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Der Nachlaß Richard Zachs

Eine weitere Lücke in der Erforschung
der antifaschistischen Literatur der
1933-1945 im Lande Gebliebenen
scheint geschlossen zu sein: Anläßlich
des 50jährigen Gedenkens an seinen To¬
destag wurde auf den Tag, sogar auf den
Wochentag, ja vielleicht auf die Stunde
genau am Mittwoch, 27. Jänner 1993,
um 17 Uhr im Ausstellungsraum des
Dokumentationsarchivs des österreichi¬
schen Widerstandes (DÖW) in Wien
der aufgearbeitete Nachlaß des am 27.
Jänner 1943 in Berlin-Brandenburg hin¬
gerichteten Grazer Dichters Richard
Zach öffentlich präsentiert und dem
DÖW übergeben.

Richard Zach, 1919 in Graz als zweiter
Sohn einer steirischen Arbeiterfamilie
geboren (Kurzbiografie vgl. MdZ
Nr.4/1991, S.4), wurde am 31. Oktober
1941 als geistiger Urheber (Urteils¬
schrift) eines Netzes von Widerstands¬
zellen in Graz und Umgebung von der
Gestapo verhaftet. Als er versucht,
Warnbriefe aus dem Grazer Polizeige¬
fängnis an seine jungen engagierten
Freunde zu schmuggeln, wird er ertappt,
mißhandelt und muß vier Wochen in
Dunkelhaft verbringen. Zwischen Mitte
Dezember 1941 und Mitte Jänner 1942
kann er einem ebenfalls inhaftierten
Freund in die Nachbarzelle Nachrichten
und aufrüttelnde Gedichte morsen.
Richard Zach selbst näht kleine und
kleinste Zettel in die Bünde seiner Klei¬
dungsstücke ein oder gibt sie per Hand¬
schlag weiter. Bis Jänner 1943 entstehen
so — geht man davon aus, was erhalten
blieb -80 Kassiber mitrund 200 Gedich¬
ten.

Seit Mitte April 1942 als Untersu¬
chungshäftling in Berlin-Moabit, kann
er aufgrund der dortigen Schreiberlaub¬
nis in einer kleinen Mappe in seiner
„Freizeit“ täglich 1 bis 10 scheinbar un¬
politische Gedichte und Skizzen notie¬
ren. Etwa 600 an der Zahl werden später
vom Rechtsanwalt dem Bruder überge¬
ben. Zwischen diesen finden sich ver¬
steckte Notizen und Hinweise auf die
Kassiber-Texte. Am 17. August 1942
wird Richard Zach wegen ,, Wehrkraft¬
zersetzung“, „Hochverrat“ und Versuch
der „Lostrennung eines zum Reiche ge¬
hörigen Gebietes“ zum Tode verurteilt.
Wie in einem Schaffensfieber schreibt er
weiter an seinen, wie er sie selbst nennt,

Diese Klugen und Freundlichen

Zornigen und Hoffnungsvollen

Die auf dem nackten Boden saßen, zu schreiben
Die umringt waren von Niedrigen und Kämpfern
Öffentlich gepriesen werden.

Für diese kommende Zeit sind die philologischen und archivalischen Vorausset¬
zungen geschaffen. Aber weil das Vertrauen auf jene kommende Zeit stark
angeschlagen ist und wir sie vielleicht alle nicht mehr erleben, muß man froh sein
über die kleinen Formen öffentlichen Eingedenkens an Richard Zach und über
die Zugänglichkeit seines Werks für eine interessierte Öffentlichkeit. Minde¬
stens philologisch ist mit der historisch-kritischen Aufarbeitung seines dichteri¬
schen Nachlasses und mit der biographischen Rekonstruktion des Entstehungs¬
zusammenhanges dem Leben und Werk Richard Zachs eine Aufmerksamkeit
zugewandt worden, wie sie „vordem reserviert“ war für die Texte derer, die, wie
es in Brechts Gedicht heißt, „auf die goldenen Stühle gesetzt sind, zu schreiben“.
Nicht zuletzt aber dient die wissenschaftliche Form der Aufarbeitung und archi¬
valischen Sicherung dieses aufrührerischen Werks, neben den anderen Formen
der Publizität, vor allem den verdienstvollen Werkausgaben, dazu, daß Zachs
Werk in den besten Bibliotheken der ganzen Welt seinen Platz erhält, daß es
dadurch auch international gesichert wird, weilschon einmal in diesem Jahrhun¬
dert die Pogrome auch vor den Büchern in den deutschen und österreichischen
Bibliotheken nicht haltgemacht haben. Und so leicht auch Buchstaben wiegen,
so wie sie nun einmal gespeichert werden, sind sie schwerer noch zum Verschwin¬
den zu bringen als die tonnenschweren Steine des antifaschistischen Denkmals
und Befreiungszeichens, das Alfred Hrdlicka zwischen der Wiener Staatsoper
und der Albertina verankert hat.

Der größere Teil des literarischen Werks von Richard Zach, an die 800 Gedichte,
ist in der fünfzehnmonatigen Gefangenschaft in den nationalsozialistischen Tor¬
turkerkern entstanden. Der eingekerkerte, zuletzt, und das waren noch vier
Monate, von Ende August 1942 bis Ende Jänner 1943, unter dem Alptraum des
Todesurteils schreibende Dichter hat seine Gedichte als „Versuche und Skizzen“
verstanden (DÖW-Nr.12.584/1); den „Augenblicken der Zellenenge“ abgerun¬
gen, schreibt er im letzten Kassiber-Brief im Dezember 1942, „müssen“ sie
„künstlerisch sehr unvollkommen bleiben“. Was sie vermitteln wollen, heißt es
weiter in diesem Brief, ist die „Berührung mit einer entblößten Seele“. „Berüh¬
rung mit einer entblößten Seele“, das ist der Versuch, sich selber im Schreiben
zutage zu fördern, seine Möglichkeiten freizulegen, dem verschütteten Lebendi¬
gen, der Unmittelbarkeit des Erlebens auch unter den mörderischen Haftbedin¬
gungen treu zu bleiben. Die vier großen Themenkreise seines Werks, die er im
Brief vom 1. September 1942 benennt, „Dem Leben“, „Die Entblößten“, „Das
neue Werk“, „Ich lebe doch“, haben ihr Zentrum in dem Versuch, einen zurei¬
chenden Grund für das Ich im Leben selber zu finden, in dem verzweifelten
Wunsch, das lebendige Ich „aufzuheben“ in einer sinnvollen Welt- „Esmuß einen
allumfassenden Willen zum Fortschritt geben, der dieses winzige, kreisende,
wünschende Splitterchen ‚Ich‘ erhält, nicht zerreibt in Atome, es muß, muß! Nur
jetzt nicht aufhören müssen mit dem Schaffensfieber, nur jetzt nicht!“ (2.9. 1942).
Die unmittelbare Erfahrung von Wandlung und Erneuerung, die Erfahrung des
Lebens selber, immer wieder beschworen in den Gedichten Richard Zachs, wird
vom Streben nach Bewußtwerden, nach Erkenntnis der Gesetze des Lebens
begleitet: „dem Leben entsprechen durch Leben“, das heißt für ihn, im Brief
vom 5. September 1942, durch „eigenes Tun“, durch bewußte Veränderung,
durch geschichtliche Praxis, wie man sagen könnte, lebendig zu bleiben. In der
Todeszelle, aller bürgerlichen Rechte beraubt, arbeitet Richard Zach am Rie¬
senprojekt der Verbindung des emanzipatorischen Naturbegriffs der Goethezeit
mit dem marxistischen Geschichtsdenken - nicht in der Form einer theoretischen
Abhandlung, sondern in der emphatischen Wahrnehmung und poetischen
Praxis. In seinen ,,,lyrischen Versuchen‘“ will er, liest man im Brief vom 8.
September 1942, mit „‚lebhafter‘, durch die gereimte Rede möglichst hochge¬