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zahlreicher Stellen, die Herausgabe einer Jubiläumsbriefmarke bei der österreichischen Post für Theodor Kramer im Januar 1997 zu erwirken, initiativ geworden. Auch Veranstaltungen, wie sie vom Club Niederösterreich immer wieder organisiert werden, tragen zur Verbreitung des Wissens um die Bedeutung Kramers bei. Hier sollten sich im bevorstehenden Jubiläumsjahr anläßlich der hundertsten Jährung seines Geburtstages weitere Möglichkeiten ergeben. Die Fragen an Erwin Chvojka stellte K.K. Erwin Chvojka Back to the roots: Die Familien Kramer und Doctor Daß Theodor Kramer als Sohn des jüdischen Gemeindearztes Dr. Max Kramer in einem abgelegenen ehemaligen Meierhof auf dem Kirchenhügel von Niederhollabrunn hoch über dem Dorf im Graben aufgewachsen ist, kann als hinreichend bekannt gelten. Hier soll versucht werden, auf Grund der am weitesten zurückreichenden Erinnerungen der Brüder Richard und Theodor Kramer sowie unter Auswertung verschiedener im Nachlaß befindlicher Unterlagen Herkunft und erste Lebensumstände des Brüderpaares in ihrer Einwirkung und Nachwirkung zu erhellen. Das Haus, in dem sich heute ein Niederösterreichischer Landeskindergarten befindet, liegt noch immer am Rande des Ortes; hier ist die Besiedelung nicht weiter in das Ackerland fortgeschritten. Doch seine nähere Umgebung hat sich als Folge seiner neuen Nutzung schnell verändert. Der weite Platz vor der westlichen Front des Gebäudes, auf dem die Kinder des Arztes noch ihren Spielplatz hatten!, wurde zum Schutz der Kindergartenkinder eingezäunt, die ohnehin nur flache Delle des vorbeiführenden Hohlwegs, das Urbild aller Kramer‘schen Hohlwege’, wurde aufgefüllt und eingeebnet. An der heute kahlen Westwand des Hauses verzweigte sich, in die Spiele einbezogen, noch zu Anfang des Jahrhunderts der ‘alte Hollerbaum’, dessen endgültige Entfernung, weil „seine Fäulnis sich ins Gemäuer fraß“ 3, Theodor Kramer noch nach Jahrzehnten beklagt, weil sie fiir inn das Ende einer Lebensperiode (,,und nachher nicht mehr jung“) bedeutete. An der Nordfront reichen die Felder noch immer knapp ans Haus. Die zwischen ihnen in kleinen Senken damals viel umfangreicher wuchernden Baum- und Buschgruppen zogen Theodor besonders an und waren, immer in Sichtweite des Hauses, sein bevorzugter Spielplatz, sehr zum Mißvergnügen der Bauern, da sich in ihnen Fasane gehalten haben, auf die jährlich Jagd gemacht wurde. Die Vermittlung seiner Mutter bewirkte, daß ihm schließlich eine etwas weiter entfernte Mulde als Spielplatz zugewiesen wurde. Aber da war auch noch die Angst vor dem Hund der Gräfin, Vorbote von Kramers späteren Ängsten und Phobien.* Die Gräfin war die Gattin des damaligen Eigentümers des „Schlosses“ jenseits der Kirche, des Grafen Dubsky, eines Neffen von Marie Ebner-Eschenbach.” Noch während des Ersten Weltkrieges befand sich das Gut — es wurde später an einen Nonnenorden verkauft - in seinem Besitz und der Einfluß des Grafen war so groß, daß er imstande war, Theodor Kramer aus der an die Front gehenden Marschkompanie, der er nach Ausheilung seiner schweren Verwundung zugeteilt worden war, — wohl auf Intervention der Eltern - frei zu bekommen.® Bei einem Besuch in Niederhollabrunn konnte Richard Kramer dem Verfasser die seinerzeitige Verteilung der Räume im Doktorhaus darlegen. An der Westfront gehörten die beiden Fenster ganz rechts zum Speisezimmer, die zwei anschließenden zum Schlafzimmer, das für beide Brüder auch das Geburtszimmer war. Weiter nach Norden zu markieren zwei Fenster das ehemalige Zimmer der Kinder, während die schon in der Nordwestecke liegenden zu jenen Räumen gehörten, die die erwachsen Gewordenen bei ihren Besuchen im Elternhaus bewohnten. Die Ordination befand sich im hinteren, durch einen Garten an der Südseite erreichbaren Teil des Hauses.’ Hier erhob sich auch ein niederer Giebel, „von dem im Mai die Fledermaus zu Abend fiel in ihren stillen Flug”®, wie sich Theodor noch lange danach in einer Mischung von Sehnsucht und Trauer erinnert. melte Gedichte (3 Bde., Wien 1984-87; 1. Bd. in überarbeiteter 2. Auflage 1989); Der Braten resch, der Rotwein herb... (Wien 1988); Laß still bei dir mich liegen... (Wien, München 1994); Unser Land (St. Pölten 1996), Spates Lied (München, Wien 1996). Außerdem: Richard Kramer: Ausreise und Einreise (Gedichte, Wien 1971). Aufsätze zu Theodor Kramer: Vor- oder Nachworte und Editiorische Notizen in allen edierten Bänden, insbesondere und grundlegend die in überarbeiteter Form auch in die ,,Gesammelten Gedichte“, Bd.1, übernommene Einleitung zu „‚Einer bezeugt es...“ Sowie: Theodor Kramer. In: Akzente (München) 9 (1962), 43-52. Theodor Kramer, ein ,,verschollener“ Dichter. In: Neue Wege (Wien) Nr.200 (Dezember 1964). „Nun weht der Wind so scharf ums Doktorhaus“. Theodor Kramer aus Niederhollabrunn. In: Senta Ziegler: Das Weinviertel. St. Pölten, Wien 1981, 35-43. Versuch, das Wuchern von Legenden zu behindern. Beiträge zu einer Lebensgeschichte Theodor Kramers. In: Konstantin Kaiser (Hg.): Theodor Kramer 1897 — 1958. Dichter im Exil. Wien 1983, 57-80. Das Bild der Arbeitswelt in der österreichischen Lyrik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. In: MdZ 2 (1985) Nr.1, 3-7. Richard Kramer, der Bruder Theodor Kramers. In: MdZ 2 (1985) Nr.3, 3-6. Wer war Theodor Kramer? In: arbeit und wirtschaft (Wien) Nr.4/1988, 38-41. Außerdem u.a. Aufsätze über Jan Hus und den braven Soldaten Schwejk, Erich Fried, Paul Celan, über den 12. Februar 1934 und über die Geschichte des Bundesgymnasiums Maroltingergasse. Niederhollabrunn Am 30. Mai 1996 präsentierte Club Niederösterreich im Pfarrsaal Niederhollabrunn den Theodor Kramer-Auswahlband ‚Unser Land“. In Niederhollabrunn hat auch die Theodor Kramer Gesellschaft in den ersten Jahren ihres Bestehens mehrere Tagungen veranstaltet und Theodor Kramer-Festveranstaltungen mitorganisiert. Da in der MdZ jedoch verschiedentlich kritisch zur Kandidatur und Präsidentschaft Kurt Waldheims Stellung genommen worden ist, wurde von Niederhollabrunn aus der Kontakt zur Theodor Kramer Gesellschaft abgebrochen. Jener ÖVP-Gemeinderat, der sich ansonsten sehr verdienstvoll um die kulturellen Angelegenheiten der Marktgemeinde kümmerte, glaubte nun, sich vor ‘seinen’ Bundespräsidenten stellen zu müssen. Ab und zu erinnert man sich jedoch noch an die erste Theodor Kramer-Veranstaltung in Niederhollabrunn, bei der Viktor Matejka sprach und die Gruppe ,,Zupfgeigenhansl“ ihre Kramer-Vertonungen vortrug, oder an das letzte öffentliche Auftreten des Dichters Wilhelm Szabo in Niederhollabrunn: Er analysierte scharfsinnig die Differenzen zwischen der Poetik Kramers und seiner eigenen Poetik. 19