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Ilse Aichinger bei ihrer Lesung aus
„Die grössere Hoffnung“

Stella Rotenberg liest Gedichte
Fotos: Nina Jakl

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Frauen im Exil
Zur Archäologie von kein schöner Land...

Beschämend spät, von brennender Aktualität, überfällig. Ein Kommentar, der dem
internationalen Symposium Frauen im Exil, das vom 19. bis 22. Oktober 1995 in Wien,
im Österreichischen Theatermuseum/Palais Lobkowitz, stattfand, vorausgeschickt
werden kann. Denn es war die erste Veranstaltung zu diesem Thema in Österreich, was
einiges zum wissenschaftlichen Szenario der Exil- und Frauenforschung aussagt.
Zugleich war es die 5. Tagung der Gesellschaft für Exilforschung (Berlin) zum Thema
„Frauen im Exil“ und die Zusammenarbeit hat sich gut bewährt.

Eine Intention des Symposiums war es, durch repräsentative Beiträge aus dem In¬
und Ausland eine Polemik gegen die Ausgrenzung der Thematik zu führen. Wesentlich
trugen dazu die zahlreichen Exilantinnen bei, die gekommen waren und ein zwingendes
Korrektiv zu den wissenschaftlichen Ausführungen einbrachten — das Symposium zu
einem Ort der Begegnung machten.

Die Lesungen von Stella Rotenberg und Ilse Aichinger bei der Eröffnung der Tagung
führten eine Exilautorin und eine österreichische Schriftstellerin zusammen - vielleicht eine
Premiere? Die anschließende Podiumsdiskussion mit Ruth Beckermann (Paris/Wien),
Gerda Hoffer (Israel), Marie-Thérése Kerschbaumer (Wien), Anna Mitgutsch (Linz),
Lenka Reinerova (Prag), Dorit Whiteman (New York) und Siglinde Bolbecher über
mögliche Zusammenhänge von Antifeminismus und Antisemitismus lieferte eine breit
angelegte Gedankenbrücke zum komplexen Programm der drei folgenden Tage.

Wenn bislang die Frauen-Exilforschung — verkürzt zusammengefaßt — das „Exil als
Verlust‘ gefaßt hatte, die Bewährung der Frauen in der Bewältigung des Alltags und die
lebenspraktische Handlungsfähigkeit im Vergleich zu den Männern hervorhob und damit
einen wichtigen Beitrag zur Brechung von sozialen und geschlechtsspezifischen Stereoty¬
pen leistete, so erweiterte die Wiener Tagung die Thematik um die Dimension, das „Exil
als Chance“ zu fassen. Denn es entspricht ebenfalls der Realtät, daß die Zäsur der
Verfolgung, Vertreibung, der tiefen Identitätsverletzung zu einem radikalen Neuanfang
drängt: Schranken der Erziehung zu durchbrechen und kreativ auf die Ausnahmesituation
zu reagieren. Eine komplexe Thematik, zu deren Verständnis wir erst einzelne Bausteine
zusammentragen. Eine neue Fragestellung ergibt sich aus der Multikulturalität des Exils,
denn jede Emigration ist mit der Aneignung und Auseinandersetzung mit einer differenten
Kultur verbunden. Der literaturwissenschaftliche Diskurs ging zunächst vom Begriff ‚der
Sprache als Heimat‘ aus, aber welchen Einfluß hat die „Wahlsprache“ auf die Literatur?

Eine immer wieder hervorbrechenden Fremdheit ist die eine Seite der Emigration,
aber der Gewinn von neuen Freunden, Lern- und Arbeitsméglichkeiten, einer ,, Wahl¬
sprache“ die andere Seite. Zudem sind Frauen aus politischen Gründen am Beginn der
Ständestaatsdiktatur emigriert, jedoch auch aus frauenspezifischen Gründen: Eine
jüdische Akademikerin hatte auf der Universität keine Chance mehr.

Die Frauen-Exilforschung thematisiert den historische Bruch zwischen der Eman¬
zipationsbewegung, den ersten Einbrüchen in bislang von Männern dominierte Berei¬
che von Kunst, Literatur, Wissenschaft und Politik von Beginn des 20. Jahrhunderts
an, und zeigt, daß die Geschichte der Verfolgung, der Flucht in der NS-Zeit nicht bloß
als Leerstelle anzuführen ist. Zugleich enthält die individuelle, politische, und kultu¬
relle Geschichte des Exils eine eigene Dynamik, die sich gegen eine schlichte Einver¬
leibung in eine nationale Begründungslegende sträubt. Und es sind geschlechtsspezi¬
fisch verlorengegangene Spuren, die die WissenschaftlerInnen auf eine ,,Suche nach
dem Exil“ verweisen.

Die Symposiumsbeiträge werden 1997 in einem eigenen Band erscheinen. Jedem
Vortrag folgten überaus anregende Diskussionen, denen die Wortmeldungen und
Kurzreferate der zahlreich anwesenden Zeitzeuginnen wichtige belebende Impulse
gaben. Kaum Polemik und kein Sich-Ausstechen oder -Überbieten; und doch wurde
alles mit größter Spannung und Neugier aufgenommen.

Zum besonderen Charakter der Tagung trug das vielfältige Exile - offside Programm
bei: Die Ausstellungen über die Tänzerin Hilde Holger und zur ‚Vertreibung der
weiblichen Kunst und Vernunft“, die erste Personale der Malerin Alice Mavrogordato
in Wien und die Anna Krommer-Buchpräsentation und -Lesung boten eine sinnliche
faßbare Vorstellung von der persönlichen und künstlerischen Entwicklung, die Frauen
durch das Exil hindurch genommen haben.

Siglinde Bolbecher/Veronika Schallhart