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ziehbar. Auf sein politisches Engagement in der Zwischenkriegszeit - Kramer war Mitbegründer der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“ — gehen Kaiser und Chvojka ebenso ein wie auf sein literarisches Schaffen, seine Publikationsschwierigkeiten im Exil und seine Kontakte zu sozialistischen wie kommunistischen Emigranten- und Kulturorganisationen in England. Die veröffentlichten Korrespondenzen tragen überdies zum besseren Verständnis der Verzweiflung des Exilanten, der Depression des Entwurzelten bei, die in vielen von Theodor Kramers Gedichten zum Ausdruck kommen. In seinen Briefen gab Kramer mitunter selbstbewußt und in äußerst geraffter Form sein poetisches Programm preis. So schrieb er 1942 an seine Freundin Grete Oplatek: „Das Leben besteht überhaupt aus den kleinen Dingen. Und in meinen Gedichten 19281938 ist es mir auch gelungen, ein Schicksal in den kleinen Alltäglichkeiten einzufangen und ins Große, ja Kosmische aufsteigen zu lassen. Jetzt ist dem nicht so“, bedauerte er zugleich, ,,denn ich kenne den Alltag dieses Landes wenig und ich liebe ihn noch viel weniger.“ Mit Unterstützung seiner Freunde, unter anderem von Hilde Spiel, die sich bei Bruno Kreisky sehr für Kramer einsetzte, kehrte der emigrierte Dichter 1957 nach Österreich zurück. Doch es war nicht mehr dasselbe Land, das er verlassen hatte. „Erst in der Heimat bin ich ewig fremd“, lautet der Refrain eines der in Theodor Kramers letzten Lebensmonaten entstandenen Gedichte. Ein Gefühl, das er mit unzähligen Remigranten teilte, die vor dem Nationalsozialismus fliehen mußten und nach ihrer Rückkehr völlig veränderte Verhältnisse vorfanden. Die Heimat ist ihnen, wie Alfred Polgar es formulierte, „Fremde geworden, und die Fremde nicht Heimat.“ Sein Werk in Österreich zu wissen, war Theodor Kramer, der an chronischer Colitis und Bluthochdruck litt und immer wieder schwer krank war, ein Trost. In England wären seine Manuskripte nach seinem Tod mangels Interesse vermutlich auf dem Müll gelandet (wie es mit den Papieren der Schriftstellerkollegin Hermynia Zur Mühlen geschehen scheint); das konnte er durch seine Rückkehr verhindern, wenn er auch nicht mehr dazu kam, sie zu überarbeiten. „Mein Werk erfüllt mich mit manischem Selbsthaß, denn ich schrieb zu viel und feilte zu wenig und hab es so und durch meinen Zustand gefährdet“, schrieb Kramer an Fritz L. Brassloff. Theodor Kramer starb, nach einem Leben in Armut und Einsamkeit, am 3. April 1958 an einer Lungenembolie im Wiener Wilhelminenspital. Sandra Wiesinger-Stock Erwin Chvojka/Konstantin Kaiser: Vielleicht hab ich es leicht, weil schwer, gehabt. Theodor Kramer 1897-1958. Eine Lebenschronik. Wien: Theodor Kramer Gesellschaft 1997. 118 S., mit 40 Abbildungen. ÖS 180,-/DM 26,-/SFr 24,56 Couplets aus dem Exil - Jimmy Berg, der Chansontexter Jimmy Berg ist den Kennern von Jura Soyfers Bühnenstücken ebenso wie den Liebhabern einer gediegenen wienerischen Unterhaltungsmusik vor allem als Komponist bekannt. Doch der Komponist jüdischer Herkunft, der von den Nazis aus Wien vertrieben wurde, hat auch zahlreiche Chanson-Texte verfaßt — in Wien ebenso wie später im Exil. In der von Harry Zohn geleiteten Reihe Austrian Culture hat nun der Herausgeber Horst Jarka diese Texte zugänglich gemacht, die bisher oft nur einem kleinen Kreis von Zuhörern in Erinnerung waren. Dies ist vor allem Trude Berg, der Witwe des 1988 verstorbenen Komponisten und Chansontexters zu danken. Sie betreut nicht nur den Nachlaß, sondern setzt sich mit Verve und Temperament für Textund Musik Jimmy Bergs ein. Solches Engagement hat besondere Bedeutung: Trude Berg, die mit ihrem Mädchennamen Hammerschlag heißt, teilt das Schicksal der erzwungenen Emigration - als Jüdin mußte sie in noch jüngeren Jahren als Jimmy Berg aus Österreich flüchten, ihre Familie und ihre Verwandten wurden ermordet. Jimmy Berg lernte sie 1941 im Vienna Café in New York kennen - einem beliebten Treffpunkt der aus Ostereich und Deutschland Vertriebenen, wo Jimmy Berg sehr oft im musikalischen Programm mitwirkte. Bald trat auch Trude Hammerschlag, die nun Trude Berg hieß, unter dem Namen Trude Hill als Chansonniere gemeinsam mit Jimmy in Programmen der Arche, einem anderen dieser ExilKlubs, und später bei vielen „‚Club dates“ auf. Und darum kann sie heute viele der Chansons mit Emphase und Empathie wiedergeben - sie hat auf Tonband manches überliefert, was sonst verlorengegangen wäre; vor allem vermag sie etwas von der Atmosphäre dieser Exilkultur zu vermitteln. So ist die ausführliche Einleitung von Horst Jarka wichtig, weil sie diese biographischen Zusammenhänge, von denen Jimmy Bergs Texte besonders geprägt sind, nahebringt. Nicht nur der Umstand, daß der Herausgeber identisch ist mit dem der Werke Jura Soyfers, legt einen Vergleich der Texte von Jimmy Berg und Jura Soyfer nahe. Schließlich hat doch Berg einst für die Kleinkunstbühne Texte von Soyfer vertont und auch einige — wie der Band dokumentiert — mit ihm gemeinsam verfaßt. Die naheliegende Auffassung, Jimmy Bergs Chansons seien weniger politisch, macht es sich vermutlich zu einfach: Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind vielfältiger. Und die Meinung, daß Berg wienerischer schrieb als Soyfer, ist wohl ebenfalls nur eine Teilwahrheit, vor allem aber eine Verkürzung. Jura Soyfer orientierte sich allerdings seit seiner Jugend stärker an der Lyrik der deutschen Linken, und diese Auseinandersetzung spürt der Leser noch in seinen späteren, im Wiener Dialekt geschriebenen Texten für die Kleinkunstbühne. Ein gewisser rhythmischer Schwung, der an die Musik von Hanns Eislers Balladen erinnert, läßt sich bei ihm immer wieder heraushören. Hier ging Jimmy Berg vor allem als Komponist nicht mit, die größte Übereinstimmung erreichten Soyfer als Textdichter und Berg als Komponist in den eher melancholisch geténten Vagabundenliedern aus Astoria oder in leicht verfremdeten Anleihen an Typen der Unterhaltungsmusik in den Songs zu Broadway Melodie 1492. In Jimmy Bergs Texten vor 1938 zeigt sich —- meinem Gefühl nach — sogar eine größere Nähe zu Soyfer als in seiner Musik. Doch im Grunde bleibt auch ihnen dessen Iyrischer drive meist fremd; sie stolpern und holpern lieber wie Nestroys Couplets. Die Haltung ist nicht unbedingt die des Engagierten und zur Politik Aufrufenden oder Mahnenden, sondern eher die des staunenden Zeitgenossen, der aber nicht einsam sein will, sondern sich ins unterhaltende Genre begibt, um über die Welt zu reflektieren. Nach dem März 1938 verstärkt sich nicht nur dieser Nestroysche Tonfall, es tritt auch ein Thema hinzu, das bei Jimmy Berg bereits vor 1938 deutlich angeklungen war: die Situation des Judentums. Zunächst versucht Berg noch im Ton eines Tucholsky auf die neue Lage zu reagieren: — so im ,,Goldnen Wiener Herz — nach Marz 1938": ,,Hei, wie es schlägt, das goldne Wiener Herz, / Wenn die Nazis einmarschieren (...) Schlag, goldnes Wiener Herz, so schlag, / Schlag alle Juden tot! / Schlag, goldnes Wiener Herz, so schlag / Und färb die Straßen rot! / Du schlagst und schlägst, weißt nicht wohin, / Dich stört nicht Leid und Klag’, / Dei Muatterl war a Weanerin, / Der Schlag vom alten Schlag!“ Schließlich kommen Texte hinzu, in denen der resignative, aber keineswegs angepaßte Ton der Nestroyschen Couplets überwiegt, so z.B. im Lied vom Sündenbock: „Für alles Böse, das es gibt, / Für alles, was die Welt betrübt, / Da muß es Sündenböcke geben. / Vom Altertum zur neu’sten Zeit/ Beschuldigt man für jedes Leid / Dieselben Sündenböcke eben.“ Durch das ungeheurliche Geschehen aber, das berichtet wird, entsteht eine seltsame Spannung zwischen der gemächlich dahinholpernden Resignation in Tonfall und Rhythmus und dem Entsetzen der wörtlichen Bedeutungen und Assoziationen, eine Spannung, die sich mitunter in einer Verharmlosung der Bedeutungen auflöst. Das ‚‚aktuelle New Yorker Wienerlied“ über den Wiener Hausbesorger von 1946 versucht hingegen die Spannung festzuhalten und vermag etwas von Qualtingers Herrn Karl vorwegzunehmen: ,,(...) Doch neulich, da kam ein besonderer Brief, / Und ich muß schon sagen, der rührte mich tief / Mein Wiener Hausbesorger hat mir jüngst geschrieben, / Er schwört, er ist die ganze Zeit mir treu geblieben, /Er sagt, das braune Gift war ihm nicht eingeimpft, / Und nur wenn’s sein mußt’, hat auf Juden er geschimpft! / [...] Erstens war er niemals nicht ein Nazi, / Zweitens ist er längst schon entnazifiziert. / Um den guten Willen zu beweisen, / Ist er jetzt gar auf den Aufbau abondort in Manhattan! / Und er hätt’ gern zehn Packel Camel Zigaretten.“ Wer diese Cou