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Hilpert 1932: Ich möchte, wenn ich es kann, ein Helfer der Dichter und ein Förderer der Menschengestalter alias Schauspieler sein. Konstruktiv begabte Zeitstückeschreiber, Vereinsbarden, Hetzprediger, Aktualitätenjäger setzen sich leicht durch. Dichter, die von dem aussagen, was ewig aktuell, was allen gemeinsam ist, was alle Theaterbesucher von der Galerie bis zur ersten Parkettreihe zu einer Menschengemeinde zusammenschließt, haben es schwer. (...) Ich möchte den Leisen, den Selbstverständlichen, den Sinnfälligen, die vom Menschen aussagen, wie er ist und wie er immer sein wird, zur Aufführung verhelfen. Mit Menschen! Denn Schauspieler, die Dichter spielen sollen, müssen in erster Linie Menschen sein. Rundum richtig. So reich wie möglich, kindhaft sinnfällig, ganz nahe den vielfältigen Eindrücken des vielfältigen Lebens, wahrhaftig in sich und in liebendem Zusammenhang mit allem, was Menschen verdirbt und beglückt. (...) Diesen Schauspielern möchte ich ein Förderer sein. Ein Löser der Fesseln, einer der sie zurückführt zu ihrem eigensten Ich. Und sie an die Naturgebundenheit dieses Ichs glauben macht. (...) Einer, der sie überzeugt, daß sie Deuter in Kinder- und Himmelsfernen sind, (...) nicht wegdenkbar aus der unbunten Ödnis der Zivilisationswelt, ganz bunte Überbleibsel eines paradiesischen Urzustandes sind.” Hilpert 1942: Ich denke, daß es mit der Theaterführung und -formung so ist wie mit jeder Kunst oder jedem beispielhaftem Leben. Alle großen oder besser wesentlichen Dinge sind nie dadurch entstanden, daß einer die Realität erkannt, beherrscht und geleitet hat, sondern indem er einen Traum ins Leben gehoben und verwirklicht hat. Nicht aus der Realität, sondern aus der Umformungskraft eines schöpferischen Traumes, der aus einem liebevollem Herzen ins Leben steigen will, entsteht alles Wesentliche: das Leben des Heilands wie die Kantsche Philosophie — nicht ausgenommen auch die schönste, die religiöse Form des Theaters. (...) In dieser erbarmungslosen Zeit, die von den Geburtswehen einer Welt, die sich gebären muß, zerrissen ist, hat das Theater wohl einen besonderen Sinn und eine besondere Bedeutung. Vielleicht ist es möglich, etwas mitzuhelfen, unseren im heißesten Kampf stehenden Brüdern wieder das totale Bild des Menschen zu geben. Ihre Sehnsucht nach diesem Bild zu wecken oder zu erfüllen. Ihnen in ihrer grenzenlosen Tapferkeit zu zeigen, daß im tiefsten Leid und in der schwersten Verwirrung immer noch der Anfang zu einem Neuwerden und immer noch etwas vom Abglanz Gottes ist. Das ist der höchste Sinn des Theaters in unserer Zeit.” Hilpert 1945, ,,um einen Neubeginn von innen her bittend“: Was uns not tut, ist einzig und allein die Besinnung des Menschen auf seine ewigen Gesetze, die Harmonisierung seines innersten Wesens mit dem göttlich Gebotenen, die Übereinstimmung mit den ewigen Rhythmen von Sonne und Mond, Tag und Nacht, den Jahreszeiten und ihren Gesetzen mit Saat und Ernte! Wir müssen stimmen, dann werden auch die äußeren Verhältnisse um uns sich wieder harmonisieren. (...) Dies ist die Aufgabe von nun an jeder Seelsorge, jeder Kunst. Sie ist die künftige und zunächst ausschließliche Aufgabe des Theaters. (...) Theater muß von jetzt an Bekennertum sein. Dies Bekennertum muß vom Charakterlichen wie vom Künstlerischen ausstrahlen. (...) Wir haben jetzt kaum Zeit für bloße Unterhaltung. Wir müssen die Menschen anpacken und umformen. Aber bei allem Ernst die niederziehende Schwere alles dessen, was knapp hinter uns liegt und zum Teil noch in uns liegt, wieder in Grazie, Anmut, Zärtlichkeit und Zauber verwandeln. (...) Und allein der gestaltende, und auf sein Bekenntnis gestellte Schauspieler und das gestaltete und bis zur letzten Tiefe erlebte Werk des Dichters wird die Herzen der Zuschauer gewinnen. Genau diese Worte wollten die Menschen nach dem Krieg hören und genau dieses „Vokabular, das stumm machte“ provozierte rückkehrende Emigranten, wie Bertolt Brecht. Im August 1948 betrat Bertolt Brecht zum ersten Male wieder deutschen Boden. Zusammen mit Max Frisch ging er zu Fuß über die Schweizer Grenze, um in Konstanz eine Inszenierung von Heinz Hilpert zu sehen, der zu dieser Zeit Direktor des Theaters von Konstanz war. Max Frisch hat in seinem Tagebuch diesen Besuch der Theatervorstellung und die „überschwengliche Begrüßung“ durch Hilpert beschrieben: „Nach der Aufführung verbreitete sich Brecht über das deutsche Bier, das nach wie vor das beste Bier sei; kurz darauf: ‚Gehen wir!‘ Er schwieg sich aus, bis man wieder in Kreuzlingen war; eine Bemerkung Wilfried Seiferts, der uns begleitete, brachte ihn plötzlich zum Bersten. Er begann mit einem kalten Kichern, dann schrie er, bleich vor Wut; Seifert verstand nicht, was mit Brecht los war. Das Vokabular der Überlebenden, wie unbelastet sie auch sein mochten, ihr Gehabe auf der Bühne, ihre wohlgemute Ahnungslosigkeit, die Unverschämtheit, daß sie einfach weitermachten, als wären bloß ihre Häuser zerstört, ihre Kunstseligkeit, ihr voreiliger Friede mit dem eigenen Land, all dies war schlimmer als befürchtet; Brecht war konsterniert, seine Rede ein großer Fluch. Ich hatte ihn noch nie so gehört, so unmittelbar wie bei dieser Kampfansage in einer mitternächtlichen verschlafenen Wirtschaft nach seinem ersten Besuch auf deut Heidrun Ehrke-Rotermund Koreferat zum Konzept Hermeneutik und Poetik der „Verdeckten Schreibweise“ Daes kein Verstehen subversiver literarischer Botschaften ohne Annahmen über die Person ihrer Autoren gibt, kommt der Aufarbeitung der Biographien von Dichtern/Dichterinnen der Inneren Emigration im Rahmen einer Hermeneutik und Poetik der „Verdeckten Schreibweise“ eine besondere Rolle zu. Diese ist umso notwendiger, als viele einschlägige Untersuchungen nur dürftige Auskünfte über das oft zwiespältige Verhältnis der literarischen oder publizistischen Dissidenten zum nationalsozialistischen Regime geben und deren Autobiographien vielfach umdeutend und selektiv (zumal im Blick auf das Verhalten in den Anfangsjahren des ‚‚Dritten Reichs‘) verfahren. - Zur Vertiefung der Diskussion dürfte auch eine einläßlichere Beschäftigung mit der zumeist. widersprüchlichen Rezeption von Werken Innerer Emigranten, die sich aus der Ambivalenz des politischen Verhaltens ebenso wie aus der „, Verschiedenverstehbarkeit‘“ camouflierten Sprechens ergeben hat, beitragen. Heike Ehrke-Rotermund, geb. 1941, Studium der Germanistik, Anglistik und Kunstgeschichte in Bonn. 1974-80 wissenschaftliche Tätigkeit an der Universität Mainz, Lehrtätigkeit an der Volkshochschule in Mainz. Schrieb u.a. über ‚Innere Emigration“, Adalbert Stifter, Goethe, Otto Dix und über Kriegs- und Antikriegsromane der 20er und 30er Jahre. 23