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Das Feld des Vergessens „Der typische und vielleicht bedeutenste Beitrag von Frauen zum jüdischen Widerstand ist ihre Tätigkeit als Kurierinnen und Verbindungsfrauen. Ohne sie hätte es keinen Widerstand gegeben, der über einzelne Verzweiflungsakte kleiner Gruppen hätte hinausgehen können. Ihre Arbeit ist klandestin, ihre Namen sind falsch, ihre wahre Identität kennt kaum jemand. So arbeiten sie ’im Schatten’- und so bleibt auch die Erinnerung an sie im Schatten der Geschichte.“ Jüdischer Widerstand im Schatten der Geschichte; seit Jahren arbeitet Ingrid Strobl zu diesem im deutschen Sprachraum so vernachlässigten Thema. Im Verlag IDArchiv erschien nun, im Sommer dieses Jahres, „Das Feld des Vergessens“, eine Sammlung ihrer Texte zum Thema ,,Jtidischer Widerstand und deutsche ’Vergangenheitsbewältigung’“. „Für Chaika“, so der Titel des ersten Textes, ist eine Hommage an die Ghettokämpferin Chaika Grossmann. Es ist die Geschichte des Films ,, Wir zeynen do“, die Ingrid Strobl erzählt: 1992 reiste sie mit Chaika Grossmann, Abgeordnete zum isralischen Parlament, und ihrem Mann Meir nach Polen zu den Dreharbeiten. ‚In Treblinka brennt die Maisonne vom Himmel, die Luft flirrt, der Himmel strahlt in Technocolorblau, die Hühner vom Bauernhof, der am Rande des Geländes liegt, gackern, und der Vogel schmettert gnadenlos, in unendlicher Wiederholung sein immergleiches Trititiriliiii. Wir sind fast die einzigen Besucher. Vor dem großen Gedenkstein steht eine Gruppe Amerikaner mit einem Rabbiner, der den Kaddisch singt. Der Vogel begleitet ihn. Ein Zug ratttert und pfeift dazu. Die Bahnstrecke Warschau-Byalistok führt an Treblinka vorbei, für die Transportzüge bauten die Deutschen eine Abzweigung und ein Stichgleis direkt zur Rampe... Wer hier mit dem Auto fährt, fährt mit dem Auto über Tote.“ In lakonischem Ton, aber in einer Sprache, die sich zu Bildern verdichtet, berichtet Ingrid Strobl von der gemeinsamen Reise zu den Schauplätzen, erzählt mit Zuneigung und Respekt von Chaika Grossmann, die während des Krieges als führendes Mitglied der jüdischen Widerstandsbewegung in Wilna und Byalistok kämpfte. Eingeblendet sind in dem Text, wie in einem Film, immer wieder deren eigene Erinnerungen. „Laß uns in den Wald fahren, sagt Chaika, die polnischen Wälder, nach denen hat sie Heimweh, nur nach den Wäldern. Solche Wälder gibt es in Israel nicht, sagt sie, laß uns in den Wald fahren. Wir fahren aus der Stadt, Richtung Pietrasza. Nach Pietrasza hat Chaika Ausflüge mit ihrer Kindergruppe im Haschomer Hazair gemacht. In Pietrasza haben die Deutschen vier- bis fünftausend jüdische Männer und Knaben erschossen in den Tagen direkt nach dem Einmarsch.“ Ingrid Strobls Text verzichtet auf monumentale Verehrung. Und dies entspricht wohl dem, was jene Heldinnen und Helden des Widerstandes empfanden, als sie, gemeinsam mit ein paar wenigen Gefährten und Gefährtinnen mit nichts als den unbeugsamen Willen ,,etwas zu tun“, gegen die deutschen Besatzer und ,,Endléser“ antraten. „Hast du dich manchmal gefragt, ob du das alles noch aushälst, frage ich Chaika. Ich wußte doch, sagte sie, da sind Leute, zu denen gehöre ich, die zählen auf mich. Ich kann vielleicht etwas, das andere nicht können, und dann mußte ich das tun. Wenn ich immer wieder gezweifelt hätte, ob der Kampf für mich das Richtige für mich selbst ist, hätte ich nicht überlebt.“ Dem Text über Chaika ist der über die Lyrikerin Nelly Sachs „Der Tod war mein Lehrmeister‘“ gegenübergestellt. Dadurch ergibt sich eine ganz andere Perspektive auf jene Lyrikerin, die vielfach als ‚‚Säulenheilige der Versöhnungsapostel“ angerufen wird: „Weil sie kein Wort des Hasses schrieb, was immer wieder betont wird — beutet man sie aus, feiert sie als Vergeberin. Keiner sieht, daß sie zu erschöpft ist für den Haß. Daß sie es vielleicht ein wenig leichter gehabt hätte, hätte sie hassen können“ In ,, Vergessene Heldinnen“, einem Beitrag fiir den Katalog der Ausstellung ,,Juden im Widerstand 1939-1945“, die im kommenden Frühjahr in Frankfurt eröffnet wird, würdigt die Autorin die hervorragende Bedeutung, die Frauen innerhalb des jüdischen Widerstandes innehatten. Sie betont aber auch deren besondere Tragik; begriff sich doch der überwiegende Teil von ihnen primär als ’zufällig jüdische” Kommunistinnen. ,,Erst die Deportationen machten ihnen deutlich, daß der Gegner ihnen nicht nur als Besatzer gegenüberstand, daß er sie nicht nur als Kommunistinnen verfolgte, sondern auch und vor allem, weil sie Juden waren. Daß sie selbst also ihren Krieg nicht ’nur’ gegen die Besatzer führten, son41 dern auch gegen die Mörder des jüdischen Volkes.“ Die Frauen und Männer, die diesen „Krieg“ führten, wurden entweder ermordet, oder sind heute, von Ausnahmen abgesehen, längst vergessen. Bis heute werden ihre Taten in der Öffentlichkeit totgeschwiegen; etwa in der Ausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz, die die „Endlösung der Judenfrage“ dokumentiert. In „Vernichtung ohne Vernichter“, kritisiert Ingrid Strobl diese Darstellung des „Massenmordes ohne Mörder“, die die ausschließliche Darstellung der Juden als Opfer bedingt. ‚In mehreren Räumen sieht man reihenweise ’Untermenschen’: Ausgemergelte, gebückte, ”häßliche’ Gestalten, die bettelnd, panisch, grinsend oder völlig ausdruckslos in die Kamera starren. Fotografiert von Angehörigen des SS, der Wehrmacht und der NS-’Zivilverwaltung’ und von professionellen Propagandaleuten.... So wird den Menschen noch einmal ihre Würde, ihre Individualität, ihre Geschichte, und ihre Einzigartigkeit geraubt...“ Der zweifelsfrei brisanteste Aufsatz in dem Buch aber ist ,, Das unbegrittene Erbe. Bemerkungen zum Antisemitismus in der Linken“. Nicht nur wurde durch Auseinandersetzungen um diesen Text innerhalb des Verlages beinahe die Publikation des ganzen Buches in Frage gestellt; selbst heute noch, Monate nach seinem Abdruck, fiihrt der Artikel, genauer der Vortrag, den Ingrid Strobl im Februar 1994 in Ziirich gehalten hatte, in der deutschen Linken zu heftiger Diskussion und Ablehnung. Dabei ist das Thema keineswegs neu; seit Jahren wird es von Jean Amery bis Henryk M. Broder immer wieder aufgeworfen. Neu allerdings daran ist, daß linker Antisemitismus nun erstmals von einer Linken und Nichtjüdin thematisiert wird, von einer die ihre eigene politische Vergangenheit reflektiert. Um unsere eigene Geschichte geht es darin, um das Verhältnis zu den Eltern, den Tätern und den Mitläufern, und um das „Verhältnis, das deutsche Linke zu Israel haben“ sowie um die ,,einschrankungslose Solidarität deutscher Linker mit dem ’palästinensischen Volk’“. Und auch um die mangelnde Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus stalinistischer Prägung. Die Frage, was ist heute noch links, ist angesichts des Zusammenbruchs der realsozialistischen Staaten und der damit obsolet gewordenen politischen Denkmuster ohnehin neu zu stellen: „‚Ich glaube allen Ernstes,“ schrieb Jean Amery 1976 in „Der