OCR
Detlev Claussen schreibt, auf irgendeine Art und Weise geht jede Erinnerung auf den epochalen Schmerz von Auschwitz zurück oder kommt von dort her, weil der Name »Auschwitz« — bewußt oder unbewußt - für die menschliche Grundbefindlichkeit der universalen Angst vor dem totalen Nichts steht. »Auschwitz« steht für das, was der Nazi-Faschismus wohl am eindringlichsten lehrt: »...daß es schlimmeres zu fürchten gibt als den Tod... Der Name (Auschwitz) steht für die Ahnung, daß der Einzelne nichts wert ist, daß nichts und niemand ihm zu Hilfe kommt« (Claussen 1994, S. 19). Dieses Gefühl der totalen Beraubung, auch und vor allem der menschlichen Würde, ist kaum in Worte zu fassen. Die Fotografin Naomi Tereza Salmon griff vermutlich auch deshalb zu dem Mittel der doppelten Verdinglichung: Die abgelichteten Gegenstände verweisen entfernt auf die soziale Katastrophe, die stattgefunden hat. Die Fotos stellen (zum Teil undeutlich) die Umrisse der Gegenstände dar, die einmal in einem sozialen Zusammenhang mit Menschen gestanden haben, die in die Katastrophe als Opfer oder Täter verwickelt waren. Die fotografische Detailaufnahme ist sowohl extreme Verdinglichung als auch Abstraktion. »Alle Verdinglichung ist ein Vergessen«, wie es in der »Dialektik der Aufklärung« heißt; die Abstraktion setzt aber Assoziationen und Erinnerungen frei. Beides zusammen wirkt wie eine paradoxe Intervention: So zeigt die Ausstellung eine Serie von Fotos, die ihrerseits in kühler Distanz Gegenstände zeigen, abstrahiert von ihren ursprünglichen Verwendungszusammenhängen und sozialen Hintergründen, z.T. in steriler, gerichtsmedizinischer Plastikverpackung. Auch ohne theoretische Vorüberlegung scheint mir, daß die Gegenstände bzw. die Fotografien alle an etwas fast körperlich-schmerzhaft erinnern. Aber woran? Dem sollte jeder selbst beim Betrachten der Asservate nachspüren. Wir sollten also Assoziationen zulassen, die uns zu weiterem Nachdenken anregen; ich glaube, wir sollten dabei auch der angstbesetzten Ahnung nachspüren, wie das war und ob das wieder sein kann, daß der einzelne Mensch nichts wert ist, daß er all seiner persönlichen Gegenstände, seiner Subjektivität, all seiner Werte und seiner Würde beraubt wird, daß er zu einem Ding, zu einem Gegenstand mit einer Nummer gemacht wird, daß er der Vernichtung preisgegeben wird, daß seine Existenz spurlos ausgelöscht und in Rauch aufgelöst wird und nichts und niemand ihm zu Hilfe kommt. Peter Gstettner, seit 1981 Professor an der Universität Klagenfurt/Celovec (seit 1996 am »Institut für Erziehungswissenschaften und Bildungsforschung«), ist Mitbegründer der seit 1994 bestehenden Initiativgruppe »Mauthausen Aktiv Kärnten/Koroska, Gedenkstätte Loibl KZ Norda«. Naomi Tereza Salmon, 1965 in Jerusalem geboren, studierte 1986-88 Fotografie am Hadassa College in Jerusalem. Ab 1989 setzte sie sich mit Relikten auseinander, die wie Beweisstücke in den Archiven und Museen der Gedenkstätten Auschwitz, Buchenwald und Yad Vashem gesammelt und aufbewahrt wurden. Alle Abbildungen sind dem Katalog zur Ausstellung entnommen. Wer Interesse an der Ausstellung hat: nähere Auskünfte bei Hellmut Seemann, SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, D-60311 Frankfurt, Tel. (069) 299882-11, Fax 299882-40) oder Naomi Tereza Salmon, D-99423 Weimar, CarlAugust-Allee 3, Tel. 03634-503 106.