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Agnes Hörtler
Abbilder

INRI

„Dann ging er in den Tempel und
begann,

die Händler hinauszutreiben.“

1939

Er bekämpfte die Kriegsgewinnler.

Widerstand an allen Fronten.

INRI

„Fürchtet Euch nicht vor denen,

die den Leib töten.“

1940

Er hat keine Tränen oder Schwermut.

Den Haß der Guten, Selbstgerechten!

INRI

„Bleibt standhaft

und Ihr werdet das Leben haben.“

1941

Er wird Christusschnitzer und lebt.

Bauern opfern Holz und Brot.

INRI

„Meine Freunde,

Frieden diesem Haus.“

1941

Er benützt die Straße.
Glaubt nicht an Großdeutschland.

INRI

„Hütet Euch vor dem Sauerteig.

Ihr redet den Menschen ein, daß Ihr
die Gerechten seid,

aber Gott kennt Euer Herz.“

1942

Rad rädert Rad.

Die Pharisäer drängeln.
INRI

„Es wäre besser für ıhn, wenn man

ihn mit einem Mühlstein um den Hals
ins Meer würfe,

damit er keinen zum Bösen verleiten

kann.“
1943
Ton ist Klage ohne Bild,
Entschleierung!
Geist weht.
Die Sterne leuchten auf.
INRI
„Sie übernahmen Jesus.“
1944

Blut ist der schlechteste Zeuge
der Wahrheit.

INRI

„Daher will ich ihn auspeitschen
lassen.
Die Wächter trieben ihren Spott.“

1945

Büttel ironisch:
Groß werden wir um Kopf kürzer
machen.

INRI

„Die Sonne verdunkelte sich,
der Vorhang riß mitten durch.“
1945

Tod im Gestapokeller; Grenze der
Gedanken.
Wahrheit entflieht wie das Licht.

INRI

„Wenn sie schweigen, werden die
Steine schreien.
Selbst den Staub Eurer Stadt, der an
unseren
Füßen klebt, lassen wir zurück.“

1945
Ein Nichts hinterm Sonnenaufgang!

INRI

„Er ist doch kein Gott von Toten,
sondern von Lebenden,
für ihn sind alle lebendig.“

1975

Kreuze rhythmisch über Europa.
Deren Schatten Empfindung.
Den, welchen sie Erlöser nennen,
schlugen sie in Banden.

Der Hintergrund ist eine Wunde im jugendlichen Alter. Im kältesten Kriegswinter 1945 wurden Menschen der Widerstandsbewe¬
gung verhaftet. Mein Vater gehörte zu ihnen. Zugetragen hat es sich in der Obersteiermark, in der Stadt Zeltweg. ... Gegen die
NS-Diktatur hatte sich eine starke Widerstandsgruppe gebildet. Eine ehemalige Nonne brachte das für die Familien von KZlern
gesammelte Geld nach Bruck an der Mur. Am linken Murufer führte der Leiter des Lohnbüros der Alpine Zeltweg, Regner, eine
Gruppe. Die Gruppe am anderen Ufer führte Peter Groß, ein Künstler, der wegen einer Lungenkrankheit invalid war und vom
Holzschnitzen lebte. Ich kannte Peter Groß von Besuchen bei uns. Ich respektierte und verehrte ihn wegen seines Mutes.

Bei einem Waldspaziergang wurde ein Mann namens Toni als Verbindungsmann der Gruppe vorgestellt. ... Im Winter 1945 kam
es schlagartig zu Verhaftungen. An einem späten Nachmittag ging mein Vater zu Groß. Statt eines „Herein“ riß ein Gestapomann
die Tür auf und schrie: „Wer sind Sie!“ Er mußte der Hausdurchsuchung und der Verhaftung zusehen. ... „Jetzt werden wir den
Groß um einen Kopf kleiner machen!“ Mein Vater kam zurück, leichenblaß. Ich hatte tagelang Angst und weinte vor Entsetzen.
... Gleichzeitig wurden acht weitere Männer der Gruppe und Regner verhaftet. ... Beiden Behörden liegt auf, daß Groß und Regner
nicht mehr zurückkamen. ... Mein Vater erkundigte sich wegen des „Toni“ und erfuhr, daß dieser ein Gestapomann aus Leoben
war. Es gäbe noch andere Details. ... Ein Fleischhauerehepaar kam nach Dachau. Er wurde erhängt und sie kam zurück!
Kriegsgefangenenerschießungen in den Ausländerlagern. Ein beispielloser Terror!

Bei einer Germanistik-Lehrveranstaltung in Graz lernte ich zufällig einen Studenten aus Zeltweg kennen, der die Familie von
Agnes Hörtler kannte, und den ich bat, weitere Erkundigungen einzuziehen. Ich weiß nicht, ob es ihm gelungen ist. Leider ist
der Kontakt zu ihm abgebrochen. Und so steht nun dieses Gedicht mit großer Verspätung in dieser Zeitschrift und erinnert
mich an eine doppelte Spirale, die sich um die Achse eines alten Schmerzes dreht. Man möchte immerzu eine Brille, ein Fernrohr
vor die Augen rücken, um deutlicher zu sehen, was sich durch den Schmerz bewegt. K.K.