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22 Es ist ja so schwer anständige Leute zu finden heutzutage.“ Borja pinselte wie ein Wahsinniger. In zwei Minuten mußte er fertig sein, und Krejna Solomonowna wartete ungeduldig. „Kommen Sie, kommen Sie“, sprach sie mit immer nervöser werdender Stimme, „lassen Sie die Pinselei. Da steht so ein Sofa, so ein Sofa, reinster Luxus... Und eine komplette Sesselgarnitur, und Matratzen, nicht mehr ganz sauber, aber noch völlig O.K. Sie sind doch nicht mehr der Jüngste, sie brauchen erst einmal Zeit, um hinzukommen, und dann ist womöglich schon das Beste weg. Genau dasselbe ist mir vor drei Wochen passiert. Da hat wer am Strand was abgeladen, und wie ich mit ein paar Kunden dort war, da war keine Spur mehr von den Sachen. Peinlich war mir das, aber das kommt davon, wenn man so herumtrödelt und nicht schnell genug schaltet.“ Schließlich war er so weit. Er schmiß den Pinsel in eine Ecke und eilte der Alten hinterher, hinaus in die Hitze. Daläuft er nun, den Oberkörper nur mit einem Unterhemd bekleidet, da schleppt er sich nun durch die leere Straße. Der Schweiß rinnt ihm in Strömen vom ganzen Körper, und er kann kaum atmen. Einige Schritte hinter ihm humpelt Galja, aufgescheucht auch sie von ihrer Gelegenheitsarbeit, herbeibeordert, um, wie sie es immer schon ironisch auszudrücken pflegte, „auf Jagd zu gehen“. Krejna Solomonowna lief voraus. Das Ziel war schon in Sichtweite. Borjas Augen schmerzen, Mund und Rachen sind wie ausgedörrt, man will zuhause liegen und ohne Unterlaß trinken. Es stinkt fürchterlich. Dieser Gestank der Abfälle, die den Gehsteigrand zieren, schmilzt langsam in der glühendheißen Luft. Dann beginnt er Form anzunehmen, verfestigt sich, materialisiert sich. Da ist es schon: Plunder. Ein Bett, Matratzen, Stühle ohne Sitze, Tische ohne Beine, das von Krejna Solomonowna erwähnte Sofa, gelb-braun-weiß bezogen und mit einem großen, braunen Fleck in der Mitte, die, wenn auch nicht mehr ganz komplette, Sesselgarnitur, ein Fernseher, Bücher (für die sich übrigens keiner interessiert), Schränke - alles am Straßenraund, ein großer Haufen und doch ein Teil der endlosen Schmutzkette, die eine Barriere bildet zwischen den geparkten Autos und dem Gehsteig. Die Leute sind ausgezogen und haben die alten, nicht mehr zu gebrauchenden Möbel einfach am Gehsteigrand stehen lassen, dort wo die großen, dunkelgrauen Plastiksäcke mit Müll stehen, und das vor jedem Haus, und das schon seit mehreren Tagen, weil die Müllabfuhr wieder einmal streikt, und die streikt zum Leidwesen der Bewohner ziemlich oft in New York. Und nur Krejna Solomonowna hat auch hier den Durchblick und weiß, daß der Streik vorüber ist und daß morgen sowohl der schon unerträglich stinkende Müll, als auch die Kostbarkeiten weg sein werden. Borja und Galja stürmen sofort zum Bett. Zwar verströmt es einen sonderbaren Geruch, es scheint, einige Flecken deuten darauf hin, daß ein Hund auf dieses Bett seine Notdurft verrichtet haben könnte. „Aber was soll’s“, denkt Borja, „schließlich kann man es ja wieder säubern, und außerdem ist ja eine Matratze auch noch dabei, das allein spricht schon dafür, es zunehmen. Was man doch alles im Müll finden kann. Wenn meine Freunde in Leningrad wüßten, wo wir all unsere Möbel her haben.“ Borja schrieb zwar gerne Briefe, Briefe in denen er die Emigration und die Anfangszeit in Amerika minutiös beschrieb, gewisse Sachen mußte er jedoch bei seinen Schilderungen weglassen. So wie manches verschwiegen, mußte einiges erfunden werden. Mit Stolz beschrieb Borja die wunderschöne Wohnung, die er natürlich bald gemietet hatte und die, wie so manches in Amerika, geräumig, komfortabel und modern war. Natürlich erwähnte er auch seine wunderschönen Möbel... Und außerdem soll man den sowjetischen Behörden ja nicht unbedingt kostenlos Propagandamaterial ins Haus liefern. Schließlich kursierten in Immigrantenkreisen die Gerüchte, manche amerikakritische Briefe seien plötzlich in sowjetischen Zeitungen aufgetaucht, auszugsweise versteht sich. Als er noch in Rußland war, glaubte Borja, daß alles, was in sowjetischen Zeitungen über den Westen stand, gelogen sei. Inzwischen wußte er, daß es eine andere Art von Lüge war, man kann auch mit der Wahrheit lügen... Zwei Frauen stritten sich wegen einer kleinen Komode. „Ich habe sie als erste gesehen, ich trage sie jetzt zu mir nach Hause!“ schrie die eine. „Was heißt — Sie tragen sie jetzt nach Hause? Die gehört mir! Ich habe sie zuerst gesehen, schon heute morgen!“ bestand die andere auf ihrem Recht. „Na, dann hätten Sie sie doch gleich mitgenommen, wenn Sie sie gesehen haben, wenn sie Ihnen gefallen hat ... Sonst kann ja jeder sagen ...“ „Leicht gesagt - gleich mitnehmen“, fiel ihr die andere ins Wort, „ich bin nicht mehr so jung wie Sie. Sowas allein zu schleppen, bei der Hitze. Für wen halten Sie mich? Aber ich habe meinen Mann mitgebracht.“ „Ach, was redest du noch mit ihr“, sagte der Mann, der neben ihr stand, „los, pack an! Zum einfach so Herumstehen ist es zu heiß.“ „Das werden wir ja sehen. Das lasse ich nicht zu!“ „Was läßt du nicht zu? He? Na? Was ist?“ Es folgte ein wildes Geschimpfe. Aber Borja hörte nicht mehr zu. Er nahm das Bett auf der einen, Galja nahm es auf der anderen Seite. Sie schleppten. „Das Dreckstück ist aber verdammt schwer“, dachte Borja, „und schaukeln tut esauch noch. Und überhaupt, sobald ich Arbeit finde, sollte ich überhaupt eine finden, eine richtige natürlich, dann kaufe ich uns sofort eine Klimaanlage. Sonst krepiert man ja noch bei diesem Klima.“ Krejna Solomonowna war rührend um die beiden besorgt. „Vorsicht, da ist ein Gehsteigrand, Galina Abramowna, passen Sie auf, da ist wieder ein Sack voller Unrat.“ Leute tauchten auf, Bekannte, Nachbarn, die sie kannten. „Aaah! Sie also auch schon! Nur weiter so, es ist ja nicht mehr weit!“ hörten sie freundliche Worte. „Na, so ein tolles Bett! So eins hätte ich auch gern.“ Noch eine freundliche Stimme. Borja wunderte sich, wo seine Schwiegermutter war. Krejna Solomonowna hatte doch gesagt, sie sei schon zu den Möbeln unterwegs. „Ach was, soll die Alte doch der Teufel holen“, dachte er. Die Leute um ihn herum redeten immer noch, doch wurden sie leiser, rückten in weite Ferne, schließlich mußte sich Borja ja auf das Tragen konzentrieren, und das wurde von Schritt zu Schritt zu