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„Ich danke Ihnen auch, Katja‘, sagte Elsa leise. „Ich werde Ihnen schreiben, Frau Elsa, sobald ich heimkomme, ich werde schreiben.“ Elsa nickte. ,, Wollen Sie hinaufgehen und sich von meinem Mann verabschieden?“ fragte sie. Max saß in seinem Zimmer. Als ich eintrat, blickte er auf und lächelte sein krankes Lächeln. „Herr Max, wir fahren weg.“ „Geben Sie mir Ihre Hand, Katja“, sagte er. Er steckte mir ein Silberringlein mit einem grünen Stein an den Ringfinger. Der Ring war etwas zu groß, also schob er ihn auf den Mittelfinger. „Na, also“, sagte er, „‚das ist zum Andenken. Auf Elsas Wunsch. Aber ich möchte Ihnen auch etwas von mir schenken. „Dann schenken Sie mir Ihren braunen Schlapphut“, bat ich auf einmal, obwohl ich noch eine Sekunde zuvor nicht daran gedacht hatte. „Elsa“, rief Max, „bring Fräulein Katja meinen braunen Hut!“ und er lachte - zum ersten Mal sah ich ihn wirklich lachen. und als ich den Hut in die Hände nahm, wußte ich, warum ich ihn gerade darum gebeten hatte: ich hatte ihn zum letzten Weihnachtsfest getragen. Wir hatten an dem Abend Max hinuntergebracht. In der Ecke stand eine Tanne, die bis zur Decke reichte, mit Christbaumschmuck aus dünnem Glas. Lenka und ich waren herausgeputzt, es war lustig, und Elsa erlaubte uns, aus dem Schrank etwas zur Maskerade herauszusuchen. Und damals setzte ich dann diesen Hut auf, steckte eine Gänsefeder dran und bemalte mir Wangen und Lippen. Alle lachten und tanzten zur Grammophonmusik. Ich bedankte mich kurz bei Elsa und Max und nahm rasch Abschied, denn auf der Straße hupte schon der Lastwagen. In der Kabine saß Lenka, und der Fahrer war der Schwarze, der mein Hemd in den Schmutz geworfen hatte. Ich ließ mich in der Ecke nieder, und das Auto fuhr ab. Aus dem Russischen übersetzt von Marina Postojewa (Charkow, Ukraine) und Doris Haubner — Überarbeitung der deutschen Fassung. Alla Seljanowa, geboren 1956 in Mariupol, aufgewachsen in Tula. Besuchte das Polytechnikum in Tula, anschließend Studium der Literaturwissenschaft, Abschluß 1984. Lebt derzeit in St. Petersburg.. Bruno Jassenskij Die Nase Herr Doktor Otto Kallenbruck, Professor der Eugenik, der vergleichenden Rassenkunde und der Rassenpsychologie, wirkliches Mitglied der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene, Gründungsmitglied der Gesellschaft für den Kampf um die Verbesserung der deutschen Rasse, Verfasser aufsehenerregender Bücher über den Nutzen der Sterilisierung, über die rassischen Ursachen der Sozialpathologie des Proletariats und einiger anderer, saß beim Mittagskaffee in seinem Arbeitszimmer mit Blick auf die Liechtensteinallee Nr. 18. Er war in die Druckfahnen seines jüngsten Buches mit dem Titel „Endogene Minusvarianten des Judentums‘ vertieft. Das Buch war erst vor einem Monat erschienen und innerhalb einer Woche vergriffen gewesen. Es hatte ihm viel Lob eingebracht. Angesichts der ungeheuren Nachfrage wurde eilig eine große Trotzdem war Professor Kallenbruck mit diesem äußeren Erfolg zu Recht nicht ganz glücklich. In der Parteiführung hatte man das Buch zwar wohlwollend, aber nicht unwidersprochen aufgenommen. Doktor Gross etwa, der Leiter der Abteilung für Rassenpolitik der Partei, hatte offen einige Thesen aus dem jüngsten Werk Kallenbrucks wegen ihrer übermäßigen Direktheit kritisiert. Die Meinung von Doktor Gross war letztendlich nicht entscheidend. Aber der Führer selbst war mit Staatsgeschäften überlastet und hatte das Buch noch immer nicht gelesen, im Reichsministerium für Bildung und Propaganda war man wiederum übereingekommen, es nur dann als verpflichtenden Lehrbehelf in Rassenkunde für die Mittelschulen zu empfehlen, wenn die Neuauflage einige Berichtigungen aufwiese. Professor Doktor Kallenbruck war ein Mensch mit Prinzipien. Der neue Ton, der in letzter Zeit in der deutschen Rassenkunde, von Doktor Gross und seinem MitstreiGogol, ,,Die Nase“ ter Professor Giinther ausgehend, einen quasi offiziellen Einschlag erlangt hatte, mußte zwangsläufig seinen lebhaften Widerstand hervorrufen. Damit war nicht zu spaßen! Diese Herren wollten sämtliche anthropologischen Kriterien bei der Definition der nordischen Rasse abschaffen und sie durch Richtlinien rein seelischer Natur ersetzen! . Nach Ansicht von Professor Günther war weder die Schädelform noch die Haarfarbe von Belang. Entscheidend waren lediglich der nordische Geist und die nordische Denkweise. Die ‚gestraffte soldatische und Turnerhaltung — Brust heraus und Bauch hinein“ — war laut Günther ‚ein wesentliches Merkmal der nordischen Rasse“ .! Doktor Gross ging in seinen letzten Artikeln noch weiter, er behauptete offen, daß die Rassendiagnostik nach äußeren Merkmalen die Massen abschrecke und einen schlechten Eindruck im Ausland hinterlasse.? Erst vor kurzem hatte er sich im ,, Volkischen Beobachter“ bis zur Anerkennung der Gleichwertigkeit der verschiedenen Rassensubstanzen verstiegen, es fehlte gerade noch, daß er die führende Rolle der nordischen Rasse leugnete. Warum sollten da die Herren Gross und Günther nicht noch weitergehen und du Bois zustimmen, der bewies, daß der Weiße nach einer Reihe von anthropologischen Merkmalen primitiver war als der Neger, oder Hart, der jedweden geistigen Rassenunterschied negierte?! Nein, Professor Kallenbruck war stolz auf seine Direktheit und bei einer derart grundlegenden Frage nicht bereit, einen Kompromiß einzugehen. Er sollte direkt zum Führer gehen und ihm einmal deutlich den 1 Prof. Dr. Hans Günther, ‚‚Rassenkunde des deutschen Volkes“. 2 Gross, „Ein Jahr rassenpolitischer Erziehung“. „‚Nationalsozialistische Monatshefte“. Wissenschaftliche Zeitschrift der NSDAP. Herausg. von Adolf Hitler. Heft 54. 1934. 35