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Kinderzeichnung, Roma Schule in Jarovnice. Foto: Renata Erich Nach dem ,,Reichsbiirgergesetz“ von 15. September 1935 hatten ,,Zigeuner“ als „Artfremde“ kein Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Erste Gruppen von „Zigeunern“ wurden in Zusammenhang mit der Aktion ,,Arbeitsscheu Reich“ im Frühjahr 1938 ins KZ Buchenwald eingeliefert. Im Herbst 1939 traf ein großer Transport ca. 700 burgenländischer Sinti und Roma ein. — Ab 1943 begannen die Nationalsozialisten mit der systematischen Ermordung der „Zigeuner“, vor allem in Auschwitz. Insgesamt wurden etwa 500.000 Sinti und Roma Opfer der NSHerrschaft in Europa. als hingen ihre Rechte von unseren Gnaden ab, als lebten wir in einer Feudalgesellschaft. In einer wahren Demokratie wären sie keine „Mitbürger“ sondern Bürger und bezögen ihre Rechte aus dem demokratischen Selbstverständnis absoluter Gleichwertigkeit eines jeden Staatsbürgers. Dann könnten die anderen, die auf Grund ihrer Macht bestimmen, mit wie viel oder wie wenig die „Randgruppen“ sich zufriedenzugeben haben, sich nicht in ihrem Edelmut sonnen, wenn sie gelegentlich ihr mikriges Scherflein spenden. Für den Rest der Zeit wollen sie ohnehin nicht behelligt werden, denn mit der Alibihandlung hat man sich als Antifaschist ausgewiesen und sich freigekauft. Man braucht die Opfer von damals weiterhin als Opfer, damit das Gleichgewicht nicht aus dem Lot kommt, damit die Etablierten ihre Sicherheit und Überlegenheit genießen können. Aber man will sie nicht als fordernde Geschädigte sondern als demütige, dankbare, unter Tränen lächelnde Opfer. Wer sein Recht fordert, ist ein Querulant. Wir leben in einem Land, das Harmonie sucht. Wir wollen eine große hierarchische Familie sein, eine ,, Volksgemeinschaft“, in der jeder an seinem zugeteilten Platz verharrt und Ruhe gibt. Demokratie wiirde Auseinandersetzung bedeuten, das Recht eines jeden, das einzufordern, was ihm als gleichberechtigtem Biirger zusteht. Das wiirde auch bedeuten, Randgruppen in unsere Mitte zu riicken und am Wohlstand teilhaben zu lassen, ihnen zumindest menschenwiirdige Existenzen zu ermöglichen. Dann würden vielleicht die Roma von Oberwart nicht abgesondert in einer von der Gemeinde vernachlässigten Siedlung leben, leicht als Opfer zu isolieren, dann würden Behinderte nicht in Heime abgeschoben, dann würde an ausländische Arbeiter nicht eine Schlafstelle zu 2.000 Schilling vermietet. Es gäbe Chancengleichheit, Arbeitsmöglichkeiten und echte - d.h. funktionierende — Integration. Aber es ist leichter, mit Kranzniederlegungen, nichtssagenden Ansprachen, Lichtermeeren, Gedenkminuten und Kondolenzbesuchen die Probleme zu ästhetisieren, medienwirksames Lob für demokratische Gesinnung und im Fernsehen dokumentierte Dankbarkeit von den artigen Opfern zu kassieren. Wenn das Medieninteresse verebbt und sich in seiner oberflächlichen Sensationslüsternheit neuen Greueln zuwendet, erlischt schlagartig auch unser Engagement und alles bleibt beim Alten. Die Demokratie endet bei der „schönen Leich“ , die mitunter sogar den Opfern genehmigt wird. Denn im weinerlichen Mitglied, in der romantischen Rührseligkeit laufen wir zur Vollform auf, den Opfern, sofern sie tot sind, gehört unser ganzes Herz, wenn die Überlebenden keine Forderungen und keine unangenehmen Fragen stellen!. Zigeunerromantik bei Zigeunermusik, in süßlicher Klezma-Musik verfälschte Stetl-Romantik, ein bißchen bunte Multi-Ethnizität und körbeflechtende Behinderte — das ist die heile Welt, die telegene Enteignung, der Zaun, hinter den die Randgruppen verbannt werden. Wie mit dem Fieberthermometer wird in Umfragen von Zeit zu Zeit der Patriotismus der Österreicher gemessen, als sei dieser ein Beweis dafür, daß wir Antikörper gegen den Faschismus gebildet haben, als sei Nationalismus jemals ein Gegenbegriff zum Faschismus gewesen. Während überall in Osteuropa der Nationalismus seine Verheerungen anrichtet, tun wir so, als gelten historische Regeln für uns nicht. Wir definieren Heimat, Volk, Volkszugehörigkeit, Rasse und Minderheit, als hätten sich diese Begriffe nie disqualifiziert, als seien sie nicht nach wie vor Anstifter zu Mord und Diskriminierung. Aber vor faschistischem Gedankengut und faschistischer Sprache haben wir keine Berührungsängste, wie denn auch, wenn ihre Herkunft längst in Vergessenheit geraten ist? Wir zucken mit keiner Wimper, wenn von ,,selektierten Bewerbern“ die Rede ist, und die Idee, das Land mit Hilfe einer ,, Volksbewebung“ in die ‚Dritte Republik“ zu führen, wird nicht als das erkannt, was sie wirklich ist: Wiederbetätigung. Dafür haben wir umso größere Berührungsängste bei jedem Kontakt mit Minderheiten und sogenannten Randgruppen, die nur deshalb Randgruppen sind, weil wir sie an den Rand gedrängt haben. Da ändert sich sofort der Blick, da ist man betreten oder peinlich jovial und hat wohl dabei Gedanken und Mutmaßungen, die man sich eigentlich verbieten müßte. Als Ausrede hat man parat, daß man den Umgang mit solchen Gruppen nicht gewohnt ist, daß man sie so selten zu Gesicht bekommt — nachdem man ihnen hartnäckig Integration verwehrt hat. Es fällt niemandem auf, wie leicht sich bei den Ansprachen der Solidaritätskundgebungen die Ausländer, Zigeuner, Juden und Behinderten in eine Gruppe zusammenfassen lassen, weil sie selbst in den Augen professioneller, sich mitunter antifaschistisch gebärdender Ausgrenzer eben alle Fremde sind, unzugehörig, existenzberechtigt nur, solange wir ihnen großzügig einen Heimatschein ausstellen.