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12 Erfreuliches aus der Fortbildungsecke für LehrerInnen: an der Universität Klagenfurt hat sich eine Vierteljahrsschrift für Deutschdidaktik etabliert, in der nicht in Schulorganisations- und Lehrplankategorien gedacht wird, sondern diese reflektiert, ’gebrochen’ werden, in der das "Menschheitsproblem" Bildung immer wieder neu angegangen wird. So wurde in letzter Zeit über die Allgemeinbildung und deren Bedeutung an berufsbildenden Schulen gearbeitet (Nr. 1/89), die Alibifunktion des Erlasses Politische Bildung und der Umstand, daß sich Politische Bildung und Schule meist gegenseitig ausschließen, wurden in der Nr. 2/88 in einer Art und Weise analysiert, der wir uns sehr nahe fühlen. Mit der Nr. 2/89 unter dem Titel "Österreich-Bilder" ist der Redaktion der ide - Informationen zur Deutschdidaktik ein besonderer Wurf gelungen, der einen über das Zielpublikum hinausgehenden Leserkreis verdient. Hier werden das Problem "österreichische Literatur", zu der auch die Literatur der nationalen Minderheiten gehört, und jenes des österreichischen Deutsch in einer prägnanten und gut faßlichen Weise zusammengefaßt, sodaß dieses Heft zum Handapparat jeder bewußten Österreicherin/jedes bewußten Österreichers gehören sollte. Der Ordinarius für deutsche Philologie an der Universität für Bildungswissenschaften Klagenfurt, Albert Berger, beschreibt den Begriff österreichische Literatur als einen "mit historischem Gepäck". Er entwickelt seine Entstehung von Hofmannsthals "österreichischer Idee" her, die sich gegen die trennenden Nationalismen und Ideologien stellt und ihre Verwandtschaft mit dem Universalismus nicht verleugnen kann. Hofmannsthal hat besonders mitgeholfen den Begriff Österreich zu einem Superzeichen zu stilisieren und ihn vom faktischen Geschichtsverlauf zu trennen. Doch eine österreichische Literatur gab es für ihn noch nicht, nur deutsche Schriftsteller in Österreich. Der Begriff von der österreichischen Literatur hat seine Wurzel in der Österreich-Ideologie des Austrofaschismus, an die in den 50er Jahren mit Artikeln unter der peinlich-banalen Frage "Gibt es eine Österreichische Literatur?" angekniipft wurde. Diese restaurative Phase driickte sich in der Férderung der 3 W (Wildgans-Weinheber-Waggerl) aus. Mit der Rezeption der "österreichischen" Klassiker der Zwischenkriegszeit, dem "habsburgischen Mythos" von Claudio Magris, und der Avantgarde und Moderne der 60er und 70er Jahre erhielt der "Begriff der österreichischen Literatur in relativ kurzer Zeit einen fortschrittlichen Klang". "Was der Begriff des Österreichischen dabei an höheren Weihen (“österreichischer Mensch’, “österreichisches Wesen’, ‘Österreichisches Antlitz’, etc.) einbüßte, kam seinem Gehalt an Wahrhaftigkeit zugute." (S. 21) Primus-Heinz Kucher moniert in seinem Artikel, daß jene, die von österreichischer Identität sprechen, "das Faktum akzeptieren müssen, daß zu den Grunderfahrungen der meisten Österreichischen Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler in diesem Jahrhundert eben jene der Vertreibung, der Ausbürgerung, des Exils, mitunter auch des Lagers gezählt haben, - die ‘Splitter im Aug’, wie Adornos Reflexionen Minima Moralia (1944-45) einleitend festhalten und zugleich ‘.. das beste Vergrößerungsglas’." (S.51). Daß sich nur der Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka um die Rückholung der vertriebenen Wissenschaftler und Künstler bemühte, die Regierungsstellen blockten, und gerade die Emigration sich um einen Begriff der österreichischen Nation bemühte, von dem wir heute noch zehren, gehört nicht zu den Ruhmesblättern des Österreichertums. Daß die Erforschung des Exils und des Widerstandes nicht besonders gefördert wird und institutionell nicht abgesichert ist, verstärkt dieses Bild. Am Beispiel Theodor Kramer zeigt Kucher das Schicksal des Exils und das Abbrechen von Traditionen. Kramer, in den 30er Jahren einer der bedeutendsten Lyriker Österreichs und international bekannt und anerkannt, wird im britischen Exil von seiner Sehnsucht nach der Heimat zerfressen und hofft am Aufbau eines anderen, eines neuen Österreichs mitwirken zu können. Nach seiner späten Rückholung muß er 1957, vier Monate vor seinem Tod, bitter bilanzieren: "erst in der Heimat bin ich ewig fremd". Rudolf Muhr von der Uni Graz nähert sich der deutsch-österreichischen Sprache unter dem Titel "Gespaltene Sprache - gespaltenes Bewußtsein - gespaltene Identität". Er konstatiert, daß die Spannung Deutschsprachigkeit und Eigenstaatlichkeit noch nicht gelöst ist, was dem Festhalten am Herderschen Konzept Alfredo Bauer der Sprachnation anzulasten wäre, daß Deutsch eine plurizentrische Sprache ist, und daß auch in Österreich eine Mehrsprachigkeit herrscht. Jakob Ebner ergänzt Muhrs Thesen mit einer Einführung in den speziellen österreichischen Gebrauch der deutschen Sprache, hier wären noch spannende Erkenntnisse zu Tage zu fördern. Wir sprechen keine das Hochdeutsch beleidigenden Dialekte, sondern haben uns - nötig auch hier ein österreichisches Selbstbewußtsein - einen eigenen Sprachgebrauch erworben. Die eben behandelten drei Hauptthemen sind ergänzt von einem Vergleich der Anthologien zur österreichischen Literatur (Walter Fanta), einem Beitrag über die Behandlung zeitgenössischer Österreichischer SchriftstellerInnen durch "bestimmte" Journalisten (Ludwig Laher), Einführungen in die Literatur der slowenischen (Reginald Vospernik) und der kroatischen Minderheit (Nikolaus Bencsics) in Österreich sowie Literaturproben. Diese Nummer (zu 88 %,-) und/oder ein Abonnement (zu öS 294,-) der IDE sind erhältlich unter der Adresse: VWGÖ), Lindeng. 37, 1070 Wien. Die Themen der neuesten Nummern sind: 3/89 Literatur, Liebe, Schule 4/89 Massenmedien 1/90 Frau und Schule 2/90 Computer im Deutschunterricht Bernhard Kuschey ide Informationen zur Deutschdidaktik 13. Jg., Nr. 2/89 Osterreich-Bilder Redaktion: Werner Wintersteiner, UBW, Universitätsstr. 65-67, 9022 Klagenfurt _ Buenos Aires, am 18. April 1990 An den Vorsitzenden des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik, Herrn Lothar de Maiziére, Berlin | Die Erklärung der Volkskammer in bezug auf die Verantwortung des deutschen Volkes gegenüber den Juden hat mir, so gut sie auch gemeint gewesen sein mag, bittern Schmerz bereitet. Ich bin jüdischer Abstammung, war selbst Opfer der Nazi-Verfolgung und konnte mich mit meiner engeren Familie nach Argentinien retten, während viele meiner Verwandten in der Gaskammer ermordet wurden. Mein ganzes Leben habe ich daraufhin dem Kampf gegen den Faschismus und zumal auch gegen die Rassenverfolgung gewidmet. [...] Ich glaube, in der Judenfrage über einige Kenntnisse zu verfügen, die mich dazu berechtigen. [Zur Erklärung der Volkskammer Stellung zu nehmen.] Ich bin Autor einer "Geschichte der Juden", einem Werk von nahezu 600 Seiten, das im Jahre 1971 in Argentinien erschien, weite Verbreitung fand und bis heute kommentiert und diskutiert wird. Ferner erschienen von mir fünf zusammenhängende Romane, welche die Geschichte einer jüdischen Familie in Österreich und deren Problematik behandeln. [...] Daß nun die Volkskammer wieder den verbrecherischen Charakter der Judenverfolgung anprangert, ist ganz in Ordnung. Denn das kann nicht oft genug nachdrücklich genug getan werden. Was aber soll dieses "erst jetzt"? Was soll zumal die danach angesprochene Behauptung, speziell und gerade die DDR bitte um Verzeihung für Verbrechen gegen die Juden, die im Laufe ihrer 40-jährigen Existenz begangen worden wären. Auch von "Heuchelei” ist die Rede. Was für Verbrechen und was für Heuchelei sind da gemeint? Soweit mir bekannt ist, sind antisemitische Ausschreitungen nur ganz vereinzelt vorgekommen, verübt von Feinden der sozialistischen Ordnung, und sie sind stets im Rahmen