Der Verlag von Richard Länyi in Wien
veröffentlichte kleine, sorgfältig ge¬
druckte Lyrikbände sowie Bücher über
zeitgenössische Literatur und Kunst
und gab die „Flugschriften der Gesell¬
schaft zur Förderung der modernen
Kunst in Wien“ heraus. Von Egon
Schiele erschienen dort „Briefe und
Prosa“ und „In memoriam“, von Bert¬
hold Viertel und Max Rychner Kraus¬
Würdigungen und von Leopold Liegler
„Karl Kraus und die Sprache“. Weitere
Autoren waren Karl Rössler, Peter Al¬
tenberg und heute vergessene Dichter
wie H. Barber, K. Braun-Prager, M.
Kornitzer und Heinrich Schaffer. Nach
1933 kamen unter dem Eindruck der
Ereignisse in Deutschland nach Hitlers
Machtübernahme Schriften heraus, die
sich mit jüdischer Problematik befa߬
ten, darunter „Das Land der Söhne ¬
Palästina näher gerückt“ von Erich
Goitgetreu und „Eine Jüdin erlebt das
neue Deutschland“ von Lili Körber.
Richard Länyi wurde am 9. Dezember
1884 in Wien geboren und am 28. Mai
1942 in Auschwitz ermordet. Sein
Verlag, zu dem eine Buchhandlung
gehörte, befand sich in der Wiedner
Hauptstraße 18-20 im 4. Bezirk. Die
erste Verlagspublikation war 1917 eine
Mappe mit zwölf Zeichnungen von von
Egon Schiele, die vermutlich letzte,
neben dem von Leopold Schmidt her¬
ausgegebenen und acht Original-Kunst¬
blätter enthaltenden „Almanach 1938“,
war im Herbst 1937 der Gedichtband
„Die Flut“ von Moriz Seeler. Für Carl
Zuckmayer waren Seelers Gedichte
„voll träumender Sehnsucht und
schönem, ungebeugtem Stolz“, Oskar
Maurus Fontana sah in dem Verfasser
einen Dichter „voll Vision, Leuchtkraft
und großer Form“ und für Friedrich
Torberg wurde die Begegnung mit
Seelers Lyrik zu einem „großen, berei¬
chernden Erlebnis“.
Moriz Seeler kam 1888 in dem pommer¬
schen Landstädtchen Greifenberg zur
Welt, wo sein Vater ein Eisenwarenge¬
schäft betrieb und sein Urgroßvater
Itzig Simon Seeler sich bereits 1812 nie¬
dergelassen hatte. Über Moriz Seelers
frühe Jahre ist so gut wie nichts bekannt,
überhaupt gleicht seine Lebensge¬
schichte einem Buch mit allzu viel her¬
ausgerissenen Seiten. Er studierte in
Berlin, wo schon sein älterer Bruder als
Arzt praktizierte. Von Hermann Kasack
weiß man, daß Moriz um 1916/17 in der
Brandenburgischen Straße 36 in Berlin¬
Wilmersdorf wohnte und an einem Ner¬
venfieber litt, vermutlich eine Folge
schlimmer Erlebnisse als Frontsoldat.
Kasack pflegte ihn: „Die Nacht war
fürchterlich. Ich war von 8 Uhr abends
bis heute morgen um 8 mit einer Kran¬
kenschwester bei ihm ... Schweres Ner¬
venfieber, Bewußtlosigkeit, Verfol¬
gungswahn ..“ Doch mit der Zeit
erholte Seeler sich und wurde wieder
gesund.
Nach dem Krieg traf man ihn fast jeden
Vormittag nach einem ausgiebigen Spa¬
ziergang mit seinem kleinen Hund, den
Zuckmayer „tausendrassig“ nannte, im
Romanischen Café an der Gedächtnis¬
kirche, in dem nahezu alles verkehrte,
was in Berlin mit Literatur, Theater und
Film zu tun hatte. Dort, an einem der
gußeisernen Tische mit den rötlichen
Marmorplatten, schrieb er Artikel,
Schauspielerporträts, Betrachtungen
über das Theater, die in Blättern wie
„Das junge Deutschland“ und „Die
junge Kunst“, vermutlich aber auch in
Tageszeitungen erschienen. Außerdem
verfaßte er anonym Sketches für Max
Reinhardts Kabarett „Schall und
Rauch“, für das auch Ringelnatz,
Mehring, Klabund und und Tucholsky
Texte lieferten, Friedrich Hollaender
und Mischa Spoliansky Songs, Schlager
und Gassenhauer komponierten und
George Grosz die Ausstattung besorgte.
Damit nicht genug: 1919 erschien
Seelers erster Lyrikband, ein Zyklus mit
dem Titel „Dem Hirtenknaben“ über
König David und Jonathan, den Sohn
Sauls; er dürfte verschollen sein. Erhal¬
ten haben sich lediglich einige emphati¬
sche Zeilen aus einer Rezension:
„Reinste Lyrik schwingt in den samte¬
nen Versen. In Empfindungen und Far¬
benwundern ohne das tragische
Element einer Handlung schwelgt diese
Dichtung. Das Land der Pharisäer
ersteht völlig neu und setzt sich Lied um
Lied zu einem herrlichen Tempelmo¬
saik zusammen.“
„Kunstereignisse“, berichtete vor mehr
als dreißig Jahren Hans Tramer im Bul¬
letin des Leo-Baeck-Instituts, „rührten
Moriz Seeler auf. Sein Urteil war tref¬
fend und in den meisten Fällen durfte
man seinen Prognosen trauen. Beson¬
ders wenn es um das Theater ging,
wußte er, worauf es ankam, und ob ein
Schauspieler eine Rolle auch wirklich
erlebte oder nur spielte... Von Conradt
Veit zum Beispiel, den er am Abend des
3. März 1918 in der Uraufführung der
Tragödie ‚Seeschlacht‘ von Reinhard
Goering erlebt hatte, sagte er sofort am
nächsten Tage: Der wird morgen
berühmt sein! Und so kam es auch.“
Schon früh hatte sich um Seeler ein
Kreis gebildet, der sich regelmäßig an
seinem Tisch im Romanischen Café traf.
Zu ihm zählten der Theaterkritiker Max
Krell, der später als PEM bekannte
Filmjournalist Paul E. Marcus, Else
Lasker-Schüler, Carl Zuckmayer und
Walter Mehring sowie die Schauspieler
Walter Franck, Rudolf Forster, Gerda
Müller, Alexander Granach, Matthias
Wiemann und andere, die bald zu den
Zelebritäten von Bühne und Film
zählen sollten.
1921 schließlich gründete Moriz Seeler
in Berlin die „Junge Bühne“, die sich als
ungeheuer karrierefördernd auswirken
sollte und ohne die das Berliner Thea¬
terleben jener Jahre nicht vorstellbar ist.
Ihre Geschichte wurde noch nicht ge¬
schrieben. Carl Zuckmayer rühmte sie
in seinen Lebenserinnerungen „Als
wär’s ein Stück von mir“ als „beispiel¬
haftes Unternehmen, wie man es heut¬
zutage als avantgardistisch bezeichnen
würde. Es bestand aus einer einzigen
Person, das war Moriz Seeler - ein
kleiner, viereckiger Mann mit Hornbril¬
le, Bambusstock und einem kleinen
Hund, ein unbezähmbarer Enthusiast,
dem der Geschäftssinn eines Schmetter¬
lingssammlers und das Herz eines Dich¬
ters eignete. Er hatte sich zum Ziel
gesetzt, die Stücke neuer Talente her¬
auszustellen, und er führte es durch: fast
alle begabten Autoren der jungen Ge¬
neration, Bronnen, Brecht, Hans Henny
Jahn, Alfred Brust und manche andere
wurden dort gespielt. Seeler stampfte
Aufführungen aus dem Boden, ohne