Kleine Chronik: Einige kulturelle
Ereignisse des Exils in Mexiko
Casa de Espana: 1938 ordnet General Läzaro
Cärdenas, mexikanischer Staatspräsident, die
Gründung der Casa de Espana (Haus Spaniens),
an, eines Studienzentrums für bekannte, aus Spa¬
nien geflüchtete Intellektuelle. 1940 wird der
Name auf Colegio de Mexico geändert.
Die Anzahl der spanischen Flüchtlinge in Mexico
wird zwischen 16.000 und 40.000 geschätzt.
Ihre Zeitschriften: Espana Peregrina, Litoral,
Las Espanas. Ihr Verlag: Fondo de Cultura Ecö¬
nomica.
Heinrich Heine-Klub. Vereinigung antinazi¬
stischer Intellektueller deutscher Sprache
(Club Enrique Heine, Asociaciön de Intelectuales
Antinazi de Habla Alemana): Gründungsver¬
sammlung Anfang November 1941. Das Statut
verlangt von allen Mitgliedern, einig zu sein „im
Bekenntnis zum Freiheitskampf gegen den Nazi¬
faschismus“. Auf der Mitgliedskarte werden als
Ziele des Klubs ‚‚Förderung deutscher und öster¬
reichischer freiheitlicher Kunst, Literatur und
Wissenschaft durch Wort und Schrift, Belehrung
und Schulung ... die Stärkung der Verbundenheit
mit der mexikanischen Kultur der Vergangenheit
und Gegenwart“ angegeben.
Präsidentin: Anna Seghers. Vizepräsidenten: Dr.
Ernst Römer, Dr. Leo Deutsch. Vorstandsmit¬
glieder: Marcel Rubin, Kurt Berci, Egon Erwin
Kisch u.a.
Der Klub organisierte Konzertabende, Lesungen,
Rezitationen, politisch-kulturelle Vorträge,
Theateraufführungen, u.a. wird vom Heinrich
Heine-Klub Ferdinand Bruckners Stück „Denn
seine Zeit ist kurz“ welturaufgeführt (1944).
Bis zur seiner Auflösung am 1. Februar 1946
hat der Heinrich Heine-Klub in Ciudad de Mexi¬
co 68 Abende veranstaltet; die musikalischen und
die Theater-Abende wurden fast ausschließlich
von österreichischen Exilanten bestritten.
Freies Deutschland/Alemania Libre (ab 1946:
Neues Deutschland/Nueva Alemania). Revista
Antinazi/Antinazi Monthly (ab Nr.10/1944: Re¬
vista Democrätica/German Democratic Month¬
ly) erscheint vom 15. November 1941 bis zum
Juni 1946 monatlich in Mexico D.F.
Chefredakteur: Bruno Frei (November/Dezem¬
ber 1941), dann Alexander Abusch.
Acciön Republicana Austriaca de Mexico
(ARAM): Gründungsversammlung am 3. De¬
zember 1941 in Mexiko-Stadt.
Präsident: Rudolf Neuhaus; ab Jänner 1944 Franz
Schallmoser. Vizepräsidenten: Prof. Richard
Volk (zeitweilig), Dr. Erwin Rubin, Dr. Kurt
Wallis, Dr. Else Volk. Sekretär des Vorstandes:
Josef Foscht.
Erste öffentliche Manifestation der ARAM: Im
März 1942 Gedenkkundgebung „Österreich
wird auferstehen‘“ zum vierten Jahrestag der Ok¬
kupation.
Einsatzgruppen der SS und bei der Gestapo waren Österreicher am Werke, beson¬
ders aber bei der Judenverfolgung. Wiener Nationalsozialisten organisierten im
März 1938 die ersten großen antijüdischen Ausschreitungen. Eine aufschlußreiche
Studie von Gerhard Botz hat gezeigt, wie die Wiener NS-Führung auf die Depor¬
tationen der Juden nach dem Osten drängte, um auf diese Weise das Wohnungspro¬
blem in Wien zu lösen. Aus der ‚Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien“
ging der Stab Adolf Eichmanns im Reichssicherheitshauptamt (Abteilung IV B 4)
hervor, der die ‚‚Endlösung der Judenfrage“ organisierte.
Dessenungeachtet waren die Österreicher im Machtgefüge des nationalsozia¬
listischen Deutschland nicht gleichrangig oder gar ein eigenständiges Macht¬
zentrum. Die entscheidenden Machtpositionen in der Wirtschaft, im Militär, in
der Bürokratie, im Kultur- und Medienbereich, im Partei- und im SS-Apparat
waren in den Händen von Reichsdeutschen, und quasi-koloniale Züge sind nicht
zu übersehen. Die Kategorie ‚Kollaboration“ — als Ausdruck für die
Zusammenarbeit von Okkupierten und Okkupanten - trifft für Österreich nicht
exakt zu. Österreichs Stellung war meines Erachtens ein Sonderfall: Weder
waren die „‚Ostmark“ bzw. die sieben Alpen- und Donaugaue ein x-beliebiger
Teil Deutschlands wie Bayern oder Sachsen, noch weniger glich Österreich
einem besetzten Land wie Holland oder Polen. Diese Zwitterstellung hängt nicht
zuletzt mit der im Wandel begriffenen nationalen Identität, dem Prozeß der
Herausbildung einer eigenständigen österreichischen Nation zusammen, der
durch NS-Herrschaft, Widerstand und Befreiung beschleunigt wurde.
’Darr Jud muß weg und sein Gerschtl
bleibt da!’
Die ‚wilden Arisierungen der Anschlußtage“ am Beispiel von
Briefen an ,,Reichskommissar“ Biirckel
Seit dem ,,Anschlu8“ herrscht offener Terror auf den Straßen Wiens. Ein ,,dem
Führer getreuer, arischer Ostmärker“ schildert dem ,,Reichskommissar fiir die
Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ und späteren „‚Gauleiter
von Wien“, Josef Biirckel, seine Eindrücke:
Es ereignen sich in Wien Dinge, die an Ekel und Widerwärtigkeit auch für die
arische Bevölkerung nichts zu wünschen übrig lassen u. so den Eindruck der
Rechtsunsicherheit machen. Davon dürfte unser geliebter Führer und seine Pala¬
dine keine Ahnung haben.
1.) Es werden in Wien von fraghaften Gestalten unter Begleitung der Straßenju¬
gend und des Mobs unter lautem Gejöhle Judengeschäfte beschmiert, es werden
harmlose Leute, die in Unwissenheit oder Unachtsamkeit in jüdischem Geschäfte
etwas kaufen in der gemeinsten Art belästigt, es werden jüdisch aussehende
Passanten mit Gewalt und zum öffentlichem Gespötte zu niederen Arbeiten gezwun¬
gen, u. anderes. Die Polizeiwache sieht diesem Treiben untätig zu.”
Die Tage nach dem ,,Anschlu8“ sind gekennzeichnet von ,,wilden Arisierungen“ ,
Geschäfts- und Wohnungsplünderungen sowie Hetzjagden auf Juden. Am 15. März
1938, kaum drei Tage nach dem ,,Anschlu8“, verfolgen und bejubeln tausende
Wiener begeistert Hitlers Rede am Heldenplatz. Kurz darauf kommt es in ganz Wien
zu „‚Volksbelustigungen“ . Überall sieht man Menschenaufläufe, wo unter schaden¬
frohen Zurufen und Beschimpfungen — jüdische — Mitbürger gezwungen werden,
die Kruckenkreuze mit Lauge und Handbürste vom Straßenboden und von Haus¬
wänden wegzureiben. Juden werden von Kaffeehäusern zum Verhör abgeführt und
Rollbalken und Auslagenscheiben von ihren Geschäften und Betrieben, besonders
im zweiten Bezirk, in der Leopoldstadt, mit der Aufschrift „Jude“ und dem
Davidstern beschmiert.
Rufe: ‚‚Juda verrecke!“ und ‚Juden heraus!“ hallten vom ersten Tage an durch
die Straßen. Bald begannen die Demolierungen und ‚‚Requirierungen“, d. h.