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Volk unverhetzt lieb im Lande Palästina. Die Artigkeit beider Semitenvölker tut einem gut.“ Im Lande Israel ist von dieser Güte unverhetzt wenig zu spüren. „Die beiden Stiefbrüder, ein jeder begabt, sich zu begeistern“, sind bis heute noch immer nicht „‚versöhnt“ und sitzen hier inzwischen weder im Theater noch sonstwo gemeinsam beisammen. Der unbeirrbare Wille zu Versöhnung und Einigkeit mag bei Else Lasker Schüler auf die Wertschätzung zurückzuführen sein, mit der angeblich beide Völker die Dichter behandeln: ‚‚Der Dichter bedeutet, und erst die Dichterin, dem arabischen Volk ein Symbol, dem jüdischen Volk je eine Erinnerung an König Salomons Hohelied.“ So ist es auch nicht zu verwundern, daß sie in Entzücken ausbrach, angesichts des „königlichen Hilfsgebäudes in Rehavia“ — im Überschwang von ihr als ‚‚ein steinerner Rabbi“ bezeichnet —, wo verschiedene Organisationen zur Unterstützung europäischer Einwanderer ihren Sitz hatten, und man ihr bestätigte: „Ich habe zum Aufbau Palästinas beigetragen durch die Dichtungen meiner hebräischen Balladen.“ Emsige Forscher haben herausgefunden, daß auch Else Lasker Schüler von solch einem Fonds ,,monatlich eine Unterstützung bekam, die dem Gehalt eines mittleren verheirateten Beamten entsprach.“ Doch sei sie verschwenderisch genug gewesen, mit diesem Geld nicht auszukommen, und hätte das Kunststück vollbracht, auch andere Menschen, hauptsächlich Kinder, damit in Form lächerlicher Geschenke zu bedenken. Im Viertel Rehavia wohnen heute fast keine,,Jekkes“ mehr, und seine ,, lieben frommen Wohnhäuschen, an deren Rücken ich kleine Flügel vermute“, sind begehrte und teure Villen auch für viele reiche Orthodoxe. „Jeden Tag beschaue ich die Blumen der Gärten mit ihren farbigen Herzen. Sie stehen genau geordnet wie dazumal mein Kinderspielzeug“, schrieb die Dichterin im Hebräerland. Die Sehnsucht nach der verlorenen Kindheit, der einzigen Heimat, die sie je besessen, überfiel sie besonders schmerzlich, als sie endgültig ‚‚Gast“ in der Heiligen Stadt geworden war. Mächtige Bäume verdecken die steinernen Villen im Viertel Rehavia. Von einer Zeder leuchtet ein blaues Schriftband, mit dessen Buchstaben die windbewegten Zweige Verstecken spielen. Dennoch errät der Besucher, daß er sich in der „Sherot BenMaymon“ befindet. In dieser Straße hat Ernst Simon gewohnt, und wohnt noch immer seine Witwe, die die Briefe der Dichterin an ihren Mann bis vor kurzem unter Verschluß gehalten hat. Nun befinden sie sich in einem Archiv der Jerusalemer Universitätsbibliothek und werden im Jahre 1999 das Licht der Welt erblicken dürfen. Der dichte Efeubewuchs auf dem Haus Nummer 35 gibt ein schmales, vergittertes Fenster frei, der verrostete Zaun ist hermetisch geschlossen. Wie gut der Dichterin letzte Liebe von ihr abgeschirmt war! Und dennoch, so munkeln bis heute böse Zungen, habe sich die alte Frau nachts in den Garten des jungen Mannes geschlichen, man stelle sich vor, wie lächerlich! Der junge Mann war freilich schon damals ein angesehener Professor, der im berühmten Schocken Verlag gelehrte Werke veröffentlichte, was unserer Dichterin, trotz des Bemühens von Samuel Agnon, verwehrt geblieben ist. Ihr letztes Buch, „Mein blaues Klavier“ , wurde in dreihundertdreißig Exemplaren von der ,,Jerusalem Press“ gedruckt, als sie selbst ,,1000 und 2jahrig war, „dem Märchen über den Kopf gewachsen“. „Längst lebe ich vergessen - im Gedicht“, heißt es da. Nur mehr in Gedichten ist ihre Liebe an den vergötterten „Apoll“ aufgehoben, gerettet so vor dem Spott der Welt. Denn es war eine alte Frau, die schrieb: . Ein Liebeslied Komm zu mir in der Nacht — wir schlafen engverschlungen. Müde bin ich sehr vom Wachen einsam. Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen, Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen. Es öffnen Blumen sich vor allen Ouellen Und färben sich mit deiner Augen Immortellen... Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen Und Liebe eingehiillt spat in mein Zelt. Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen. Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen Im hohen Rohre hinter dieser Welt. Mit ,,Jerusalemherzpochen“ gehen wir weiter, biegen in die Straße ‚‚Narkiss“ ein. Im Keller des Hauses Nummer 1 gibt es noch heute die kleine Betstube ,,Emeth V Emunah“, in der die Dichterin in ihren letzten Lebensjahren gerne verweilte. Die prunkvollen Synagogen und die bedeutenden Rabbiner hat sie hingegen gemieden, bis auf einen, den ,,groBen bescheidenen Rabbi Cooks“ , der ‚„‚pauvre gekleidet“ liebevoll auch Ostjuden um sich versammelt, und den sie ins Herz schließt, weil er keinen Reichtum zur Schau stellt — selbst wenn ihr der Schwiegersohn des Rabbi schonend beigebracht hat, daß ihr Erscheinen das allzusehr beschäftigte Oberhaupt der Juden Jerusalems keinesfalls entzückte. „Das Impulsive störe ihn in seinem Gleichmut.“ Unweit der ehemaligen und heutigen Synagogenstuben befindet sich das TichoHaus, in dem Doktor Albert Ticho von 1924 bis 1960 gemeinsam mit seiner Frau Anna eine Augenordination mit angeschlossenem Spital betrieb. Wo einst die Patienten lagen, gibt es heute ein ,, Wiener Café“, in dem man auch kleine, meist aus italienischer Küche abgeleitete Speisen einnehmen kann. Anna Ticho, die noch in Wien zu zeichnen begonnen hatte, machte erst nach dem Tod ihres Mannes aus ihrem Hobby eine Berufung. Ihre Vorliebe galt Jerusalemer Landschaften, die sich ihr ins Gedächtnis prägten, zu einer Zeit, als die steinernen Hügel noch vielfach kahl waren und Else Lasker Schiiler schrieb: ,,Uberall Steine, Steine, Steine, die den angelangten Juden, erzählt man in Palästina, bei ihrer Ankunft im Heiligen Land vom Herzen gefallen sind.“ Im Obergeschoß des gründlich renovierten und 1984 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellten Hauses kann man prächtige Chanukkalampen aus aller Diaspora Herren Länder bewundern. In ihrem Tagebuch be23