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zum Standardrepertoire. Nach 1945 fanden die alten Stereotype ihren Weg in die Medien des Ostblocks (die antisemitische Politik der Sowjetunion oder Polens ist bekannt), in israelfeindliche Karikaturen in arabischen Ländern, in rechtsradikale Blätter der sogenannten westlichen Welt und, je nach politischer Atmosphäre im Land, sogar in seriösere Publikationsorgane und in Massenblätter, letzteres auch und besonders in Österreich. Nur selten hatten die Texte zu den bildlichen Darstellungen einen offen antisemitischen Inhalt, doch jeder verstand aus dem Zusammenhang, was gemeint war. Nun findet man ähnliches also auch in einem österreichischen Kinderbuch, allerdings in solch extremer und abstoßender Form, wie es nach 1945 hierzulande nur selten der Fall gewesen ist. Ein Bild aus Thomas Brezinas Erzählung ‚Wer spukt im schwarzen Schloß?“ (erschienen 1996!) zeigt Doktor Spinntus, dessen Aussehen, wie schon erwähnt, den übelsten antisemitischen Hetzblättern entnommen sein könnte, wutentbrannt die beiden unschuldig (und sehr ‚‚arisch“) aussehenden Kinder Karo und Klaro an den Haaren zerren. Wohin bringt er sie? Unweigerlich weckt das Bild bei mir unangenehme Assoziationen: Der böse Jude, der das christliche Kind verschleppt, um es zu schlachten und sein Blut dem Mazzesmehl beizumischen — eine absurde mittelalterliche Legende, die von den Nazis wieder aufgegriffen wurde. In der Nazizeit war der Jude, der ein deutsches Kind verschleppt, ein beliebtes Motiv für Illustratoren entsprechender Propagandabroschüren. Im Fall von Brezinas Erzählung werden die beiden Kinder ,,nur“ in eine Kammer gesperrt, wo sie von einer Riesenpresse zermalmt werden sollen. Nachdem ich mich vom ersten Schock etwas erholt habe, lese ich die Geschichte noch einmal, diesmal etwas genauer. Was zuerst als magere Phantasie eines wie am Fließband arbeitenden Autors durchgehen mag, erscheint mir angesichts der Illustrationen jetzt keineswegs mehr so harmlos. Doktor Spinntus erhält vom reichsten Jungen der Stadt mit dem ebenfalls nicht allzu originellen Namen Mario Monedas Geld dafür, daß er die Stadt von allen Tieren säubert. Da seine Eltern ihm verbieten, ein Haustier zu halten, kann es Mario nicht mehr ertragen, Tiere zu sehen, und möchte außerdem verhindern, daß sonst jemand in der Stadt ein Tier besitzt. Es handelt sich um eine geheime Absprache, eine „Verschwörung“ (jüdische Verschwörung?) gegen die Tiere. ,,Kindgerecht“ wird also eine Verschw6rungstheorie entwickelt und ein altes antisemitisches Vorurteil hervorgeholt: Juden wirken im Verborgenen und schmieden finstere Pläne gegen Unschuldige und Ahnungslose. Eine Zeichnung zeigt Doktor Spinntus gar mit einer überdimensional großen Fackel in der Hand. Man denkt an den (hinterlistigen und verschwörerischen) Juden, der einen Weltbrand entzünden möchte. Daß Doktor Spinntus seinen eigenen Vertragspartner hintergeht (Juden sind ehrlos und falsch!), vervollständigt das Klischeebild. Auf einige weitere Details möchte ich die Aufmerksamkeit ganz besonders lenken: Das Buch beginnt damit, daß Schnuffi, das Kaninchen von Karos Freundin Lillibet, in den Wald flüchtet und im dunklen Schloß verschwindet. Erst auf der Suche nach diesem Kaninchen entdeckt Karo das unheimliche Gebäude. Am Ende der Geschichte ist Schnuffi aus den Fängen des Tierquälers befreit, ein Tierexperiment vereitelt worden. Es ist nicht das erste Mal, daß im Zusammenhang mit ‚dem bösen Tun der Juden“ das Kaninchen als Sinnbild für Unschuld und Wehrlosigkeit und für das ‚‚Gute“ herhalten muß. Auf der Titelseite des ,,Simplicissimus“, einer deutschen Wochenzeitschrift mit antisemitischen Tendenzen, aus dem Jahre 1903 sieht man drei ganz in Schwarz gekleidete Juden inmitten einer ganzen Herde von Kaninchen. Die Hand eines der Männer senkt sich bedrohlich über die Köpfe der Tiere. Das Bild sollte die Angst vor der „Überfremdung“ (in diesem Fall vor einer ,,Polonisierung“ und ‚‚Judaisierung‘ Westpreußens) schüren. Eine Angst, die geviefte Leute auch heute zu schüren wissen. Bald vielleicht mit ähnlichen Zeichnungen wie im Simplicissimus? Oder wie im Kinderbuch von Thomas Brezina? Das ‚‚dunkle Treiben“ des Doktor Spinntus wird wiederum durch die Dunkelheit seiner Haare und Augen und durch sein ‚orientalisches Aussehen“ unterstrichen. In der einfach strukturierten Vorstellungswelt der Herren Rottensteiner und Brezina wäre, so scheint mir, ein blonder und blauäugiger Doktor Konzert im Gemeindezentrum Am 6. April 1997, 18 Uhr, präsentiert Judith Pör Kalbeck klassische und jiddische Musik im Jüdischen Gemeindezentrum, 1010 Wien, Seitenstetteng.2. Mit den MusikerInnen Alina Inchassov, Joshua Malach, Irina Nakomova, Nathalie und Leonid Zymbal u.a. (Eintritt 6S 75,-). Jiidisches Institut fiir Erwachsenenbildung Veranstaltungen zur Exilkultur im Jiidischen Institut fiir Erwachsenenbildung, 1020 Wien, Praterstern 1, Friihjahrsprogramm: 12. März, 18 Uhr 30: Cecile Cordon/Herbert Exenberger tiber die ermordete Arbeiterschriftstellerin Thekla Merwin, Lesung und Vortrag. 19. März, 18 Uhr 30: C. Cordon/H. Exenberger über Adolf Unger. 2. April, 18 Uhr 30: Sabine Prem über die Lyrikerin Anna Krommer. 9. April, 20 Uhr: Vortrag von Gerhard Scheit, „Antisemitismus und Musik“. 10. April, 20 Uhr: Reinhard Knapp über ‚Die Wiener Schule im Exil - das Beispiel London“. 16. April, 18 Uhr 30: Konstantin Kaiser über Alfred Frisch. 4. Juni, 18 Uhr 30: Siglinde Bolbecher und K. Kaiser über das ,,Lexikon der österreichischen Exilliteratur“. 18. Juni, 18 Uhr 30: Vladimir Vertlib über den Zeichner, Cartoonisten, Redakteur Bil Spira. 11