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Es ist ja so schwer anständige Leute zu
finden heutzutage.“

Borja pinselte wie ein Wahsinniger. In
zwei Minuten mußte er fertig sein, und
Krejna Solomonowna wartete ungedul¬
dig. „Kommen Sie, kommen Sie“,
sprach sie mit immer nervöser werden¬
der Stimme, „lassen Sie die Pinselei. Da
steht so ein Sofa, so ein Sofa, reinster
Luxus... Und eine komplette Sesselgar¬
nitur, und Matratzen, nicht mehr ganz
sauber, aber noch völlig O.K. Sie sind
doch nicht mehr der Jüngste, sie brau¬
chen erst einmal Zeit, um hinzukom¬
men, und dann ist womöglich schon das
Beste weg. Genau dasselbe ist mir vor
drei Wochen passiert. Da hat wer am
Strand was abgeladen, und wie ich mit
ein paar Kunden dort war, da war keine
Spur mehr von den Sachen. Peinlich war
mir das, aber das kommt davon, wenn
man so herumtrödelt und nicht schnell
genug schaltet.“

Schließlich war er so weit. Er schmiß
den Pinsel in eine Ecke und eilte der
Alten hinterher, hinaus in die Hitze.
Daläuft er nun, den Oberkörper nur mit
einem Unterhemd bekleidet, da
schleppt er sich nun durch die leere
Straße. Der Schweiß rinnt ihm in
Strömen vom ganzen Körper, und er
kann kaum atmen. Einige Schritte
hinter ihm humpelt Galja, aufge¬
scheucht auch sie von ihrer Gelegen¬
heitsarbeit, herbeibeordert, um, wie sie
es immer schon ironisch auszudrücken
pflegte, „auf Jagd zu gehen“.

Krejna Solomonowna lief voraus. Das
Ziel war schon in Sichtweite. Borjas
Augen schmerzen, Mund und Rachen
sind wie ausgedörrt, man will zuhause
liegen und ohne Unterlaß trinken. Es
stinkt fürchterlich. Dieser Gestank der
Abfälle, die den Gehsteigrand zieren,
schmilzt langsam in der glühendheißen
Luft. Dann beginnt er Form anzu¬
nehmen, verfestigt sich, materialisiert
sich.

Da ist es schon: Plunder. Ein Bett, Ma¬
tratzen, Stühle ohne Sitze, Tische ohne
Beine, das von Krejna Solomonowna er¬
wähnte Sofa, gelb-braun-weiß bezogen
und mit einem großen, braunen Fleck in
der Mitte, die, wenn auch nicht mehr
ganz komplette, Sesselgarnitur, ein Fern¬
seher, Bücher (für die sich übrigens
keiner interessiert), Schränke - alles am
Straßenraund, ein großer Haufen und
doch ein Teil der endlosen Schmutzket¬

te, die eine Barriere bildet zwischen den
geparkten Autos und dem Gehsteig. Die
Leute sind ausgezogen und haben die
alten, nicht mehr zu gebrauchenden
Möbel einfach am Gehsteigrand stehen
lassen, dort wo die großen, dunkelgrau¬
en Plastiksäcke mit Müll stehen, und das
vor jedem Haus, und das schon seit meh¬
reren Tagen, weil die Müllabfuhr wieder
einmal streikt, und die streikt zum Leid¬
wesen der Bewohner ziemlich oft in New
York. Und nur Krejna Solomonowna hat
auch hier den Durchblick und weiß, daß
der Streik vorüber ist und daß morgen
sowohl der schon unerträglich stinkende
Müll, als auch die Kostbarkeiten weg
sein werden.

Borja und Galja stürmen sofort zum
Bett. Zwar verströmt es einen sonderba¬
ren Geruch, es scheint, einige Flecken
deuten darauf hin, daß ein Hund auf
dieses Bett seine Notdurft verrichtet
haben könnte. „Aber was soll’s“, denkt
Borja, „schließlich kann man es ja
wieder säubern, und außerdem ist ja
eine Matratze auch noch dabei, das
allein spricht schon dafür, es zunehmen.
Was man doch alles im Müll finden
kann. Wenn meine Freunde in Lenin¬
grad wüßten, wo wir all unsere Möbel
her haben.“ Borja schrieb zwar gerne
Briefe, Briefe in denen er die Emigra¬
tion und die Anfangszeit in Amerika
minutiös beschrieb, gewisse Sachen
mußte er jedoch bei seinen Schilderun¬
gen weglassen. So wie manches ver¬
schwiegen, mußte einiges erfunden
werden. Mit Stolz beschrieb Borja die
wunderschöne Wohnung, die er natür¬
lich bald gemietet hatte und die, wie so
manches in Amerika, geräumig, kom¬
fortabel und modern war. Natürlich er¬
wähnte er auch seine wunderschönen
Möbel... Und außerdem soll man den
sowjetischen Behörden ja nicht unbe¬
dingt kostenlos Propagandamaterial ins
Haus liefern. Schließlich kursierten in
Immigrantenkreisen die Gerüchte,
manche amerikakritische Briefe seien
plötzlich in sowjetischen Zeitungen auf¬
getaucht, auszugsweise versteht sich.
Als er noch in Rußland war, glaubte
Borja, daß alles, was in sowjetischen
Zeitungen über den Westen stand,
gelogen sei. Inzwischen wußte er, daß es
eine andere Art von Lüge war, man
kann auch mit der Wahrheit lügen...
Zwei Frauen stritten sich wegen einer
kleinen Komode. „Ich habe sie als erste

gesehen, ich trage sie jetzt zu mir nach
Hause!“ schrie die eine.

„Was heißt — Sie tragen sie jetzt nach
Hause? Die gehört mir! Ich habe sie
zuerst gesehen, schon heute morgen!“
bestand die andere auf ihrem Recht.
„Na, dann hätten Sie sie doch gleich
mitgenommen, wenn Sie sie gesehen
haben, wenn sie Ihnen gefallen hat ...
Sonst kann ja jeder sagen ...“

„Leicht gesagt - gleich mitnehmen“, fiel
ihr die andere ins Wort, „ich bin nicht
mehr so jung wie Sie. Sowas allein zu
schleppen, bei der Hitze. Für wen halten
Sie mich? Aber ich habe meinen Mann
mitgebracht.“

„Ach, was redest du noch mit ihr“, sagte
der Mann, der neben ihr stand, „los,
pack an! Zum einfach so Herumstehen
ist es zu heiß.“

„Das werden wir ja sehen. Das lasse ich
nicht zu!“

„Was läßt du nicht zu? He? Na? Was
ist?“

Es folgte ein wildes Geschimpfe. Aber
Borja hörte nicht mehr zu. Er nahm das
Bett auf der einen, Galja nahm es auf
der anderen Seite. Sie schleppten.

„Das Dreckstück ist aber verdammt
schwer“, dachte Borja, „und schaukeln
tut esauch noch. Und überhaupt, sobald
ich Arbeit finde, sollte ich überhaupt
eine finden, eine richtige natürlich, dann
kaufe ich uns sofort eine Klimaanlage.
Sonst krepiert man ja noch bei diesem
Klima.“

Krejna Solomonowna war rührend um
die beiden besorgt.

„Vorsicht, da ist ein Gehsteigrand,
Galina Abramowna, passen Sie auf, da
ist wieder ein Sack voller Unrat.“
Leute tauchten auf, Bekannte, Nach¬
barn, die sie kannten. „Aaah! Sie also
auch schon! Nur weiter so, es ist ja nicht
mehr weit!“ hörten sie freundliche
Worte.

„Na, so ein tolles Bett! So eins hätte ich
auch gern.“ Noch eine freundliche
Stimme.

Borja wunderte sich, wo seine Schwie¬
germutter war. Krejna Solomonowna
hatte doch gesagt, sie sei schon zu den
Möbeln unterwegs. „Ach was, soll die
Alte doch der Teufel holen“, dachte er.
Die Leute um ihn herum redeten immer
noch, doch wurden sie leiser, rückten in
weite Ferne, schließlich mußte sich
Borja ja auf das Tragen konzentrieren,
und das wurde von Schritt zu Schritt zu