klagt sich Dr. Tichos Schwiegermutter, die
mitihrer Tochter aus Wien nach Jerusalem
gekommen war und die Spitalsküche führ¬
te, daß eigentlich sie ihrem Schwiegersohn
den Sammelfloh ins Ohr gesetzt habe. Da
er ein Arzt war, dem die Patienten Dank
schuldeten, statteten sie diesen, oft zuzüg¬
lich Honorar, in Hannukahlampen ab —
damit konnte die Schwiegermutter, deren
Künste in der Spitalsküche verborgen und
anonym blieben, natürlich nicht konkurrie¬
ren.
Arme Schwiegermutter! Andererseits:
Wer denn, wenn nicht ein Arzt, der das
Augenlicht so vieler Patienten rettete, soll¬
te besser dazu bestimmt sein, jene Behälter
strahlenden Feiertagslichtes zu sammeln?
Vom Ticho-Haus steigen wir die steiner¬
nen Stufen in den Garten hinunter — die
prächtigen Palmen und anderen edlen Bäu¬
me halten jetzt gepflegte Rasenabstände
zwischen sich... trotzdem kann man sich
sehr gut vorstellen, wie es dazumal gewe¬
sen sein mag, als auch Kamele und Drome¬
dare dort wartelagernd auf die Heilung ih¬
rer respektiven Herrn harrten.
In diesem Garten spielt der vorletzte Akt
von Else Lasker Schülers in Jerusalem ver¬
faBtem Drama ,,Ich und Ich“. Es treten auf:
Die Dichterin und ihr mit bitterer Selbsti¬
ronie gezeichneter Widerpart, die Vogel¬
scheuche, ‚höchst malerisch gekleidet“,
„auf englisch und hebräisch“ hungernd.
Auch das Verhältnis zu dem Hausherrn ist
nicht ganz ungebrochen. “Und habe kei¬
nen Asssistent wie oben er, die Arbeit ab¬
zuwälzen, und keine Zeit, in der ich aus¬
ruhn könnt’“, beklagt sich die Vogel¬
scheuche. Zum Glück taucht ein Mister S.
auf, der in dieser journalistische Talente zu
entdecken glaubt und sie auffordert, für die
Zeitung ,,Haarez einen Artikel zu verfas¬
sen. Wofiir er ihr freilich kein Honorar,
sondern bloß ‚‚einen neuen Besen aus dem
Kaufhaus Schwarz“ in Aussicht stellt.
Ein Kaufhaus mit diesem Namen suchen
wir vergeblich im heutigen Jerusalem —
hingegen blüht und gedeiht die Zeitung
„Haarez“ täglich, und manche Leser sol¬
len sie allein wegen der brillanten Artikel
des Schriftstellers Segev kaufen.
Vom Ticho-Haus ist es nicht weit zur Ben¬
Yehuda-Street, in der die ehemalige Hotel¬
pension Atlantic, der Dichterin vorüberge¬
hend Bleibe, längst in eine Bank verwan¬
delt worden ist. Auch vom nahegelegenen
Cafe „Sichel“, ist keine Spur geblieben —
es sei denn, man halte die schmiedeeisene
Gittertür dafür, die das jetzige Geschäft für
Elektrogeräte allabendlich verschließt.
Nur die Buchhandlung Steimatzky ist noch
da, wie ein Fels in der Brandung einer nur
fünfzigjährigen Vergänglichkeit.
Die Bettlerin, die auf der steinernen Baum¬
umfriedung in der Fußgängerzone vor der
Auslage sitzt, verbirgt ihr Gesicht — die
Dichterin wäre gewiß nicht an ihr vorüber¬
gegangen, ohne ihr wenigstens von den
Bonbons zu schenken, die sie immer bei
sich zu tragen pflegte. „Denn ich bin mit
den Bettlern ein Bettler in der Stadt bei
meinen 22 Büchern die ich geschrieben
und illustriert und bei jedem neuerschei¬
nenden Buch einen neuen Concurs anmel¬
den mußte. Doch an diesen Banquerotten
denen wir Dichter wohl alle ausgesetzt,
verarmte ich niemals im Leben. Ich ver¬
armte [...]“
In der Buchhandlung Steimatzky durfte
Else Lasker Schüler ihr Gepäck ein paar
Tage aufbewahren, als es beim dritten Mal
kein Zurück nach Euopa mehr gab. Die
Jaguarmiitze der Dichterin ,,knurrte in der
Hutschachtel“, wann immer ein Kunde ih¬
ren Habseligkeiten zu nahe kam.
Bei Steimatzky wurden auch Ausstellun¬
gen veranstaltet, Bilder der akademischen
„Jekke‘“-Maler Hermann Struck und Ja¬
kob Steinhardt, über die sie vermerkt:
„ Lrampeltiere Wüstenschau ... ich lese die
interessanten Gemälde wie Briefe aus ei¬
ner Oase der Sandmeere.“ Auch die Bilder
ihres Sohnes Pauls durfte sie dort zeigen.
„Mein kleines geliebtes Päulchen. Du hast
mir im Traum gesagt und ich hab in Dei¬
nem Wunsch so große Sehnsucht empfun¬
den ...“, beginnt ein Brief, geschrieben am
10. 10. 1939 in Jerusalem an ihren 1927 an
Tuberkulose verstorbenen Sohn. Auch
tagsüber lebte sie in der Traumwelt ihrer
Vergangenheit, in der Sehnsucht nach ih¬
ren und Päulchens Kindertagen, die durch
von anderen “Jekkes“ hierher verpflanzte
Bruchstücke immer wieder aufs neue ge¬
nährt wurde. „Gegenüber dem Kunstsalon
Steimatzky befindet sich ein zweiter, aus
Deutschland nach Jerusalem verzogener
Kunstsalon. Es stehen viele grünende
Landschaften hinter den Schaufenstern,
und man beginnt zu träumen in irgendeines
Bildes stillem Wald. Ja man verspürt Lust,
sich auf einer der Wiesen auszustrecken
wie ich als kleines Mädchen sooft mich
schlafen legte ...“
Den Träumen konnte sich die leidenschaft¬
liche Kinogeherin auch fünf Schritte von
Steimatzky entfernt, im Cinema Zion, hin¬
geben, an dessen Stelle heute ein mächtiger
Bankwolkenkratzer in den Himmel ragt.
„Komm mit mir in das Cinema,/ dort fin¬
det man, was einmal war: Die Liebe!...“
Bei unserem stillen Bekannten, der aus
Odessa in die Ben-Yehuda-Street gezogen
ist und mit einer einfachen Handpresse die
köstlichsten Säfte bereitet, während auch
er von seinem ukrainischen Hafen träumen
mag, kehren wir auf ein Glas ,,Mitz“ ein.
Mitz (Saft) — war eines der wenigen hebräi¬
schen Worte, die sich die Dichterin aneig¬
nete— neben den von ihr auf Postkarten und
in Briefen aus Jerusalem nach Jerusalem so
gerne verwendeten Anrede ‚Adon“
(Herr) und ,,Gewereth“ (Frau).
Und dann gehen wir noch einmal die paar
Straßen weiter, hinauf zur letzten Bleibe:
„Hamaalotstr.2. Villa links vis a vis des