Brünn Asyl fanden, eine von den
Städten Wien und Kassel sowie der Se¬
ligergemeinde - Gemeinschaft Sudeten¬
deutscher Sozialdemokraten finanzierte
Gedenktafel angebracht, zu deren Ent¬
hüllung wir Sie herzlichst für den 23.
Juni 1993 einladen.“
Nach einer Kranzniederlegung am Grab
der in Brünn verstorbenen Autorin und
Schauspielerin Else Rüthel-Schaber
und einem Vortrag von Dora Müller
„Die Brünner Emigrantenszene der
dreißiger Jahre“ wurde eine Gedenkta¬
felam Haus Moravsk& nämsti3 enthüllt.
An dieser Stelle befand sich das Kaffe¬
haus Biber, ein beliebter Treffpunkt der
Emigranten, unter ihnen Oskar Maria
Graf, Paula Wallisch, Ilse Kulcsar, Josef
Luitpold Stern, Schiller Marmorek,
Rolf Reventlow. Das Gebäude wurde
im Zweiten Weltkrieg durch Bombar¬
dierung zerstört.
Von Vertretern der mährischen Haupt¬
stadt Brünn wurde am Rande des Fe¬
stakts wiederholt der Wunsch geäußert,
daß die alte kulturelle Verbundenheit
der Städte Wien und Brünn wiederauf¬
lebe.
Die Kulturreferentin des Deutschen
Kulturverbandes, Dipl.Ing. Dora
Müller hatte sich schon seit Jahren für
diese Gedenktafel eingesetzt. Geboren
1920 in Neu Titschein in Mähren, wuchs
sie in einem sozialdemokratischen EI¬
ternhaus in Brünn auf und lernte viele
der Emigranten der 30er Jahre noch
persönlich kennen. Sie studierte
Chemie an der Universität Brünn; Ab¬
erkennnung des Studiums durch die Be¬
hörden nach 1945, Berufsverbot. Seit
1986 war sie freie Mitarbeiterin der
„Prager Volkszeitung“ und veröffent¬
lichte literarische und literaturge¬
schichtliche Arbeiten auch im Ausland.
Sie ist Mitglied des PE.N.-Zentrums
deutschsprachiger Autoren im Ausland.
Derzeit plant sie eine Ausstellung unter
dem Arbeitstitel „Drehscheibe Brünn“
über das deutsche und österreichische
Exil in Brünn.
K.K.
William Stafford, geboren in Hutchin¬
son (Kansas), konsequenter Pazifist und
Militärdienstverweigerer, College- und
Universitätslehrer in den USA, Verfasser
zahlreicher Lyrik- und Prosabände, ist
auch als Übersetzer bekannt.
Manchmal, des Abends, geht ein Übersetzer hinaus
und hört die Ströme, die vor und zurück wandern
über Grenzen. Der Übersetzter hat eine Minze
auf der Zunge, er wendet sie, eine neue Seite zu versuchen.
Er schmeckt einen wilden, neuen Geschmack,
einen Geschmack, der jenen verblassenden Sprachen Leben gibt,
die fluchen und einander die Namen zurufen,
die Millionen zerstörten durch das Schwingen eines Kreuzes
gleich einer Axt, oder durch einen Neumond, gebogen wie ein Messer,
oder durch einen Stern, so rot, weil er sich seinen Weg über die Erde brannte.
Auch jener wilde, neue Geschmack schwindet,
aber er verweilt eine Zeitlang an Grenzen, daß der Übersetzer
den Geschmack heimlich kosten kann, um von beiden Seiten zu leihen.
So hält er für einen Moment die gleiche runde Welt
in jenem Augenblick des Abends, bevor die Sonne untergeht.
Übersetzt von Robert Geist und Herbert Kuhner
Titel des englischen Originals: Walking the Borders.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.