hätte vollständig publizieren sollen, scheint die erste und die letzte Szene des Lechner-Edi gedanklich schon entworfen. Die beiden Bände mit Fischers späteren systematischen Entwürfen zur Ästhetik „von der Notwendigkeit der Kunst“ und „Ursprung und Wesen der Roman