sprachigen Autoren gehabt, und für lange Zeit niemanden meine Gedichte angeboten.
Ich scheute mich davor, Verbindung mit österreichischen oder deutschen Verlagen
aufzunehmen.
In sehr vielen (ermüdend vielen) Gedichten versuche ich die Verlassenheit des
Exilierten, des nirgends, nicht einmal in der eigenen Sprache Beheimateten auszudrük¬
ken, und ich glaube, daß mir das in einigen Gedichten besser gelungen ist, als ich in
einem Vortrag vorbringen könnte.“ („Alte Schmiede“ 1991, anläßlich der Präsentation
von ,,Scherben sind endlicher Hort“).
Ich will Sie nicht mit dem ‚Nullpunkt 1945“ langweilen, aber doch vermerken, daß
anläßlich des 50. Jubiläums der II. Republik u.a. Anthologien erschienen, die sich der
Literatur ,,znach 1945“ annehmen, in denen Veza Canetti und Hermynia Zur Mühlen
zwar als Vorläuferinnen, als Literatinnen der 30er Jahre Erwähnung finden, eine Zeit,
in der Hermynia Zur Mühlen zwar eine bekannte Autorin war. Ihr Hauptwerk jedoch
entstand im Exil. Die Literaturgeschichtsschreibung ist nach wie vor auf der Flucht, als
wollte sie von den Wunden und Narben, die sich auch in der Sprache wiederfinden,
nichts wissen. Ein Phänomen von ‚‚nihilistischem Relativismus‘‘ — wie Hanna Arendt
es in einem Aufsatz zum „‚Deutschland der 50er Jahre“ bezeichnet - als ginge es um
den Austausch von Meinungen mit den sie begleitenden Urteilen des Geschmacks.
Im Unterschied dazu möchte ich Erwin Ringel (Brief vom 15.6. 1993), der das
Vorwort zu ,,Die Heimat wurde ihnen fremd, die Fremde nicht zur Heimat“ (Hg. von
Adi Wimmer) verfaßt hatte, zitieren, der an Stella Rotenberg schrieb: ,,Seit einiger Zeit
besitze ich Ihre wunderbaren Gedichte und habe mir auch erlaubt, eines in meinem
letzten Buch zu zitieren. („Das Alter wagen“) Ich hoffe, Sie spüren, daß ich mich Ihrem
Schicksal tief verbunden weiß, seit langer Zeit bemühe ich mich um eine Verständigung
zwischen Christentum und Judentum, und ich würde mich sehr freuen, wenn dieser
Kontakt, den ich hiemit zu eröffnen mir erlaube, nicht abreißen würde.“
Die Sprödigkeit und die Schlichtheit der lyrischen Sprache von Stella Rotenberg
werden selbst zur Technik, überwinden den Bruch, die Vereinsamung und Öde. In den
Worten, im Sinn der Worte und in der epigrammatische Kürze ist das reichhaltige
Wissen, die Reflexion und Klarheit über das konkrete Schicksal der Ermordeten,
Unterdrückten, über das Judentum, das Volk, das als Minderheit zuerst ausgestoßen
wurde und an dem die europäische Gemeinschaft zerbrach, geborgen, und wir spüren
in den Themen über die Beziehung von Mann und Frau die Sphären des Alltags, wo
die schlichte und unscheinbare Gewalt ihren ersten und eigentlichen Sitz habe. In Stella
Rotenbergs Prosatexten, vornehmlich entstanden in den 80er Jahren, wird das Trauma
über den Verlust von Sozietät konkret. Heimat und der staatlich-politischen Dimension
des patriachalen Vaterlandes mißtraut sie zutiefst. Ein charakteristischer, quasi natür¬
licher „‚ziviler Ungehorsam“ , der die Literatur von Frauen auszeichnet. Aus verblaßten
Bildern werden Erlebnisse ihrer Mutter als junge Frau in der Tradition des weiblichen
Erzählens — ,,Als meine Mutter klein war"; ,,...als meine Mutter jung war"; ,,Als meine
Mutter ein Kind war“ — imaginiert und rekonstruiert. Es geht um die Vor-Geschichte
eines Kindes, das sich seines Ursprungs nicht gewiß sein kann. Das Kind beobachtet
ohne in den Verlauf des Geschehens einzugreifen. Es ist ein - um den gewaltsamen
Tod der Mutter und der Ermordung vieler Verwandter in den Konzentrationslagern —
wissendes Kind. Der Faden spinnt sich über die erzwungen Entäußerung von Über¬
lieferung und knüpft an Vertrauen und Vertrautes aus der Kindheit an. Ein Ariadnefa¬
den durch den Schlund der Hölle hindurch, in dem das minotaurische Ungeheuer
wirkte.
In Stella Rotenbergs Werk findet sich, was Bertolt Brecht poetologisch in „Am
Grunde der Moldau wandern die Steine...das Große bleibt groß nicht und klein nicht
das Kleine.. Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“ andeutete. Das
trifft nicht ausschließlich auf die menschlichen Vorgänge im Ill. Reich zu, sondern
auch auf die soziale und kulturelle Zensur gegenüber den Leistungen des Exils, den
Überlebenden, den Zeugen. Diese Zensur verbietet die Unversöhnbarkeit mit dem
Lebensfeindlichen, verbietet Anklage zu erheben.
Den Frauen und auch dem literarischen Werk von Frauen wird das ‚‚Gefühl“ forciert
zugesprochen und eine besondere moralische Kompetenz. Stella Rotenberg hält mit
dem Gefühl haus, überzeugt im rationalen, präzisen Gebrauch. Ich möchte von einer
hohen Verantwortung sprechen, die aus der ihr eigenen Gewißheit schöpft: Eine große
Stimme, für uns und für die, um die wir trauern.
Zur selben Zeit kamen sie zu einem Putz¬
macher in die Lehre, in einer der größeren
westdeutschen Städte. Viele Mädchen ar¬
beiteten in der Werkstatt und immer war es
lustig, bis sich eines Tages alles veränderte:
Sicher hörten Sie auch schon von diesem
Unteroffizier aus dem Ersten Weltkrieg...
der mit dem komischen Schnurrbart und der
in die Stirn gekämmten Tolle.
Edith wanderte aus, in eins der an Deutsch¬
land grenzenden Länder. Erst jetzt merkte
Hilde, daß Edith Jüdin war, doch dachte sie,
wie die meisten, nicht viel darüber nach. Sie
arbeitete weiter in ihrer Werkstatt, in der sie
sich weder durch Fleiß noch durch beson¬
dere Handfertigkeit auszeichnete. Doch
konnte man ihr deswegen nichts anhaben —
stolzierte doch ihr Vater in schwarzer Uni¬
form und glänzenden Stiefeln umher!
Nach dem Krieg, bei einem Besuch in mei¬
ner Geburtsstadt, traf ich sie.
„Wo ist denn deine Schwester Edith?“
fragte sie mich, nach einer von mir aus
etwas kühlen Begrüßung.
„Wo alle anderen sind“, sagte ich.
Die Augen meiner Schwester scheinen Hil¬
de nicht verlassen zu haben. Sie zeigten ihr
ihr banales und oberflächliches Leben,
zeigten ihr das Verbrechen, begangen nicht
nur von Hitler und seinen Henkersknech¬
ten, sondern von allen, die schwiegen und
nicht sehen wollten.
Hilde kam nach Jerusalem. Zusammen mit
anderen baute sie ein Heim für blinde Kin¬
der, in dem sie, nachdem es fertiggestellt
war, blieb und die Behinderten pflegte.
Heute ist sie in ihrer Heimatstadt und derer
Umgebung die treibende Kraft hinter der
Tätigkeit der Gesellschaft für christlich-jü¬
dische Zusammenarbeit — weitere Filialen,
Sammlungen, Aktionen. Aus einem alltäg¬
lichen Mädchen wurde eine engagierte Per¬
sönlichkeit, unermüdlich dem Ziel zustre¬
bend, das sie sich selbst gesteckt hat.