9. Jahrgang Nr. 2 Mai 1992 dS 20,¬
Zeitschrift der Theodor Kramer Gesellschaft
Nicht fürs Süße, nur fürs Scharfe
und fürs Bittre bin ich da;
schlag, ihr Leute, nicht die Harfe,
Kaddisch für eine Dichterin
In der Zeit zwischen Herbst 1938 und Mai 1942 mußte die Dichterin Alma
Johanna Koenig, die in den Zwanzigerjahren und zu Beginn der Dreißigerjahre
eine bekannte, geschätzte und von der Stadt Wien preisgekrönte Autorin war,
achtmal ihr Quartier wechseln und von Untermietzimmer in immer schäbigere
Untermietzimmer ziehen. Im letzten Quartier, das nur noch eine Dienstmäd¬
chenkammer war, in der sie gemeinsam mit einer fremden Greisin hauste, mußte
sie sich auch noch von ihrem geliebten Kater trennen, nicht etwa des Platzman¬
gels wegen, denn die alte Weißnäherin, die mit ihr dort eingewiesen wurde, war
eine gutartige, schlichte Frau, sondern weil der verbrecherische Staat den an den
Rand der Existenz gedrängten Bewohnern das Halten von Haustieren nicht
mehr gestattete.
Das Verbrecherregime hatte schon im Januar 1942 in Wannsee bei Berlin das
Ende der etwa sechzigtausend Wienerinnen und Wiener genau und im Detail
vorgeplant, denen die Flucht aus ihrer Heimat - irrtümlich als “Emigration”
bezeichnet - vor dem Ausbruch des Krieges nicht mehr gelungen war. Aber diese
sechzigtausend vorwiegend älteren und armen Wiener wußten nicht, was ihnen
tatsächlich bevorstand. Mit Vertreibung rechneten sie schon. Man hatte ihnen
gesagt, sie würden nach dem Osten, nach Polen und der Ukraine, ausgesiedelt,
dort in Arbeitslagern untergebracht und als Arbeitskräfte verwendet werden.
Das Wort “Völkermord” war nicht genannt worden, kam nicht in den offiziellen
Mitteilungen vor. So unglaublich dies heute klingt, aber die Frauen und Männer,
die am 27. Mai 1942 mit einem Eisenbahntransport verschleppt wurden - es
waren zwei Hundertjährige darunter — wußten nicht, daß sie in den vorprogram¬
mierten Tod geschickt wurden. Man hat nie mehr ein Lebenszeichen von ihnen
gehört. Die offizielle Auskunft, die man in Wien bekam, lautete, sie seien nach
Minsk in Weißrußland gebracht worden.
Oskar Jan Tauschinski: Kaddisch für
eine Dichterin S.1
Fritz Beer: Mehr als ich erwarten
durfte S. 5
Richard Thieberger: Oskar Jellinek
(1886-1949) S.8
Walther Jary: Gedenken für Oskar
Jellinek in Raach S. 8
Oskar Jellinek: Briefe aus dem Exil
5.10
Ingrid Runggaldier-Moroder: Oskar
Jellineks “Das Dorf des 13. März”
5.11
Peter Roessler: “Und weben der
Menschheit einen wärmenden
Mantel”. Erinnerungen von Schau¬
spielern und Schauspielerinnen S.15
Eva-Maria Siegel: “ Können Sie mich
verstehen?” Exil-Symposien. Eine
“Reisereportage” S.18
Gerhard Scheit: Notwendiger Nach¬
trag zu Ernst Fischer S. 23
Gedichte von Alma Maria Koenig
(S.4), Herbert Kuhner (S.7), Stella
Rotenberg (S.19)
Zeichnung von Willi Pechtl (S.20)
Rezensionen über Bücher von
Gerald Nitsche, “... und kein Wort
Deutsch” (Herbert Kuhner, S. 14),
Helmut Peitsch, “Deutschlands Ge¬
dächtnis an seine dunkelste Zeit”
(Johann Holzner, S.21), Elfriede
Schmidt, “1938 ... and the Conse¬
quences” (K.K., S. 21), Dietmar
Goltschnigg, “Biichner im ’Dritten
Reich’” (Herbert Staud, S. 22)
Briefe von Hans Heinz Hahnl (S.23),
Wolfgang Neugebauer und Viktor
Matejka (S. 24)
Notizen iiber Grete Weil in Inns¬
bruck (S. 20), Ausstellung “Die Zeit
gibt die Bilder” und Autorenlesun¬
gen“ im Literaturhaus (S.4), Frauen
im Exil 1933-1945” (S. 6), Wein und
Niisse (S.23)