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Erwin Rotermund Überlegungen zu einer Hermeneutik und Poetik/Rhetorik der „Verdeckten Schreibweise“ In den Studien über die nonkonformistische Literatur und Publizistik im ‚‚Dritten Reich“ wird eines ihrer wichtigsten Charakteristika, die von Dolf Sternberger so bezeichnete ‚Verdeckte Schreibweise“, häufig erwähnt, aber überraschend selten systematisch behandelt. An Informationen über bestimmte Methoden des getarnten Ideentransports in bestimmten Werken ist kein Mangel, der hermeneutischen Grundfrage, nach welchen Kriterien der damalige oppositionelle Leser entscheiden konnte, ob eine camouflierte kritische Aussage vorlag oder nicht, geht man jedoch zumeist aus dem Wege. Mein Beitrag greift Anregungen von Leo Strauss (Persecution and the Art of Writing, 1952) über die Vermittlung unorthodoxer Botschaften durch bewußt angebrachte Widersprüche und andere „Fehler“ in unter Verfolgung geschriebenen theologischphilosophischen Werken auf und versucht, sie mit Hilfe der in der Pragmalinguistik seit längerem diskutierten Konversationsprinzipien von H. Paul Grice sowie des Instrumentariums der literarischen Rhetorik für eine systematische Hermeneutik und Poetik der poetischen wie publizistischen Camouflage fruchtbar zu machen. An Beispielen aus der deutschen Literatur im Dritten Reich, der ‚‚ostmärkischen‘“ und der DDRLiteratur sollen die vorgeschlagenen Kategorien erprobt werden. Erwin Rotermund, geb. 1932, Studium Germanistik, Geschichte, Philosophie und Musikwissenschaft in München und Münster, habilitierte sich 1967 in Gießen für neuere deutsche Literaturgeschichte. Universitätsprofessor, ab 1968 in Würzburg und ab 1973 in Mainz. Veröffentlichte Bücher über literarische Parodie und Hofmannswaldau und u.a. auch viele Aufsätze über Probleme der „‚Inneren Emigration“. Zuletzt war er Mitherausgeber von ‚Aspekte der künstlerischen Inneren Emigration 1933 — 1945“ (Jahrbuch der Gesellschaft für Exilforschung), München 1994. 22. Propagandaapparat ermöglicht. Als die Maschinerie dann lief, war es schwer, jedoch nicht unmöglich, anderes als das Erlaubte zu vermitteln. Nach dem Krieg pflegte ein Teil der Künstler zu behaupten, jede Opposition gegen das Regime habe sofortige Deportation ins Konzentrationslager zur Folge gehabt. Ein anderer Teil behauptete, auf künstlerischem Gebiet Widerstand geleistet zu haben. Die übrigen pflegten das verharmlosende und zugleich elitäre Image, in ihren Theatern auf einer „Insel“, in einer Art inneren Emigration, gelebt zu haben. Der angebliche Satz von Goebbels, ,,das Theater in der Josefstadt ist ein KZ auf Urlaub“ , wurde in der Nachkriegszeit begeistert kolportiert, ebenso der Ausspruch Siegfried Melchingers, man wäre am Sonntag vormittag zu Heinz Hilperts Matineen in das Theater in der Josefstadt gegangen, „um mal wieder was gegen die Nazis zu hören“. Die Begriffe der Widerstandsforschung, die zwischen politischer Opposition, gesellschaftlicher Verweigerung und weltanschaulicher Dissidenz unterscheidet, lassen sich auf das Theater anwenden. Nur durch genaue Einzeluntersuchungen kann man herausfinden, ob im Schatten des NS-Regimes Kiinstler Haltungen von Widerstand und Ungehorsam künstlerisch vermittelt haben, ob die herrschende Führer-, Reichs- und Rassenideologie zumindest punktuell unterlaufen wurde, und unter welchen Bedingungen oppositionelles Theater möglich war. Vieles, was man im nachhinein als Widerstand oder innere Emigration hinstellen wollte, stellt sich als Kontinuität von unpolitischer Haltung, unhistorischem Denken und elitärem Selbstbild in bürgerlich-idealistischer Tradition dar. Es ist genau zwischen nicht-faschistischer Haltung und anti-faschistischer Haltung zu unterscheiden, sowie der Gesamt-Diskurs von Moderne und Antimoderne zu berücksichtigen. Darüberhinaus muß in Österreich der Zusammenhang zwischen den Österreich-Ideologien des Ständestaats und der Zweiten Republik miteinbezogen werden. Im Folgenden einige Materialien aus den Jahren 1932 bis 1948. Zunächst eine Passage aus einem Portrait von Oskar Maurus Fontana über den Regisseur Hans Thimig, 1943 im „Neuen Wiener Tagblatt“ erschienen. Fontana, der selbst zur inneren Emigration gezählt wird, findet für Thimigs Regiekunst Worte, die geradezu programmatisch innere Emigration mit „‚wienerischem Wesen“ gleichsetzen: Gemeinsam ist seinen Bühneninszenierungen das Staunen, jenes Staunen vor dem Leben, das die Alten als den Eingang zur Philosophie bezeichneten. Nun, Hans Thimig hütet sich mit Recht davor, als Regisseur zu philosophieren, aber er führt die Gestalten und Situationen immer dorthin, daß man sein belustigtes Staunen vor den ewigen Purzelbäumen des Lebens merkt, aber auch sein ergriffenes Staunen vor den stets neu aufblühenden Schönheiten des Lebens. Er braucht dazu gar nicht große Ereignisse und Szenen, er vermag auch im Kleinen und Leisen, dieses Staunenswerte des Menschseins zu entdecken und aufschimmern zu lassen (...) Aus lauter Angst in die Nähe der leeren Krachregie zu kommen, geht er zuweilen sogar einem echten dramatischen Effekt aus dem Wege (...) Seine Regie setzt fast nie Ausrufezeichen, aber sehr gern folgt er dem Beispiel der Lyriker, die einen Vers keinen festen Abschluß gönnen, sondern ihm viel lieber mit drei Punkten im Schwebenden belassen. Das Schwebende, besonders das anmutsvoll Schwebende ist überhaupt das Klima der Bühneninszenierungen Hans Thimigs. Damit bekommen seine Inszenierungen das Wienerische, das sich ja auch im Schwebenden wohl und zu Hause fühlt. So stehen seine Inszenierungen zwar auf dem Boden des Tatsächlichen, aber das Wirkliche hält sie nicht fest, ist nicht ihre Grenze. Der Duft, der über den Dingen liegt, wird zumindest ebenso wichtig genommen, wenn nicht noch wichtiger: das Aroma, das Ungesagte, und Unsagbare, die Zwischentöne, kurz das Schwebende. (...) Im Scherzo und Adagio des menschlichen Zwiegesprächs und der Lebenssituationen gibt er sein Innerstes und sein Bestes. Auch dieses Musikalische macht ihn zu einem Regisseur aus dem Wiener Wesen heraus. Und es entspricht diesem Wiener Wesen vollkommen, wenn er mit seiner Musikalität in der szenischen Interpretation alles Sich-zur-Schau-Stellen vermeidet und lieber damit in seinen vier Wänden beim Schein der Kerzen bleibt. Heinz Hilpert, eines der wichtigsten Aushängeschilder des Regimes, Direktor des Deutschen Theaters, Berlin, und des Theaters in der Josefstadt in Wien, geriet, wie Jutta Wardetzky in ‚„Theaterpolitik im faschistischen Deutschland“ nachgewiesen hat, mehrfach mit Joseph Goebbels in Konflikt, weil er sich weigerte, einen NS-Tendenzspielplan zu machen. Hilpert war kein Nationalsozialist, vielmehr ein Vertreter des bürgerlich-humanistischen Theaters, der über die politischen Zeiten hinweg idealistisch und anti intellektuell der „‚deutschen Inncrlichkeit“ huldigtc. Zwar eckte diese ,,Innerlichkeit“ ab und zu an, im Allgemeinen war sie jedoch im NS-Regime geduldet, wurde vereinnahmt und erfüllte eine gewisse Ventilfunktion.