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Veza Magds, taucht dieses Stilmerkmal un¬
ter anderem in den 1926 im Malik-Verlag
auf deutsch erschienenen Geschichten aus
Odessa auf.

den sich neben den beiden bereits erwähn¬
ten Erzählungen „Der Sieger“ und „Ge¬
duld bringt Rosen‘ noch zwei weitere Er¬
zählungen in der Arbeiter-Zeitung: „Ein
Kind rollt Gold“ , datiert mit dem 5.3. 1933,
und ‚‚Der Verbrecher“ vom 31.8. 1933. Es
ist das große Verdienst von Eckart Früh
vom „Tagblatt-Archiv‘“ der Wiener Arbei¬
terkammer, durch Stilvergleiche hinter dem
Pseudonym Martha Murner die Autorin er¬
kannt zu haben, die mit Veza Magd zeich¬
nete. Die Novelle ,,Der Kanal“ von Martha
Murner erschien in der Arbeiter-Zeitung
zwischen dem 15. und dem 18.11. 1933,
und die Erzählung ‚‚Der Neue“ (ebenfalls
von Martha Murner) am 23.11. 1933. Erst
als 1990 der Hanser Verlag Die Gelbe
Straße Veza Canettis herausbringt?
siebenundzwanzig Jahre nach ihrem Tod ,
lassen die Informationen im Nachwort von
Helmut Göbel den Leser verblüfft zur
Kenntnis nehmen, daß Veza Magd, Martha
Murner, Veronika Knecht und Veza Canetti
identisch sind. (Das dritte Pseudonym, Ve¬
ronika Knecht, verwendet sie nur für eine
einzige Publikation in der Prager Exilzeit¬
schrift ,, Neue Deutsche Blätter“). Veza Ca¬
netti selber verwendete als Autorin zu ihren
Lebzeiten nie ihren eigenen Namen, weder
den Mädchennamen Venetia Taubner
Calderon, noch den Namen ihres Mannes
Elias Canetti.

Teile ihres Romans waren schon als Er¬
zählungen 1933 in der Arbeiter-Zeitung ab¬
gedruckt worden (“Der Kanal“ und „Ein
Kind rollt Gold“). Mit geringfügigen Än¬
derungen, wie Vereinheitlichung der Gra¬
phik, Verbesserungen weniger Ausdrücke,
finden sie sich, vermehrt um einige erzäh¬
lerische Gelenkstellen zu den anderen Tei¬
len des Romans, identisch in der Gelben
Straße wieder.

Elias Canetti würdigt in seinem Vorwort
Vezas herausragende Begabung und weist
nochmals auf die zentrale Rolle hin, die
Veza in seinem Leben eingenommen hat
(nachzulesen in zwei Bänden seiner Auto¬
biographie'®), auf ihren Glauben an seine
schöpferische Kraft. Das große selbstzer¬
störerische Potential, das die Arbeit an sei¬
nem großen Roman Die Blendung freisetz¬
te, bedrohte auch ihrer beider Beziehung.
„Um sich nicht aufzugeben, begann sie sel¬
ber zu schreiben, und um die Geste des

großen Vorhabens, die ich brauchte, nicht
zu gefährden, behandelte sie ihr Eigenes,
als wire es nichts.“ !!

Diese Zeilen vermögen wohl eine große
Verstörung auszulösen, und diese Ver¬
störung, gemischt mit Bestürzung, stand am
Beginn meiner Arbeit. Im Laufe eines drei¬
viertel Jahres versuchte ich, zumindest
Bruchstücke eines Lebens zusammenzutra¬
gen. Das Resultat, mißt man es in konkreten
Fakten, ist sehr bescheiden.

Obwohl aus Elias Canettis Ausführungen
im Vorwort, zwar nicht explizit, aber doch
erkenntlich hervorgeht, daß er von der
schriftstellerischen Tätigkeit seiner Frau
wußte und ihren Wert sehr wohl hoch ein¬
schätzte, wog die Tatsache schwer, daß er
in den beiden Bänden seiner Autobiogra¬
phie, in denen er Veza ein berührendes
Denkmal gesetzt hat, kein Wort darüber
verliert. Noch verwirrender auch in dem
Vorwort geht er auf dieses sein Schweigen
nicht ein.

Ich danke an dieser Stelle Elias Canetti
nochmals für seine beiden Briefe, in denen
er meine Fragen beantwortet und mich von
meinen Zweifeln befreit hat.

Veza hat nach dem Krieg wiederholt ver¬
sucht, einen Verlag für die ‚‚’Gelbe Straße“
zu gewinnen. Es hat sich niemand dafür
interessiert, sie bekam nichts als Absagen
und hatte den Eindruck, daß man das Ma¬
nuskript nicht einmal recht gelesen hatte.
Es gibt zwei Dramen von ihr, die sie noch
in Wien geschrieben hatte, beide thema¬
tisch der „Gelben Straße“ verpflichtet,
Der Oger“ und,,Der Tiger“. ,, Der Tiger“
war eine Art von Wiener Volksstiick, um die
Geschichte der Frau Sandoval gebaut, die

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Sie kennen. Ein anmutiges, geistreiches und
doch kräftiges Stück, das leicht zu spielen
gewesen wäre. Das andere, ‚Der Oger“, ist
das Beste, was Veza je geschrieben hat, ein
Meisterwerk, dessen Stunde noch kommt.
Es war, einige Jahre nach dem Krieg, bei
manchen Theatern und wurde hie und da
auch wirklich gelesen. Hirschfeld, vom Zü¬
richer Theater, dem ich es zu lesen gab,
hatte großen Respekt davor, es stünde für
ihn zwischen Gogol und Lorca. Er hat sich
aber doch nicht dazu entschließen können,
es zu spielen. Ähnlich ging es auch mit
Wiener Bühnen.

Veza unter diesen Zurückweisungen litt. Ich

selbst war damals beinah unbekannt und
obwohl ich alles tat, was in meiner Macht
war, hatte ich mit Vezas Stücken so wenig
Glück wie mit meinen eigenen.

Veza hat bis zum Schluß geglaubt, daß ihre

Werke noch einmal zu ihrem Recht kommen

würden. Sie starb am 1. Mai 1963.

Ich habe sie, so gut ich konnte, in der ,, Fak¬

kel im Ohr“ geschildert. Zu dieser Periode

unseres Lebens war Veza noch keine Dich¬

terin und selbst wenn ich es gewollt hätte,

wäre über ihr Schreiben noch nichts zu

sagen gewesen. Wohl aber hätte man im

„Augenspiel“ davon sprechen können. Ich

habe es mit voller Absicht nicht getan. Da

niemand etwas von ihr kennen konnte, hätte

sich im Leser das Bild einer liebenswerten,

aber gescheiterten Dichterin festgesetzt.

Das, als eine Wiederholung jenes alten Un¬

rechts, wollte ich um jeden Preis vermeiden

und den Augenblick abwarten, bis man mir
von aussen vorschlug, die ’Gelbe Straße’ in

vollen Ehren, um des Buches selber willen,

nicht mir zu Gefallen herauszubringen.

Man bat mich um ein Vorwort. Nie hab ich

etwas lieber geschrieben.'?

Ich zitiere Elias Canettis Brief mit Absicht
so ausführlich, weil ein Großteil der Rezen¬

senten der Gelben Straße aus den zuvor
erwähnten Zeilen im Vorwort zum Roman

herauslas, Vezas ,,Unsichtbarkeit in der
Literaturlandschaft unseres Jahrhunderts

sei ihrem berühmten Manne anzulasten, aus
dessen Schatten sie aus dienendem Selbst¬

verständnis nicht treten wollte. Nimmt man
aber alle Äußerungen über sie zusammen,

auch das Nachwort Elias Canettis zum Dra¬

ma Der Oger’, und konfrontiert sie mit den

von ihr vorliegenden Texten, die durch ihre
unverwechselbare Eigenart auch sehr viel

tiber die Autorin aussagen, dann ergibt sich
das Bild einer intellektuell unabhängigen
Frau voller Humor und Mitgefühl für ande¬