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schen Hauptstadt Brünn der 20er Jahre, in das politische und kulturelle Leben Prags der 30er Jahre. Trotz der großen Zahl von Personen, mit denen Beer in Kontakt kam, ist es doch eine lange, einsame Jugend in Brünn und Prag, die er uns schildert. Aus assimilierter, einigermaßen wohlhabender jüdischer Familie stammend, erfährt er doch, daß die Eltern ihn nicht bewahren können vor Antisemitismus und nationalem Haß. Früh entwickelte sich seine Sensibilität für soziale Ungerechtigkeit. Aus dieser Verlassenheit, in der er sich bei aller Geborgenheit fand, heraus, schloß ersich den tschechischen Kommunisten an. Die selbstkritische Darstellung seiner KP-Erfahrung (mit all ihren Absurditäten, Triumphen und bitteren Streitigkeiten) ist exemplarisch, bietet Anschauungsmaterial von seltener Dichte und Prägnanz. Beer schildert Wohnungen, Arbeitsräume und Menschen sehr konkret. Die Lebensbedingungen bleiben immer präsent. Von den vielen menschlichen Begegnungen, die ihn prägten, ist die mit Milena Jesenskä, die sich schon seit den Moskauer Prozessen von der KP gelöst hatte, besonders ergreifend. Ein letztes Mal traf er sie in Prag in der Straßenbahn und sie riet ihm, das Land zu verlassen, deutscher Jude, dessen Aussprache ihn immer als Nicht-Tschechen verraten werde. Sie trug schon damals als trotzige Geste den Judenstern. “Aber ich”, sagte sie ihm, “kann bis zum letzten Augenblick den Mund aufmachen und laut schreien, was die Wahrheit ist.” Beers Autobiographie ist die eines Exilierten, eines Menschen mit mehrfach gebrochener Identität. Er will mit seinen Erinnerungen nicht kitten, was zerbrochen ist, bloß zeigen, wie es dazu gekommen ist. - Das Buch läßt den Leser nicht leicht los. K.K. Frauen im Exil 1933 — 1945 Die Internationale Gesellschaft für Exilforschung veranstaltet zusammen mit der Katholischen Akademie Hamburg die zweite Tagung zu diesem Thema. InteressentInnen erhalten Auskünfte und Information über: Beate Schmeichel-Falkenberg, Rosenstr.28, D/W-7406 Mössingen 2 bei Tübingen, Tel. (06) 07473 7271. wie der Pole Joseph Conrad, der Elsässer Rene Schickele, der Russe Wladimir Nabokov, der Ungar Arthur Köstler, der Ire Samuel Beckett. Auf alle anderen trifft zu, was den frühzeitig gealterten Hemingway zum Selbstmord trieb: ’die Worte kommen nicht mehr’. Das ist der Fluch des Exils: die Worte kommen nicht mehr, weil man die Muttersprache in ihrer täglichen Entwicklung und Anreicherung nicht miterlebt, weil man selbst in der bequemsten Wohnung immer in einem kalten Keller sitzt, weil man, wie sehr man sich auch dagegen wehrt, den Schatten der Erinnerung nicht ausweichen kann. Kurt Tucholsky und Stefan Zweig hatten keine Existenzsorgen, als sie sich im Exil das Leben nahmen. Aber was diesem Sinn gab, ihre Sprache, war im Begriff, an Auszehrung zu sterben. Sie lebten im reichen Schweden und warmen Brasilien. Aber nur in den Ritzen der Gesellschaft. Ich schreibe noch immer das österreichische Deutsch der Dreißigerjahre, in denen ich aus meinem jugendlichen Loch kroch, um die Welt zu schildern. Ich dachte, ich würde mithelfen, sie zu verändern, wenn ich die Wahrheit über sie schrieb. Was ich damals für Wahrheit hielt, war ihre marxistische Interpretation, mein Wunschbild von der Welt, wie sie sein sollte. Alles andere hielt ich für Verrat an der humanistischen Orientierung, der ich mich verpflichtet fühlte. Nach den Moskauer Prozessen, dem Münchner Abkommen, dem Stalin-HitlerPakt und dem Zusammenbruch Frankreichs lag mein Weltbild in Trümmern. Als ich, ein versprengter tschechischer Soldat, vor dem deutschen Vormarsch nach dem Süden floh, motivierte mich nur der biologische Erhaltungstrieb, ich müßte am Leben bleiben, für die Frau, die ich in London zurückgelassen hatte, für ein Kind, das wir haben wollten. Sonst gab es nichts, keinen Traum, keine Hoffnung, ganz sicher keinen Glauben an die Macht des Wortes. Ein Buchhändler in Narbonne, bei dem ich vergeblich versuchte, eine Landkarte des Grenzgebietes zu finden, um über die Pyrenäen nach Spanien zu fliehen, meinte, alles, was wir jetzt erlebten, die Fäulnis im Establishment, die Dekadenz des Militärs, die Verwirrung in den Menschen, sei schon bei Balzac zu lesen. Mit seiner genialen und schonungslos der Wahrheit ergebenen Schilderung der französischen Gesellschaft sei er ihr erfolgreichster Kritiker und Interpret gewesen. Ich kann nicht beurteilen, ob das zutrifft. Aber ich weiß heute, daß es jenseits von Unterhaltungsliteratur, die ihre eigene Legitimität besitzt, für den Schriftsteller keine andere Verpflichtung geben kann, als die Wahrheit zu suchen. Sie ist revolutionär, wo Revolution notwendig, und konservativ, wo Bedrohtes erhaltenswert ist. Als deutsch schreibende Schriftsteller im Exil waren wir u.a. verpflichtet, die ganze Wahrheit über das Dritte Reich zu schreiben, sowohl an die Existenz des ’Anderen Deutschland’ zu erinnern wie an die historische Verstrickung einer ganzen Nation im Bösen. Ich fürchte, daß uns das aus vielen Gründen nicht gelungen ist. Aber vielleicht bin ich für so ein Urteil nicht genug belesen. Gibt es den ’groBen Emigrationsroman’, der unsere Hoffnungen und Enttäuschungen, unsere Verzweiflung und Entfremdung schildert, der sich über unsere kleinen und manchmal auch großen Erfolge, unsere Zerstrittenheit, unsere existentielle und weltanschauliche Unsicherheit hinaushebt und in unseren Schicksalen ein Spiegelbild der durch den Krieg zerrissenen Welt malt, das große Panorama der in ihren Grundlagen erschütterten und nie mehr wieder zuversichtlichen Gewißheiten zeichnet, die uns eine ’heile Welt’ vortäuschen? Ich jedenfalls habe dies oft versucht und mit der zunehmenden Komplexität des Beginnens, an der mein Rüstzeug versagen mußte, aufgegeben. Mein Wort war also nicht mächtig. Wenn ich nicht gerade von der Melancholie dieser Erkenntnis bedrückt werde, gewinne ich Kraft aus dem Gedanken, daß es ein paar Menschen gibt, die ich als Schreiber, Rundfunksprecher und Journalist mit meinem kleinen Wort erreichte. Vielleicht hat es sie amüsiert, ihnen einen Tropfen Zuversicht gegeben, sie für einen kurzen Augenblick aufgerichtet, durch Zuspruch, Verständnis, ein Lachen oder auch nur einen trotz meiner Geborgenheit in London mitempfundenen Zweifel. An den himmelsstürmenden Hoffnungen meiner Jugend gemessen ist das nicht viel. Es ist mehr, als ich in Hinblick auf die Wolfsfallen auf meinem langen Lebensweg erwarten durfte.