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Erich Hackl Zu einer Ausstellung, die keine ist Die tschechische Publizistin und Übersetzerin Milena Jesenskä ist 1896 in Prag geboren und wurde 1944 im KZ Ravensbrück um ihr Leben gebracht. Eine Auswahl ihrer Feuilletons und Reportagen aus den Jahren 1919 bis 1939 ist vor einigen Jahren auf deutsch im Verlag Neue Kritik erschienen, wenig später eine Biografie von Jana Cerna. Die Verlegerin und Herausgeberin des Auswahlbandes, Dorothea Rein, hat sich damit, nach Frieda Kahlo und Tina Modotti, erneut einer Künstlerin angenommen, die bisher als weibliches Ornament eines männlichen Kosmos herhalten mußte. Alle drei - Kahlo, Modotti, Jesenska galten im deutschen Sprachraum vor Reins Bemühungen als Randfiguren des Kunstbetriebes, legitimiert im wesentlichen nur durch ihre Liebe zu und ihre Leiden an sogenannten Großen Männern, ob sie nun Diego Rivera, Vittorio Vidali oder - im Fall Milena Jesensk4 - Franz Kafka hießen. Allen drei Frauen war gemeinsam, daß sie, um den Titel eines Buches über Modotti zu zitieren, eine brüchige Existenz in Zeiten absoluter Gewißheiten führten. Wem diese Gewißheiten abhanden kommen, der sieht sich gefährdet, gibt sich auf oder bäumt sich auf. Nach üblicher Lesart wäre Tina Modotti eine, die sich aufgibt, weil sie der Fotografie entsagt; Frieda Kahlo die sich Aufbäumende, indem sie ihr Sehnen, ihre Liebe und Trauer unvermittelt in den Mittelpunkt ihrer Malerei stellt. Trifft dieses Schema schon auf Tina und Frieda nicht zu, so wird es im Fall Milena Jesenskä überhaupt obsolet. Da ist keine Selbstaufgabe und auch keine monomanische Beschränkung auf das eigene Ich festzustellen. Weibliche Kultfiguren sind, oder werden, alle drei genannten Frauen. Das ist nur recht so. Denn anders als männliche Künstler, deren Lebensumstände aus ihrem historischen Umfeld gelöst und zum Mythos erhoben werden, zeichnet sie aus, neben dem eigenen Schaffen immer auch das Schaffen anderer wahrgenommen zu haben, die anderen in sich gesehen zu haben. Das ist offenbar eine weibliche Tugend, deren Kehrseite Selbstverleugnung heißt. Um Milena Jesenskäs Größe zu benennen, genügt es, den letzten Satz ihres Nachrufs auf Franz Kafka auf sie selbst zu münzen: Sie war ein Mensch und eine Künstlerin von so feinem Gewissen, daß sie auch dort etwas spürte, wo sich andere, die nicht so empfindlich waren, ungefährdet fühlten. Eine Ausstellung über Milenas Leben und Werk ist also angebracht. Aber ob es gerade diese sein muß, die im Rahmen des Festwochenprogramms im Wiener Messepalast bis zum 17. Juni zu sehen war? Freilich, das ist auch keine gewöhnliche Austellung, sondern eine "literariEinmal... Ja, einmal, vor vielen Jahren, graue Vorzeit, Urknall - erinnert ihr euch: da gab es wirklich noch Ausstellungen, in denen man sehen und stehen durfte, sein eigenes Tempo selbst bestimmen konnte, vor einem Stück, Schuberts silbernem Zahnstocher zum Beispiel, länger verweilte, eine Vitrine übersprang, vielleicht weil das Glas so unverschämt spiegelte oder weil der Aufseher schon mit dem Zusperren drohte oder weil das Kind quengelte. Wie lange ist das her! Inzwischen haben wir uns langst an die zeitgerechte Form der "Inszenierung" gewöhnt, bei der die Darbietung wichtiger ist als das Angebot, die Verpackung bedeutsa 3 mer als der Inhalt. So wie die Greißlerei zum Supermarkt mutiert ist, hat die Ausstellung zur Inszenierung gefunden. Die literarische Installation namens Vivre, die Gertraud Auer und Catherine Stahly Mougin zuerst in Paris, jetzt in Wien eingerichtet haben, geht noch einen Schritt weiter. Was in diesem dunklen Schlurf, durch den die Besucher getrieben werden, zu sehen und zu hören ist, verweist nur mehr, und zwar nicht einmal auf den Gegenstand, Leben und Werk Milena Jesenskäs nämlich, sondern auf die Gebärde des Verweisens selbst: Seht her, wie originell! Im Grunde ist Vivre - ein seltsamer Titel, handelt es sich doch um eine Autorin, die sehr stark in der tschechischen Kultur wurzelte - extrem autoritär konzipiert. Die Besucher werden durch neun Kojen geschickt, in denen sie hilflos umhertappsen, sofern sie nicht, wie einst Pawlows Hund, fremden Signalen gehorchen: dem Wechsel von Hell zu Dunkel; dem Wechsel von Stille zu Sprache oder Musik. Zu sehen gibt’s nichts, außer billiger Symbolik (deren technische Perfektion, Bull Computer sei Dank, nicht angezweifelt, sondern lobend erwähnt werden soll). Verweilen, zurückgehen, überspringen ist unmöglich. Da sich das Wenige über Milena Jesenskä ausschließlich akustisch, durch Textpassagen aus ihrem Werk nämlich, mitteilt, sind die Besucher aufgefordert, Räuspern, Schneuzen, Schnalzen, Herumgehen mit genageltem Schuhwerk u.ä. zu unterlassen. Also macht sich eine sakrale Stimmung breit, wie in einer Kirche nach der donnernden Predigt des Dorfpfarrers. Der kirchlichen Inszenierung Unkundige verhalten sich in Fortsetzung auf Selte 4 sf \ „ | be S a ‘